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Ein Plädoyer für Behutsamkeit

Den größten Anteil an der Rekordsaison hat Sebastian Hoeneß. (Foto: Tom Weller/dpa)

Vizemeister! Drei denkwürdige Spiele gegen den ungeschlagenen Deutschen Meister aus Leverkusen, der erste Heimsieg gegen den FC Bayern seit 17 Jahren, nach Punkten die beste Saison der Vereinsgeschichte. Kommentatoren und Fans gehen die Worte aus, um den Erfolg des VfB in der Saison 23/24 zu beschreiben. Es gibt kaum einen Rekord, der in den vergangenen Wochen nicht gebrochen wurde. Der Vertikalpass vergleicht die Darbietungen der Weiß-Roten mit dem Surrealismus eines Salvador Dalí.

Jetzt gilt es, die traumhaften Zerrbilder der Fantasie in einen nachhaltigen Aufschwung zu verwandeln. Dazu werfen wir zunächst einen Blick zurück, um dann behutsam den Kurs für die kommende Saison zu setzen. Mit Hauruck-Manövern hat der VfB in der Vergangenheit nämlich schlechte Erfahrungen gemacht.

Ab wann war zu erkennen, dass der Mannschaft von Sebastian Hoeneß in dieser Saison etwas Außergewöhnliches gelingen könnte?

Der 5:0-Heimsieg gegen Angstgegner Freiburg setzte schon am dritten Spieltag ein erstes Ausrufezeichen. Nach dem 15-Minuten-Hattrick von Guirassy gegen den ambitionierten VfL Wolfsburg deutete sich an, dass die Hoeneß-Elf wirklich widerstandsfähiger geworden ist. Der überlegene Heimsieg gegen den BVB belegte eindrucksvoll die spielerischen Fortschritte. Der Vorsprung auf die Abstiegsplätze war im Spätherbst schon komfortabel. 

Selbst die Leistungsdelle im Januar brachte die Mannschaft nicht aus dem Tritt. Mit dem 5:2 gegen den Champions-League-Teilnehmer aus Leipzig begann eine Serie aus elf Bundesligapartien ohne Niederlage. Der Weg nach Europa war geebnet. Der 1:0-Auswärtscoup in Dortmund überzeugte die letzten Zweifler: Champions-League, wir kommen.

Die Architekten des Erfolgs

Außer Frage steht, dass Sebastian Hoeneß in den vergangenen 13 Monaten eine sensationelle Entwicklung als Trainer genommen hat. Beweis dafür ist nicht nur seine unglaublich gute Bilanz, sondern auch die Art und Weise, wie seine Mannschaft Fußball spielt. Nicht zuletzt haben die Transferaktivitäten des vergangenen Sommers einen großen Anteil an der Stabilisierung der Mannschaft. Nübel, Mittelstädt, Stiller und Undav sind zu Gesichtern des Erfolgs geworden.

Die Grundlage für den Leistungssprung der Mannschaft wurde allerdings schon früher gelegt. Beim Kaderumbruch nach dem Abstieg 2019 achteten Hitzlsperger und Mislintat auf Merkmale wie Entwicklungspotenzial, Leistungsbereitschaft und Teamfähigkeit. Anton und Karazor gehören heute zu den Führungsfiguren der Mannschaft, Führich, Ito und Millot sind zu Leistungsträgern gereift.

Dem aktuellen Trainerteam und der sportlichen Leitung unter Fabian Wohlgemuth ist es gelungen, die Stagnation der letzten Matarazzo-Saison und die fußballerische Ambitionslosigkeit unter Labbadia in einen Entwicklungsschub zu verwandeln. Die Mannschaft hat wieder einen Plan, mit dem sie sich identifiziert.

Vorsicht vor Größenwahn

Nach der Meisterschaft 2007, spätestens aber seit der Champions-League-Saison 2010/11 geriet der schwäbische Traditionsklub in schwere See. Der Doppelabstieg 2019 nebst WLAN-Gate markierte den Tiefpunkt des selbstverschuldeten Niedergangs. Seither ist „Champions-League-Falle“ in Cannstatt ein geflügeltes Wort.

Kosten kontrollieren und sinnvoll investieren muss daher die Devise lauten. Gleichzeitig gilt es, die Stärken der Mannschaft weiterzuentwickeln und an den wenigen Schwächen zu arbeiten: Beim Kopfballspiel, Standards und dem Verteidigen im tiefen Block ist noch Luft nach oben. Die Fans sollten damit rechnen, dass mindestens zwei Leistungsträger den Verein verlassen werden. Eine gesunde Gehaltsstruktur ist mittelfristig mehr wert als die Dienste einzelner Spieler, die mit dem großen Geld liebäugeln.

Der Kader kann im Gegenzug mit hungrigen Spielern ergänzt werden, die beim VfB den nächsten Karriereschritt machen wollen. Keitel, Woltemade und Chabot passen in dieses Beuteschema. Alexander Wehrle kündigte im Dezember beim Podcast VfB x STR an, dass man ein behutsames Wachstum anstrebe. Eine Saison der Superlative darf an dieser Herangehensweise nichts ändern.

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

Ein Kommentar

  • Micha

    Genau so.
    Danke für Deine Gedanken.

    Heute hat Alex Wehrle dies genauso nochmal beim SID bestätigt. Siehe Artikel bei Sport 1: VfB vor der Königsklasse „Wir werden nicht ins volle Risiko gehen“

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