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Strohhalme und warme Semmeln

Stellt euch vor, ihr berichtet beruflich Woche für Woche über den Verein für Bewegungsspiele von 1893 und wollt euren Leserinnen und Hörern nicht ständig die Laune vermiesen. Gar nicht so einfach, denn die Helden mit dem Brustring gewinnen ziemlich selten. Auswärts schon gar nicht.

Und so hieß es am Donnerstagabend im PodCannstatt einmal mehr: „Seid gespannt, welchen Strohhalm wir in der nächsten Woche wieder rausziehen.“ Aber natürlich wird On Air auch kontrovers debattiert. Im Audio-Format des Zeitungsverlags Waiblingen fragen sich die Redakteure, ob Labbadia schon mit seinem Latein am Ende ist. Nur: Wer würde jetzt noch beim Himmelfahrtskommando Bad Cannstatt anheuern?

Die Gesichter der Mannschaft

Schauen wir erstmal nach Frankfurt. Der Klassiker am Samstagnachmittag lässt sich in drei Abschnitte teilen: Zunächst findet die Partie überwiegend in der neutralen Zone statt, dann geht die Heimmannschaft ins Forechecking, bevor die zweite Sturmreihe der Gäste für den Ausgleich sorgt. Nein, wir haben uns nicht in der Sportart geirrt – und müssen hoffentlich auch künftig keine Parallelen zwischen dem kurzen DEL-Abenteuer der Bietigheim Steelers und dem Cannstatter Abstiegskampf ziehen.  

Zur Halbzeit wundern sich die Zuschauer im Deutsche Bank Park über eine seltsam passive Eintracht und einen VfB, der die Räume geschickt verdichtet und die Gastgeber problemlos vom eigenen Tor fernhält. Der Haken an der Sache:  Auch die schwarz-rot Gestreiften bringen den Frankfurter Keeper nicht in Gefahr. Die Datenbank spuckt nach 45 Minuten eine statistische Torwahrscheinlichkeit (XG-Wert) von 0,05 zu 0,2 aus. Mehr Harmlosigkeit geht kaum.

Nach der Pause sehen wir dann ein wohlbekanntes Gesicht der Labbadia-Elf. Wie erstarrt lassen sich Endo und Co. vom Angriffspressing des Champions-League-Achtelfinalisten an den eigenen Strafraum drängen. In diesem Salzsäulen-Modus hat man zuletzt die erste Hälfte auf Schalke verschlafen, zuvor den zweiten Durchgang gegen Bremen und die erste Halbzeit in Sinsheim. Die Quittung: Sosa fälscht einen harmlosen Rode-Lupfer unhaltbar ins eigene Tor ab (55.).

Silas schiebt überlegt zum Ausgleich ein. (Foto: Getty Images via kicker.de)

Bis zum Ausgleich nach einem zielstrebig ausgespielten Konter über Endo, Haraguchi und Silas (75.) wankt die VfB-Abwehr bedenklich. Doch plötzlich ist der Glaube an die eigene Stärke wieder zurück. Die Schlussphase bietet einen offenen Schlagabtausch mit Vorteilen für den Tabellenfünfzehnten. Millot (79.), Karazor (85.) und Silas (88.) hätten die Schwaben noch zum Sieg schießen können.

In Dinos´ Schatten

Was machen wir also mit diesem nicht unbedingt eingeplanten Auswärtspunkt vom Frankfurter Stadtwald? Mit Blick auf die Tabelle bringt das Unentschieden den VfB erstmal nicht weiter, denn auch die Konkurrenz aus Bochum (2:0-Sieg in Köln), Schalke (2:2 im Revierderby) und Berlin (1:1 gegen Mainz) punktet. Labbadia beschwört trotzdem den vermeintlichen Aufwärtstrend: „Wenn wir so weiter machen und alle dran glauben, werden wir am Ende über dem Strich stehen“. Torhüter Bredlow findet, dass die Mannschaft „an die Leistung gegen Bayern anknüpfen“ konnte, während Sportdirektor Wohlgemuth bemerkt, dass der gewonnene Punkt „die Bilanz der letzten Wochen nicht grundsätzlich verändert“.

Recht hat er. In der „Labbadia-Tabelle“ steht der VfB nämlich mit 6 Punkten aus 9 Spielen weiter auf dem vorletzten Platz. Wenn ihr so weitermacht, werdet ihr am Ende ganz sicher unter dem Strich stehen, möchte man dem Mann zurufen, der als Garant für Ergebnisse verpflichtet wurde.

Dennoch dürfen die Spieler etwas Positives aus Frankfurt mitnehmen: Die zuletzt oft monierten Konzentrationsschwächen bleiben diesmal weitgehend aus. Die Abwehrkette zeigt gegen die gefürchtete Eintracht-Offensive eine konzentrierte Leistung. Allen voran Dinos Mavropanos, der den Frankfurter Senkrechtstarter Kolo Muani eindrucksvoll in die Schranken weist.

Mavropanos rettet artistisch vor Kolo Muani. (Foto: picture alliance/dpa)

Da das Stuttgarter Angriffsspiel nach wie vor empfindlich unter dem Ausfall von Zielspieler Guirassy leidet, dürfen gleich ein halbes Dutzend Spieler ihre Visitenkarte abgeben. Silas erinnert daran, dass er vor dem Tor durchaus kaltschnäuzig sein kann. Die zuletzt gesetzten Führich und Dias spüren dagegen den heißen Atem ihrer Konkurrenten. Auch Haraguchi und Karazor müssen einen Zahn zulegen, wenn sie ihren Platz nicht an Enzo Millot verlieren möchten. Der strahlt nämlich in einer knappen Viertelstunde mehr Torgefahr aus, als seine Mittelfeldkollegen in den letzten drei Spielen.

Hansi oder Guido

Seit sich Ex-Sportdirektor Mislintat vergangene Woche zur Lage des VfB geäußert hat, schießen aus Fankreisen wieder die wildesten Thesen ins Kraut. Dabei geht es zum einen um die neue sportliche Führung, die aus den fabelhaften Jungs einfach kein schlagkräftiges Team formen kann. Aber auch um angebliche Transferüberschüsse in dreistelliger Millionenhöhe, die Grund genug seien, Don Mislintat ein Denkmal zu bauen.

Nur von welchem Geld? Die Kassen sind nämlich chronisch leer, was die einen Herrn Wehrle anlasten, andere eher denjenigen, die vorher am Ruder waren. Oder im Zweifel dem eingetragenen Verein und dessen selbstbezogenen Funktionären. Eigeninteressen, Handgelder, Baukosten, Kompetenzvakuum – die Debatte wabert zwischen Informationslücken und Fantasiegebilden.

Einig sind sich die Diskutanten aber in einem: Alle Verantwortlichen raus! Also: „Wer soll Präsident werden? Aber bitte ernste Vorschläge und nicht Hitz“. Stimmt, der hat es ja schon mal erfolglos probiert. Ich freue mich auf eine datenbasierte, innovative, zukunftsorientierte Lösung. Doch siehe da: „Hansi Müller oder Guido Buchwald“. Virtueller Beifall brandet auf. Was wohl Matchmetrics dazu meint?  

Ausverkauft

So sehr der Abstiegskampf den VfB-Fans auch an die Substanz geht, der Leidenschaft für den Brustring können die sportlichen Pleiten offensichtlich nichts anhaben. Wie der Präsident begeistert feststellt, wird die Autobahn Richtung Frankfurt am Samstag wieder zur A1893 und die Kontingente für die Auswärtsspiele in Berlin, Nürnberg und Bochum gehen weg wie warme Semmeln. Wer den Weiß-Roten im Abstiegskampf beistehen möchte, muss also nicht nur leiden können, sondern auch findig sein beim Ergattern von Eintrittskarten.

SG Eintracht Frankfurt – VfB Stuttgart 1:1

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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