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Zurück in den Rohbau

Beim VfB hat wieder einmal eine neue Zeitrechnung begonnen. Und wie es sich für den Verein für Analyse gehört, wurde zunächst eine ordentliche Bestandsaufnahme durchgeführt. Die ersten Ergebnisse: Die Situation ist schwierig – einerseits finanziell aber auch sportlich. Als Behandlung verordnen uns Arzt und Apotheker eine große Dosis Labbadia. Die habe bislang noch jeden Patienten wieder auf die Beine gebracht, behaupten sie.

Mit einem erfahrenen Trainer will der Vorstandsvorsitzende die Chancen auf den Klassenerhalt erhöhen, der für den Klub angesichts der Einnahmeverluste der vergangenen drei Jahre überlebenswichtig ist. Komischerweise fällt ihm all das erst jetzt ein, nachdem er Korrekturen am Kader versäumt, Matarazzo ohne Alternative in der Hinterhand entlassen und mit Mislintat lange aber erfolglos über einen neuen Vertrag verhandelt hat. Die jetzt vollzogene Kehrtwende ist nach nur neun Monaten Amtszeit wohl schon Wehrles letzte Karte.

Die Fußball-Jukebox

Die letzte prominent besetzte Pressekonferenz in Cannstatt war ein Schuss in den Ofen. Dieses Mal muss die Klubführung vermitteln, warum sie einen Trainer verpflichtet, der vollkommen von der bisherigen sportlichen Strategie abweicht und den Anhängern nicht in allerbester Erinnerung ist.  

Alexander Wehrle sitzt am vergangenen Montag dementsprechend angespannt auf dem Podium, um die Herren Wohlgemuth und Labbadia vorzustellen. In seinem Honoratiorenschwäbisch spricht er etwas zu laut und betont wie einst Lothar Späth übertrieben die Endungen. Das flapsige „Entspannt euch mal“ aus dem September scheint Lichtjahre entfernt. Die versammelten Medienvertreter wollen eine mittelfristige Strategie von ihm hören und er weiß, dass er nicht liefern kann.  

Glücklicherweise befindet sich zwei Stühle weiter die personifizierte Fußball-Jukebox. Wenn du irgendwo draufdrückst, hört sie erstmal nicht wieder auf zu spielen. Heraus kommt ein südhessisches Gedudel, das vordergründig nicht falsch klingt, aber wenig Substanz hat. Fußballtrainer-Sprech, zwanzig Jahre lang durchgenudelt im Profigeschäft. „Ehrlich gesagt“, „hart arbeiten“ und „Erfahrung“ sind die Bingo-Wörter. Mir schlafen die Füße ein.

Das Comeback des schönen Bruno fühlt sich an wie die Ankunft an einem altbekannten Urlaubsort, an dem man sich schon vor zehn Jahren eher unwohl gefühlt hat. Aber es gab halt viele Liegen am Pool und genügend Handtücher im Schrank, um sich noch vor dem Frühstück Plätze zu sichern. So richtig Lust hat keiner, eine bessere Idee aber auch nicht.

Neben Labbadia sitzt der neue Sportdirektor und ich frage mich, wer denn nun eigentlich wessen Chef ist. Fabian Wohlgemuth verkauft sich zwar nicht schlecht, aber der nahe liegende Verdacht, dass Wehrle und Khedira zuerst den Trainer und danach ihn von einem Engagement beim VfB überzeugt haben, schwächt seine Position von Anfang an. Wetten, dass die ersten Wohlgemuth-Transfers auf Zuruf des Trainers erfolgen? Womöglich alte Labbadia-Vertraute? Der Vertikalpass hat spaßeshalber schon einmal ein paar Namen ins Spiel gebracht.

Labbadia-Style

Laufen, verschieben, kompakt bleiben – und nicht vergessen, wo wir herkommen. Der Labbadia-Style riecht nach alten Socken, die man notdürftig mit Parfüm besprüht hat, um das Schlimmste zu überdecken. Zugegeben, auch unter Matarazzo gab es zähe Darbietungen. Aber da war zumindest noch die Illusion, dass die Konter irgendwann wieder wie Nadeln durch die gegnerische Abwehr stechen, dass Silas zu einem seiner Homeruns ansetzt, dass die frankophile Combo irgendwann ihr Buch weiterschreibt.

Begeisterung sieht anders aus: Die VfB-Bank beim 0:3 gegen den FC Luzern. (Pressefoto Baumann)

Am frühen Freitagabend bekommen ein paar hundert VfB-Fans im Schlienz-Stadion einen ersten Vorgeschmack auf den Fußball der kommenden Monate. Statt einer asymmetrischen Abwehrkette oder offensiv ausgerichteten Schienenspielern sehen sie den klassischen Viererriegel mit einem tiefen Sechser davor. Stabilität heißt das Credo. Auch offensiv schwebt dem neuen alten VfB-Trainer eine andere Idee vor: Über die Außenpositionen sollen die Bälle gefährlich in den Strafraum gebracht werden. Auch lange Passstafetten im Mittelfeld mag Labbadia, wie nicht zuletzt seine Amtszeit in Wolfsburg beweist.

Der Testkick gegen den FC Luzern führt dem alten Haudegen an der Seitenlinie allerdings gleich einmal vor Augen, wie weit die Mannschaft noch von seinen Vorstellungen entfernt ist. Die drei Gegentore könnten ein Videozusammenschnitt der Abwehrschwächen der letzten Monate sein. Das Angriffsspiel über die Flügel braucht künftig sicher andere Protagonisten als Coulibaly und Kastanaras, und für Ballbesitzfußball fehlen erst recht die geeigneten Spieler. Die Kugel ist gegen den Tabellensechsten der Schweizer Super League oft schneller weg, als der Trainer gucken kann.

Nachhaltigkeit adieu

Eines der wichtigsten Ziele der Ära Hitzlsperger und Mislintat war es, nachhaltige Strukturen aufzubauen, die über das Tagesgeschäft hinaus wirksam bleiben. Mit Blick auf die aktuelle Situation müssen wir leider feststellen, dass dieses Ansinnen gescheitert ist. Bei der Transparenz der Entscheidungsfindung und der Modernisierung der Trainingsmethoden ist der VfB bereits wieder einen Schritt zurückgegangen.

Auch die Kaderzusammenstellung könnte bald an neue Leitlinien angepasst werden. Spieler, die bisher noch als vielversprechende Talente galten, werden unter Labbadia keine Perspektive mehr haben. Der Auswahlprozess ist bereits in vollem Gange und wird nach dem Trainingslager in Marbella (2. – 13. Januar) abgeschlossen sein. Gut möglich, dass sich die neue sportliche Führung veranlasst sieht, an der einen oder anderen Stelle nachzubessern.

Der Blog Rund um den Brustring wirft in seinem neuesten Beitrag einen detaillierten Blick auf die neun Leihspieler, die in den letzten Jahren teilweise mit großen Hoffnungen an den Neckar gekommen sind. Die Bilanz ist ernüchternd. Einzig Alexis Tibidi kann sich beim österreichischen Bundesligisten SCR Altach wie gewünscht in Szene setzen. Bei anderen Kandidaten geht es wohl nur noch um die Begrenzung des wirtschaftlichen Schadens.

Wenn man die Aussagen von Sven Mislintat zur Perspektive der Mannschaft mit den Einschätzungen der neuen Protagonisten vergleicht, fallen erhebliche Unterschiede auf. Einerseits liegt das in der Natur der Sache, da jeder Verantwortliche gerne seine eigenen Entscheidungen preist, andereseits wirft es ein schlechtes Licht auf die übergeordnete Leitungsebene. Dort waren die Konzepte und Strategien der ehemaligen sportlichen Führung lange bekannt. Wenn man tatsächlich fundamental anderer Meinung war, hätten viel früher Entscheidungen getroffen werden müssen. So steht der VfB kurz vor Weihnachten wieder einmal vor einem Rohbau, bei dem an allen Ecken und Enden Handlungsbedarf besteht.  

VfB Stuttgart – FC Luzern 0:3

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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