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Wer sind die Weißen?

Kurz vor dem Weihnachtslockdown gibt es für alle VfB-Fans noch einen Stimmungsaufheller. Eigentlich ist es eine veritable Partybombe, mit der allerdings nicht jeder auf dem heimischen Sofa etwas anfangen kann.

Liebgewonnene Trinkspiele müssen neu erfunden werden: Statt je einen Shot bei Ballverlust Förster trinken wir jetzt bei jedem Torabschluss unserer Lieblinge. Schon nach zwei Minuten läuft der Schnaps das Kinn runter. Nach einer Viertelstunde weißt du nicht, ob der Hochprozentige die Sinne vernebelt oder der Aufsteiger den Champions-League-Gruppensieger wirklich an deren Strafraum mit fünf Mann anläuft.

Was ist nur mit der behäbigen Mannschaft passiert, die aus knapp tausend Ballkontakten zweieinhalb Torchancen erspielte und am Ende unglücklich verlor? Es gibt Beobachter, die schon im Sommer zuversichtlich waren und die Ankündigungen der sportlichen Leitung für bare Münze nahmen. Von einem tollen Teamspirit und Entwicklungssprüngen war da die Rede, und dass uns die Bundesliga besser liege. Ich gehörte zur Gruppe der Skeptiker, die vergeblich nach Argumenten suchten, warum  es zu dieser wundersamen Wandlung kommen sollte. Spätestens mit dem sensationellen 5:1-Auswärtssieg in Dortmund steht fest: Die junge Mannschaft übertrifft sogar die Erwartungen der kühnsten Optimisten.

Beginnen wir auf der Suche nach Gründen bei Pellegrino Matarazzo. Auch wenn sich die Mannschaft phasenweise taktisch noch unreif zeigt, lebt der Trainer seinen Spielern immer den Mut vor, den er von ihnen verlangt. Erfahrene Journalisten können sich kaum daran erinnern, dass der BVB im eigenen Stadion jemals so hoch und konsequent gepresst wurde. Das schnörkellose Umschaltspiel der Gäste aus Stuttgart gibt den aufgerückten Schwarz-Gelben in der zweiten Halbzeit dann den Rest. Dementsprechend bedient war Lucien Favre: „Das Spiel ist eine Katastrophe für uns.“ Und sein persönliches Ende in Dortmund. Rino hat dagegen die Meisterprüfung abgelegt.

Neben der klaren Spielidee und den immer besser greifenden Automatismen spürt man den Zusammenhalt der Mannschaft auf dem Platz. Damit meine ich keine leeren Worte vor den Mikrofonen sondern das Ausbügeln von Fehlern des Mitspielers und das gegenseitige Anfeuern. Waldemar Anton kündigte vor dem schweren Auswärtsspiel nicht nur an, dass man einen Dreier holen wolle, sondern strahlte diese Haltung auch über 90 Minuten auf dem Rasen aus. Das gestiegene Selbstbewusstsein der jungen Spieler drückt sich in vielen Szenen aus, in denen sie sich etwas zutrauen und spielerische Lösungen suchen.

Im Sog der guten Entwicklung einzelner Spieler machen auch andere Fortschritte. Der sonst eher kamerascheue Orel Mangala erklärt den Jubel der französischsprachigen Clique nach dem zweiten Führungstreffer: „Wir wollen Geschichten schreiben.“  Sein kongenialer Partner im Mittelfeld ist bereits Hauptdarsteller eines Fußballmärchens. Vom beschaulichen St. Truiden über die harte Zweitliga-Ersatzbank zum Dompteur von Bundesligaraubtieren in etwas mehr als einem Jahr. Damit konnte wirklich niemand rechnen, auch wenn Mislintat schwört, den Japaner schon lange auf seinem Datenschirm gehabt zu haben.

Die Lücken im Kader, die man im Sommer noch ziemlich leicht ausmachen konnte, schließen sich plötzlich wie von Zauberhand. Wer braucht schon Außenverteidiger, wenn die Dreierkette steht und sich für die Wingback-Positionen etliche interessante Kandidaten bewerben? Wer braucht schon einen klassischen Mittelstürmer, wenn die vorhandenen Offensivkräfte die zweitmeisten Tore der Liga erzielt haben? Vor allem macht sich bezahlt, dass bei der Kaderplanung besonders viel Wert auf Tempo gelegt wurde. Taktisch und spielerisch können die Talente nämlich dazulernen, Schnelligkeit wurde ihnen in die Wiege gelegt. Fragt mal die Alt-Internationalen Hummels und Can.

Nach diesem Überraschungssieg, der wie Balsam auf die Wunden der Fanseele wirkt, würden wir am liebsten gleich „Oh du fröhliche“ anstimmen, wenn da nicht machtbewusste Clubfunktionäre im Hintergrund schon wieder ihre Intrigen spinnen würden. In diesem Fall wäre ich ausnahmsweise einverstanden, alle in die verlängerten Corona-Weihnachtsferien zu schicken und nur der Mannschaft das Sonderrecht einzuräumen, weitere Punkte gegen den Abstieg zu sammeln. Und ganz ehrlich: So mancher müsste meinetwegen im Januar gar nicht mehr zum Dienst antreten. Frei nach Wolfgang Schäuble: Mer sott wissa, wenn´s over isch.

BV Borussia Dortmund – VfB 1:5

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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