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Der Heckenschütze

Bevor wir uns ernsten Themen widmen, werfen wir einen Blick auf den Liveticker. „43. min – Union weiter mit mehr Zug zum Tor. Nun schießt Teuchert aus 18 Metern mit rechts rund eineinhalb Meter über das rechte obere Toreck.“ Nach der Party kommt der Kater, wer kennt es nicht. Der Relegationsschreck führt im Neckarstadion verdient mit 1:0.

Foto: Reuters

Kurz vor seinem einjährigen Amtsjubiläum als VfB-Präsident und drei Monate vor der verschobenen Mitgliederversammlung 2020 wird sich Claus Vogt am vergangenen Donnerstag verwundert die Augen gerieben haben. Clubinterne Kritiker haben sich zu Wort gemeldet. Dazu haben sie aber nicht etwa um einen Termin gebeten, sondern den bewährten Gülleverteiler aus dem Hause Springer angeworfen. Die Vorteile liegen auf der Hand: Die Kritik muss weder fundiert sein, noch braucht sich der Absender zu erkennen zu geben. Die stinkende Brühe rein in den Tank, Pumpe marsch und das Zeug klebt jedem an der Backe, der auch nur in die Nähe kommt.

Die Szene könnte sich ungefähr so abgespielt haben: Ein Funktionär an der Mercedesstraße fühlt sich durch die externen Ermittler im Haus bedrängt und ruft eine Kontaktperson beim Gülleverteiler Nummer eins an. Nennen wir sie Heidemarie.

  • Hallo Heidi, ich bin´s, der Sniper. Worüber schreibst du denn diese Woche?
  • Sag´s du mir?
  • Ich hätte da was über den Präsidenten. Nichts Handfestes, eher so einen Einsteiger für eine Kampagne.
  • Keine Sorge, Handfestes brauchen wir nicht. Soll ich so ein Pseudo-investigativ-Ding draus machen?
  • Mach´s wie immer, ein paar Andeutungen, aber keine Namen.
  • Möchtest du eine Schleife drum? Ich hätte Korruption, Sex oder Vaterlandsverrat …
  • Danke, Heidi, dieses Mal nicht. Ich melde mich wieder.

Man könnte jetzt Detektiv spielen, um herauszufinden, wer sich hinter dem Decknamen verbirgt. Die Zahl der Verdächtigen ist nicht gerade klein. Wer uns zuerst das „Ja zum Erfolg“ und später den Quattrex-Dschungel als gepflegten Vorgarten verkaufen wollte, könnte sich durch den konsequenten Kurs des amtierenden Präsidenten in die Enge getrieben fühlen. Da kommt so ein Gülleverteiler gerade recht, um den Spieß umzudrehen.

An Motiven mangelt es also nicht, doch wem wäre dieses schmutzige Spiel zuzutrauen? An dieser Stelle kommen wir zum Kern des Problems: In Verein und AG haben mehrere Protagonisten bereits bewiesen, dass sie bei Lüge und Betrug keine Gewissensbisse bekommen. Vielleicht haben wir es ja sogar mit einem ganzen Sniper-Clan zu tun.

Kommt euch das etwas zu dramatisch vor? Wir können die Geschichte natürlich auch mit Humor nehmen, wie Kurt Krömer seine Gäste im RBB: Dann wolln wer ma gucken, wat die Heidi uns diesma vor die Tür jelegt hat. Die Vorwürfe an Claus Vogt im Schnelldurchlauf: Warum sind Dauer und Kosten der Ermittlungen zum Datenskandal so hoch? Warum lässt „Mutsch“ seine Aufgaben nicht ruhen? Warum gibt es noch keinen zweiten Investor? Verschweigt der Präsident, dass es ihm in Wahrheit doch nur um die Kohle geht?

Viel Fleisch ist nicht dran an dem armseligen Etwas, das sich hinter der Bezahlschranke verbirgt. Mit ein bisschen Recherche hätte sich Heidi ihre Fragen selbst beantworten können. Aber Handfestes war ja nicht erwünscht.

Der stellvertretende Sportchef des Gülleverteilers Süd sieht das anders. Er finde es mutig, sich kritisch mit einem beliebten Präsidenten auseinanderzusetzen. Ein Held, wer aus dem Club durchgestochene Informationen als Investigativstück verkauft.

Währenddessen verkündet Thomas Hitzlsperger die seit Langem geplanten Umstrukturierungen in der AG. Aus zwanzig Bereichsleitern mach zehn Direktoren. Schlanke Strukturen sind angesichts der herausfordernden Zeiten sicher keine schlechte Idee. Doch wie tief geht die Reform tatsächlich? Werden Arbeits- und Entscheidungsprozesse effizienter gestaltet oder nur Türschilder ausgetauscht?

„Das Einzige, was Rainer (Mutschler) jetzt hinnehmen muss, ist, dass er nicht mehr denselben Titel hat. Aber die Aufgaben bleiben gleich“, wird der Vorstandsvorsitzende zitiert. Sein einstiger Förderer Oliver Schraft muss seinen Posten als Kommunikationschef abgeben, doch Hitzlsperger möchte ihn im Club halten: „Er weiß, dass ich ihn sehr schätze und will, dass er bleibt, weil er uns auch in Zukunft weiterbringen kann.“

Angesichts der Tatsache, dass die beiden Genannten zur Zeit des Datenskandals verantwortliche Positionen in den betroffenen Abteilungen bekleideten, wirken die Treuebekundungen des AG-Chefs ziemlich fehl am Platz. Auch wenn er hinzufügt: „Sollten noch überraschende Ergebnisse und Erkenntnisse zu Tage treten, werden wir die Entscheidungen nochmal überdenken.“ Die Aussagen sind ein weiteres Indiz dafür, dass die AG bei der Aufklärung im besten Fall mit den Händen in den Hosentaschen daneben steht.

Den Heckenschützen mit dem Güllefass würde ich in diesem Zusammenhang gerne fragen: Wenn Claus Vogts Eignung für das Präsidentenamt dadurch eingeschränkt wird, dass er im Jahr 2017 vom Ehrenrat als Bewerber für den Vereinsbeirat abgelehnt wurde, wie steht es dann um die Eignung diverser Funktionäre, die den VfB zwischen 2016 und 2019 mit voller Wucht gegen die Wand gefahren haben? Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als auf Feld und Flur nach der Antwort zu schnuppern.

Und wie steht’s im Spiel gegen Union? „85. min – Kalajdzic steigt nach einer Klement-Ecke hoch und trifft wuchtig ins linke Toreck. Nur noch 1:2.“ Geht hier noch was? „90. min – Das Tor zählt! Wie auf den Video-Bildern zu sehen ist, hat Kalajdzic die Flanke mit der Brust angenommen und den Ball anschließend trocken rechts im Tor untergebracht.“ Es ist einfach nie zu spät, Gutes zu tun.

VfB – FC Union Berlin 2:2

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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