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Hunger oder Wankelmut?

Seit dem VfB-Trainingsstart ist ein Monat vergangen. Viel schlauer sind die Beobachter und Fans noch nicht geworden. Das Trainingslager im österreichischem Neukirchen fiel ins Wasser und auch die Testspiele geben wenig Aufschluss über die Leistungsfähigkeit einer Mannschaft, die zwar individuelle Qualität besitzt, in den vergangenen Jahre aber nur mit Müh und Not den Klassenerhalt schaffte.

Der 3:0-Sieg bei Sheffield United FC sieht phasenweise ganz nett aus, der Premier-League-Aufsteiger macht es dem Bundesligisten jedoch nicht allzu schwer. Bemerkenswert: Außer Torwart Nübel hat es kein Neuzugang in die Startelf geschafft. Bester Mann auf dem Platz ist wieder einmal Serhou Guirassy, um den sich hartnäckig Transfergerüchte ranken.

Serhou Guirassy trifft in Sheffield zur frühen Führung. (Foto: IMAGO/Pressefoto Rudel/Robin Rudel)

Eine Woche vor dem Pokalspiel an der Kreuzeiche überwiegen in Cannstatt die Fragezeichen. Wirken die aus der Saisonanalyse abgeleiteten Maßnahmen diesmal? Kann Sebastian Hoeneß seine Vorstellungen mit dem verfügbaren Kader umsetzen? Gibt es genügend Profis im Brustring, die hungrig sind auf das dritte Jahr Abstiegskampf hintereinander?  

Fragezeichen im Kader

Für einen ausbalancierten Mannschaftskader tummeln sich immer noch zu viele Spieler auf dem Klubgelände. Einige haben keine Perspektive mehr am Neckar, aber auch anderweitig kaum einen Markt. Gleichzeitig liebäugelt mancher Leistungsträger mit der großen Bühne.

Alexander Nübel soll der Abwehr mehr Stabilität geben. (Foto: vfb.de)

Schauen wir zunächst auf die Abwehr, die nicht unerheblich zum Zittern der letzten Jahre beigetragen hat. Alle hoffen, dass Alexander Nübel die notwendige Sicherheit ausstrahlen wird, die seit Kobels Abgang fehlt. Seine Leistungen in Monaco waren solide, aber keineswegs überragend. Der FC Bayern möchte ihn lieber früher als später loswerden. Über die Leihe in Stuttgart will sich das ehemalige Super-Talent nun für den Wechsel zu einem Spitzenklub empfehlen. Die Fallhöhe ist beträchtlich.

Wer vor dem Neuzugang verteidigen wird, ist im Moment noch unklar. Mavropanos flirtet heftig mit Napoli und auch Sosa will diesmal den Absprung schaffen. Es sieht so aus, als ginge der VfB mit nur drei konkurrenzfähigen Innenverteidigern in die Saison – zu wenig um dauerhaft auf eine Dreierkette zu setzen. In einer Viererkette würden womöglich Stenzel und Mittelstädt als Außenverteidiger auflaufen, nicht unbedingt ein unüberwindliches Bollwerk. Ito dürfte seinen Stammplatz sicher haben, falls er nicht noch kurzfristig abgeworben wird. Ajax-Sportdirektor Mislintat blitzte zuletzt mit einem 12 Mio. Angebot für den Japaner ab, bei einer deutlich höheren Summe könnte der VfB aber schwach werden.

Vor beiden Toren müsse man effizienter werden, ergab die Saisonanalyse. Damit wären wir beim dreimaligen Torschützen von Sheffield: Serhou Guirassy. Viel spricht dafür, dass er die Weiß-Roten schon nach einem Jahr wieder verlässt. Die Ausstiegsklausel in Höhe von gut 15 Mio. Euro wird wohl bis Ende August einen zahlungskräftigen Klub anlocken. Ohne ihren Zielspieler fehlte der Mannschaft in der vergangenen Saison die Durchschlagskraft. Die kürzlich ausgehandelte Leihe von Deniz Undav (Brighton & Hove Albion) erscheint zwar sinnvoll, kann alleine aber keine Abhilfe schaffen. Sankoh und Milosevic müssen erst beweisen, dass sie auf diesem Niveau mithalten können. Will man die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen, muss im Falle eines Guirassy-Abgangs ein neuer Neuner her.

Traumszenario: Hungrige Wilde

Das letzte Viertel der vergangenen Saison war fraglos das erfolgreichste und schürt die Hoffnung auf einen positiven Trend. Sebastian Hoeneß hat einen Plan, durfte Mannschaft und Staff nach seinen Vorstellungen ergänzen und möchte jetzt seine Qualitäten als Trainer nachhaltig beweisen.

Anton, Karazor und Endo bilden die zentrale Achse. Vagnoman, Millot und Führich steigerten sich unter seiner Führung und wollen jetzt den nächsten Schritt machen. Neuzugang Jeong ist Hoeneß´ Lieblingsspieler aus gemeinsamen Drittligazeiten. Gemeinsam mit Silas, Leweling und Neuzugang Undav verfügt der Trainer über eine ganze Reihe veranlagter Offensivspieler, die jede Abwehr durcheinanderwirbeln können.

Li Egloff will sich endlich durchbeißen. (Foto: Pressefoto Baumann/Alexander Keppler)

Aus der zweiten Reihe kommen zusätzliche Impulse. Li Egloff spielt eine gute Vorbereitung und macht Druck auf die Stammkräfte im zentralen Mittelfeld. Mo Sankoh bringt eine Dynamik und Körperlichkeit ein, die von der Bank frischen Wind bringen können. Beiden ist im Training anzumerken, dass sie darauf brennen, den Durchbruch zu schaffen. Im besten Fall stecken sie ihre Mannschaftskollegen an. Hoeneß´ hungrige Wilde machen fette Beute – die Schlagzeile liegt jedenfalls schon in der Schublade.

Worst Case: Begabt, aber …

Drei Jahre nacheinander Abstiegskampf ist andererseits nicht gerade das, was Fußballerherzen höher schlagen lässt. Das lässt Borna Sosa in einem Interview anklingen und strahlt es bisweilen auch mit seiner Körperhaltung auf dem Feld aus. Spieler, die immer wieder hören, dass sie eigentlich besser sind, als der Tabellenplatz aussagt, neigen zu Selbstüberschätzung.

Testspiel in Heimstetten: Silas bleibt beim Dribbling hängen. (Foto: VfB-exklusiv.de)

Dabei wird es höchste Zeit, dass die Mannschaft nicht nur an manchen Tagen ihr Potenzial aufblitzen lässt, sondern endlich zuverlässig Leistung bringt. Führich und Silas stehen sinnbildlich für die Kategorie begabt, aber wankelmütig. Als Alternativen stehen Jeong und Leweling bereit, die bei stärkeren Liga-Konkurrenten kaum Einsatzzeiten bekamen und jetzt ihre zweite Chance suchen. Dieses Quartett muss deutlich mehr Zählbares zustande bringen als die Offensive in der vergangenen Saison – sonst steckt man wieder im Tabellenkeller fest.

Denn mal ganz ehrlich: Sich nur auf Endo und Guirassy zu verlassen, wird kein weiteres Mal gut gehen. Einzelne Spieler müssen einen Leistungssprung hinlegen und endlich den Status als vielversprechendes Talent hinter sich lassen. Die Effizienz und Widerstandsfähigkeit zu erhöhen, hat sich die sportliche Führung zum Ziel gesetzt. Bis jetzt ist unklar, von welchen Spielern diese Impulse ausgehen sollen.

Weichen stellen

Nach der von Fehlentscheidungen überschatteten Vier-Trainer-Saison muss der VfB als oberstes Saisonziel eine Stabilisierung auf allen Ebenen anstreben. Die sportliche Leitung ist zeitnah mit einem Sportvorstand zu ergänzen, der in der Lage, ist eine kohärente mittelfristige Strategie zu entwerfen. Der Cheftrainer und sein Team müssen beweisen, dass sie Spieler entwickeln und ihre Idee von Fußball auf den Platz bringen können. Vor allem muss die Mannschaft aber zeigen, dass sie nicht nur über individuelle Qualitäten sondern auch über ein starkes Kollektiv verfügt, das Widerständen trotzt und sich selbst reguliert.

Wie wichtig Zusammenhalt und Siegeswille sind, um in der Bundesliga zu bestehen, haben zuletzt Mannschaften wie Mainz, Köln oder Bochum gezeigt. Diesen Hunger wollen die Fans auch in Stuttgart von Anfang an spüren. Dann könnte eine Aufbruchstimmung entstehen, die dem VfB eine sorgenfreie Saison beschert.

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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