Allgemein

Eine besondere Vereinskultur

Hitzig geht es seit einiger Zeit in den Debatten rund um die Weiß-Roten aus Cannstatt zu. Kein Wunder, immerhin hat der Klub innerhalb von zwei Monaten die Zusammenarbeit mit zwei prägenden Gesichtern des neuen VfB beendet. Inzwischen sind auch die Nachfolger bekannt: Fabian Wohlgemuth vom SC Paderborn und das Bundesliga-Urgestein Bruno Labbadia. Einen interessanten Beitrag zur Bewertung dieser Personalien hat der Blog Rund um den Brustring veröffentlicht.

Zur Beruhigung tragen die Entscheidungen allerdings nicht bei, denn bis heute haben die Entscheider nicht erklärt, in welche Richtung sich der Klub von nun an entwickeln soll. Viele Anhänger bleiben mit offenen Fragen zurück. Damit setzt der VfB das neue Miteinander, das sich seit Sommer 2019 entwickelt hat, aufs Spiel.

Herzensangelegenheiten

Eine klar erkennbare Strategie, Transparenz und offene Kommunikation werden oft als Stärken der Ära Hitzlsperger, Mislintat und Matarazzo genannt. Ob dieses Urteil so pauschal zutrifft, sei einmal dahingestellt. Unzweifelhaft ist jedoch, dass sich im Verhältnis zwischen den Mitgliedern und Fans auf der einen Seite sowie dem Verein und der ausgegliederten Fußball-AG auf der anderen Seite in den vergangenen dreieinhalb Jahren vieles verbessert hat.

Zeichen für das Engagement der VfB-Mitglieder: die MV im Juli 2019. (Foto: Pressefoto Baumann via StZ)

Nicht nur bei der Mitgliederversammlung im Juli 2019 sondern auch in der Zeit davor und danach haben viele Menschen bewiesen, dass sie bereit sind, für ihren Klub zu kämpfen. Gegen die damalige Führung und gewichtige Stimmen in den Medien erzwangen die Mitglieder den Rücktritt des mächtigen Präsidenten und trugen ihren Teil zu einer grundlegenden Kursänderung bei. Bei den Präsidentenwahlen im Dezember 2019 gingen erstmals zwei Kandidaten ins Rennen, gleiches gilt für die MV im Juli 2021, bei der alle Gremien des eV neu gewählt wurden.

Der VfB als Herzensangelegenheit ist bei vielen Mitgliedern und Fans mehr als eine hohle Phrase. Nicht zuletzt dieses Engagement und diese Begeisterung haben die Mannschaft durch die vergangene Saison und am 14. Mai zum Klassenerhalt getragen.

Doch auf einmal geht man sich in der VfB-Familie gegenseitig an den Kragen, weil es unterschiedliche Meinungen zur Performance einiger Funktionäre gibt. Was zunächst harmlos klingen mag, kann perspektivisch das vielleicht größte Pfund des Traditionsklubs aus Cannstatt bedrohen: das Verhältnis zu seinen engagierten Mitgliedern und Fans. Die Bereitschaft zum konstruktiven Austausch schwindet zusehends. Wehrle raus, Vogt raus, Adrion raus – lauter Verräter, tönt es schrill auf den einschlägigen Internetplattformen. So ist es schwer, miteinander ins Gespräch kommen.

Versachlichung der Debatte

In jedem Verhandlungstraining lernen die Teilnehmenden, dass verbales Abrüsten eine konstruktive Auseinandersetzung erst ermöglicht. Übertreibungen und Zuspitzungen vergiften das Gesprächsklima und führen inhaltlich nicht weiter. Der VfB wurde durch die Entscheidungen der letzten Wochen nicht „zugrunde gerichtet“ oder „mutwillig zerstört“, sondern hat zunächst einmal seine sportliche Strategie verändert und Führungspositionen neu besetzt. Der Ton macht die Musik.

Dass diese Neuausrichtung sehr abrupt und ohne nachvollziehbare öffentliche Begründung vorgenommen wurde, darf man natürlich kritisieren – man muss vielleicht sogar. Die Vorwürfe sollten allerdings sachlich bleiben und belegt werden. Ob Alexander Wehrle in Köln mehr oder weniger erfolgreiche Arbeit geleistet hat, können wohl die wenigsten abschließend beurteilen – und es tut auch wenig zur Sache. Kritik kann an dem Führungsstil ansetzen, den er seit März in Stuttgart pflegt.

Manche Diskutanten fordern nun die Ansetzung einer außerordentlichen Mitgliederverammlung mit dem Ziel, den Vorstandsvorsitzenden seiner Ämter zu entheben. Solche Beiträge mögen zur Zeit gut klicken, aber statt einen ernsthaften Diskussionsbeitrag zu leisten, gießen sie nur weiter Öl ins Feuer. Dabei gibt es berechtigte und auch erfüllbare Forderungen, die man an den Vorstand richten kann – die klare Kommunikation der mittelfristigen Ziele und Strategien zum Beispiel.

Auch eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den häufig formulierten Kritikpunkten kann man erwarten. Wenn sich Wehrle in diesen Tagen gemeinsam mit dem neuen Führungspersonal den Fragen der Presse stellt, würde mich interessieren, warum der Trainer vor dem Sportdirektor ausgewählt wurde und was die neuen Personalien für das NLZ, die zahlreichen ausgeliehenen Talente und das Leitmotiv „jung und wild“ insgesamt bedeuten.

Kommunikation mit den Vereinsgremien

Die Mitgliederversammlung ist das höchste Organ des Vereins und die wirkungsvollste Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Der Zulauf – daran möchte man so manches empörte Mitglied dieser Tage erinnern – war am 11. September ziemlich schwach. Jetzt ist der Redebedarf dafür umso größer. Die Gremienmitglieder des Vereins haben in der Vergangenheit bewiesen, dass sie offene Ohren für die Sorgen haben, solange diese in angemessenem Ton vorgetragen werden.

Kürzlich gab es beispielsweise die Möglichkeit, sich bei Regionalversammlungen mit VfB-Funktionären auszutauschen. Nennenswerte kontroverse Debatten hat es meines Wissens bei diesen Veranstaltungen nicht gegeben. Rücktrittsforderungen sind schnell ins Netz getippt, aber wenn es um substanziellen Austausch geht, lässt das Interesse rapide nach.

Dabei ist es gerade in turbulenten Phasen wichtig, dass die Mitglieder wachsam bleiben und von ihren Rechten Gebrauch machen. Die Einberufung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung gehört da selbstverständlich dazu. Nur: Was will man dort auf die Tagesordnung setzen? Die Abwahl aller Vereinsgremien? Die Rückabwicklung der AG, damit die Mitglieder wieder mehr Einfluss bekommen? Die inhaltlichen Vorstellungen wirken aus der Ferne noch etwas unreif.

Jenseits der Internetblasen sind die Meinungen zur strategischen Kehrtwende des VfB auch geteilt. Eine Tendenz zur vereinspolitischen Eskalation kann ich dort aber nicht erkennen. Außerdem sollten wir nicht vergessen, dass es Bestrebungen aus dem Vereinsumfeld gibt, die aufgeheizte Stimmung rund um die gescheiterte Vertragsverlängerung von Sven Mislintat zu nutzen, um eine eigene Agenda voranzutreiben. Steigers Rechtsgutachten war da wohl nur der Anfang. Auch in diesen Kreisen gibt es Leute, die lieber einen anderen Präsidenten hätten. Doch wer weiß, welche Kandidaten ihnen vorschweben. Schöne Grüße nach Kitzbühel an dieser Stelle. Die Hoffnung auf Innovation und Modernisierung könnte jedenfalls rasch einen weiteren Dämpfer erhalten.

Ohne Schaum

Die letzten Jahre haben gezeigt, dass aktive und engagierte Mitglieder den Verein am Leben halten und das Besondere des VfB ausmachen. Zwei Dinge sind allerdings zu beachten: Erstens muss man die Spielregeln kennen, um mitspielen zu können. Und zweitens wäre es hilfreich, wenn sich die Beteiligten den Schaum vom Mund wischten. Ein anständig geführter Dialog zwischen Vereinsrepräsentanten und Mitgliedern kann die besondere Vereinskultur des VfB nur stärken.

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

Ein Kommentar

  • fritzo62

    Danke für die sachliche, unaufgeregte Darstellung. Eine Mitgliederversammlung vor Abschluss der Saison macht keinen Sinn, genauso wenig absolute Positionen mit unakzeptabelen Aufrufen zu Gewalt und Umsturz. Jetzt lassen wir mal die Verantwortlichen handeln und die Mannschaft spielen.

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.