Allgemein

Ein Gerücht macht noch keinen Sommer

Für viele Fußballfans sind die Sommermonate die schlimmste Zeit des Jahres. Amöbengleich zieht Woche um Woche ins Land, ohne dass die Spiele des Lieblingsvereins irgendeine Struktur gäben. Der Trainingsauftakt gilt in dieser Dürre schon als Highlight, wenn der Nachrichtenwert der Veranstaltung auch gegen Null tendiert.

Als sich am Mittwoch der vergangenen Woche die Profis mit dem Brustring auf Platz 1 einfinden, sind einige Gesichter dabei, die man rund um das rote Clubhaus wohl nicht mehr oft erblicken wird. Gleichzeitig fehlen jene, die mit ihren Nationalmannschaften noch nach Saisonende unterwegs waren. Das Tafelsilber, wie man in Cannstatt gerne frotzelt.

Wer ist das nochmal? Trainingsauftakt an der Mercedesstraße. (Foto: vfb.de)

Auf Stippvisite

Inzwischen ist es beim VfB Usus, dass die Leihrückkehrer ihren ehemaligen Kollegen zu Beginn der Sommervorbereitung mal wieder hallo sagen. Lange werden die meisten von ihnen allerdings nicht bleiben, denn so richtig explodiert ist bei seinem Leihverein keiner. Wahrscheinlicher ist, dass auch einige aus dem letztjährigen Bundesligakader aussortiert werden. Trainer Hoeneß schwebt eine Gruppe aus rund 25 Feldspielern vor, mit denen er gezielt an den ausgemachten Schwächen arbeiten will. Momentan stehen 34 Namen auf der Gehaltsliste.

Ähnlich wie beim Dschungelcamp müssen die Profis also auf sich aufmerksam machen: Wer darf bleiben? Wer fliegt raus? In der ersten Trainingswoche samt Sponsorenkick gegen eine Hohenlohe-Auswahl stechen der 19-jährige Mohamed Sankoh und der 17-jährige Dennis Seimen ins Auge. Beide haben sich für die kommende Spielzeit offensichtlich viel vorgenommen. Auch die Neuzugänge Mittelstädt und Milosevic machen einen agilen Eindruck, während so mancher Kollege die ersten lockeren Einheiten eher als Pflichttermin abhakt. Doch die Regeln des Geschäfts sind erbarmungslos: Wer während der Saison keine Glanzpunkte gesetzt hat, ist auf dem Transfermarkt nicht besonders begehrt und muss hoffen, dass sich irgendein Sportdirektor an seine Qualitäten erinnert.   

Kurskorrektur

Die Verantwortlichen haben zuletzt noch einmal deutlich gemacht, zu welchen Ergebnissen die Analyse der vergangenen Saison geführt hat: Die Scouting-Abteilung wurde breiter aufgestellt, der Kader soll mit Fokus auf Stabilität und Konstanz überholt werden, und lieber früher als später möchte Alexander Wehrle seinen Posten als Sportvorstand an einen geeigneten Kandidaten abgeben.

Die Neuzugänge Jovan Milosevic (FK Vojvodina Novi Sad), Maxi Mittelstädt (Hertha BSC), Jeong Woo-Yeong (SC Freiburg) und Jamie Leweling (Union, Leihe mit Kaufoption) zeigen, dass Fabian Wohlgemuth einerseits weiter auf junge, entwicklungsfähige Talente setzt, andererseits aber auch nach Spielern mit Profierfahrung Ausschau hält. Dabei erfindet er das Rad nicht neu, sondern greift auch auf Ideen zurück, die bereits vor seiner Zeit entwickelt wurden.

Der 17-jährige Jovan Milosevic kommt aus Novi Sad zum VfB. (Foto: Baumann)

Mittelstädt (26 Jahre) füllt die schon länger bestehende Kaderlücke auf der linken Abwehrseite und ist nach einem Abgang von Borna Sosa sogar Startelfkandidat. Jeong (23) und Leweling (22) müssen erst beweisen, dass sie auf diesem Niveau konstante Leistungen bringen können. Der ehemalige deutsche Jugend-Nationalspieler kam in Köpenick nicht zu der erwünschten Spielpraxis und entscheidet sich im zweiten Anlauf jetzt doch für Bad Cannstatt, nachdem die Schwaben vor einem Jahr noch abgeblitzt sind.

Dass der VfB nach zwei Rettungen in letzter Minute auf die Ersatzbänke der Ligakonkurrenz schielt, ist verständlich, macht aber gleichzeitig die neue Hackordnung im Verhältnis zu den Europapokalteilnehmern Union und Freiburg deutlich. Jeong hat gleich mehrere Gründe für seinen Wechsel: Der offensive Mittelfeldspieler kennt Sebastian Hoeneß aus gemeinsamen Drittligazeiten beim FC Bayern und erhofft sich unter seinem alten Trainer mehr Einsatzzeiten, auch um sich für die Auswahlmannschaften Südkoreas zu empfehlen und damit möglicherweise den obligatorischen Militärdienst zu verkürzen.

Mehr Kontinuität als Umbruch

Insgesamt sieht es danach aus, als wollte Wohlgemuth das Gerüst der Mannschaft erhalten und gleichzeitig punktuell nachbessern. Falls ein Klub einen Leistungsträger abzuwerben gedenkt, muss er schon eine ordentliche Summe auf den Tisch legen. Durch den Deal mit Porsche und MHP ist der VfB nicht mehr so dringend auf Transferüberschüsse angewiesen, dass er unter Wert verkaufen müsste.

Gleichzeitig sollte der Sportdirektor die Lehren aus der Hängepartie mit Kalajdzic im letzten Sommer ziehen. Auch wenn der Transfermarkt auf den Leitmärkten erst spät auf Touren kommt, sollte man die wichtigen Positionen im Kader frühzeitig besetzen. Ganz besonders gilt dies für Topcorer Guirassy, für den es kein solides Backup im Kader gibt.

Das Überangebot in der Offensive darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass eines der gravierendsten Probleme der Vorsaison noch nicht gelöst ist. Traut man Mo Sankoh oder Jovan Milosevic die Rolle als Guirassy-Ersatz schon zu? Bekommen Luca Pfeiffer und Juan José Perea eine weitere Chance? Oder entscheidet sich Wohlgemuth auch hier für einen Neuzugang, der mehr Konstanz verspricht? 

Auf der Torhüterposition gibt es ebenfalls noch ein Fragezeichen. Seit Wochen stehen Gerüchte um Yann Sommer und Alexander Nübel im Raum – zwei Torhüter, die zwar ein höheres Leistungsniveau versprechen, das Gehaltsgefüge aber gehörig durcheinander bringen würden. Andererseits kann man sich weitere Wackler auf dieser neuralgischen Position nicht erlauben.

Dennis Seimen beim Testspiel in Schwäbisch Hall. (Foto: IMAGO/Alexander Keppler)

Lass doch den Seimen ran, tönen da Stimmen, die vom Torwartspiel nur aus der Zeitung gelesen haben. Selbst Manuel Neuer war 20, als er seine erste Bundesligasaison spielte, und die neue Freiburger Nummer eins Noah Atubolu (21) hat schon zwei Spielzeiten in der dritten Liga auf der Uhr, bevor er nächste Saison die Bundesligabühne betreten wird. Daher tut der VfB gut daran, dem Ausnahmetalent aus der eigenen Jugend nicht zu viel Verantwortung aufzubürden. Mit gerade einmal vier Spielen im Erwachsenenbereich ist sein Reifeprozess noch lange nicht abgeschlossen. Eine Saison als Stammkeeper in der Regionalliga wäre der logische nächste Schritt.

Runterkühlen

Nicht nur wegen der hochsommerlichen Temperaturen erscheint es ratsam, die Kaderdiskussionen ein bisschen abzukühlen. Das Streuen von Gerüchten gehört zum Kerngeschäft der Berater, die ihre Kunden ins Gespräch bringen müssen. Außerdem spielen bei Transferentscheidungen neben den Klubinteressen auch die Belange der Spielerseite eine Rolle. Was ist das beste für deren sportliche Entwicklung? 20 Startelfeinsätze bei einem Leihverein sind da oft attraktiver als ein Bankplatz beim Stammverein. Fabian Wohlgemuth und sein Team werden also noch viele Gespräche führen müssen, bis der Kader steht, der in der kommenden Saison einen weiteren Ritt auf der Rasierklinge vermeiden soll.

Zum Weiterlesen:

VfB Stuttgart und der Porsche-Deal: Klubchef Wehrle im Interview – Sport – SZ.de (sueddeutsche.de) (Plus Content)

Stürmer im Überfluss beim VfB Stuttgart: Das sind die Perspektiven der Angreifer – News über den VfB Stuttgart – Zeitungsverlag Waiblingen (zvw.de)

Das Bild wird langsam klarer – Vertikalpass

Neu im Brustring: Jamie Leweling – Rund um den Brustring

Neu im Brustring: Jeong Woo-yeong – Rund um den Brustring

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

Eine Antwort schreiben

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.