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Der Türsteher

Ein „temporeiches und unterhaltsames Spiel“ will der Kicker am Osterdeich gesehen haben. Nun ja, wer sich an die spektakulären Duelle der Bundesligageschichte zwischen dem VfB und Werder Bremen erinnert, kann da nur müde lächeln. Abwechslungsreich war über weite Strecken nämlich einzig der Ballbesitz. Und trotzdem hatte eine Aktion das Zeug zur Legende. Der Silas-Walk? Nein. Der Marcelo-Bordon-Gedächtnisknaller von Borna Sosa! Leider streifte der Ball das Außennetz, statt es von innen auszubeulen.

Es ist kein Geheimnis, dass die glanzvollen Zeiten an der Weser vorbei sind. Nach einer Katastrophensaison hat Florian Kohfeldt seiner Mannschaft erstmal Konsolidierung verordnet. Arbeit gegen den Ball statt Offensivspektakel. Sinnbildlich für das Bremer Spiel steht an diesem trüben Sonntagnachmittag trotzdem der 21-jährige Niederländer Tahith Chong. Er versucht viel, zeigt gute Ansätze und bringt am Ende doch keinen einzigen Ball auf das Tor von Gregor Kobel. Ähnlich ergeht es seinen Mitstreitern. Im letzten Drittel finden die Grün-Weißen keine Lösungen. Und wenn sie doch einmal durchkommen, treffen sie das Tor nicht, wie Osako in der 5. Minute. So bereitet man einer Abwehrreihe keine Kopfschmerzen.

Schon gar nicht dieser Stuttgarter Dreierkette: der Gladiator, der Kempfer und … ihr merkt es selbst. Wir brauchen endlich einen Spitznamen für Waldemar Anton. „Waldi“ will nämlich so gar nicht zu seiner Spielweise passen und hinterlässt bei mir immer einen intensiven Weißbiergeschmack. Ich bin sicher, Rino hat da schon was in petto. Solange nennen wir ihn einfach den Türsteher. Ein ums andere Mal lässt der Neuzugang aus Hannover nämlich die Bremer Angreifer abblitzen und macht sein bisher bestes Spiel im Trikot mit dem Brustring. Ja, ich weiß, das Gegentor. Dazu später mehr.

Im Spiel nach vorne kann der VfB den Schwung aus den letzten Spielen dagegen nicht mitnehmen. Es hat sich in der Liga inzwischen herumgesprochen, dass man Matarazzos Überfallfußball mit einem kompakten Zentrum und aggressivem Pressing beikommen kann. Ist die Mitte dicht, bleiben nur Versuche über Außen, die meistens daran scheitern, dass die Flanken misslingen oder im Strafraum kein Zielspieler bereitsteht.

Bei aller Freude über die gute Entwicklung der jungen Spieler erkennt man, dass Coulibaly noch lange kein vollwertiger Bundesligastürmer ist. Kalajdzic hat seine stärksten Szenen, wenn er sich fallen lässt und Bälle verteilt. Die einzige echte Neun im Kader, Hamadi Al Ghaddioui, wäre wohl auch ohne Verletzung außen vor. Wir müssen uns eingestehen, dass die Präsenz im gegnerischen Strafraum fehlt – erst Recht ohne González.

Dafür ist den Brustringträgern nach dem unglücklichen Spielverlauf gegen die Bayern Fortuna dieses Mal hold. Der aus Bremer Sicht völlig unnötige Elfmeter kommt aus dem Nichts, das entscheidende 0:2 präsentiert der Gegner auf dem Silbertablett. Dennoch darf man nicht unterschlagen, dass der ständige Druck auf den Ball und die latente Gefahr, die aus Umschaltsituationen entsteht, für jeden Gegner unangenehm sind. Hinzu kommt eine gewisse Bissigkeit im Zweikampf, die inzwischen auch Schöngeister wie Borna Sosa im Repertoire haben. Nicht seine Flanken sorgen an diesem Nachmittag für bewunderndes Raunen sondern seine Grätschen.

Für den Aufreger des Tages sorgt in den Schlussminuten eine Szene, die mit ein bisschen Abstand gar nicht mehr so aufregend ist. Silas belohnt sich für seine beeindruckende Laufleistung und beendet das Gespräch zwischen Ömer Toprak und Jiri Pavlenka: Nemm en du, i han en sicher. Während sich die Tollpatsche entsetzt anstarren, spaziert Wamangituka aufreizend lässig durch den Bremer Fünfmeterraum und vollendet mit der Pieke. So richtig feiern will ihn dafür keiner, denn Hochmut … ihr wisst schon. Als sich Davie Selke den Torschützen vorknöpft, kommt aus der Tiefe des Raumes – wer sonst? – der Türsteher und raunt dem ewigen Talent zu: „Heul nich, Digga. Ich lass dich gleich auch noch einen machen.“

So glanzlos dieser Sieg zustande kam, so wichtig ist er für den weiteren Saisonverlauf. Der VfB behält sein Sieben-Punkte-Polster auf den Relegationsplatz und darf mit der Gewissheit in die nächsten Spiele gehen, dass man sich vor der Konkurrenz auch dann nicht verstecken muss, wenn es mal nicht so läuft. Nach guten Leistungen mit bescheidener Punkteausbeute zeigt die Mannschaft, dass es auch dreckig geht. Der VfB bleibt damit – wer hätte gedacht, dass ich diesen Satz jemals schreiben würde? – der ungeschlagene Auswärtsschreck der Liga.

SV Werder Bremen – VfB 1:2

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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