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Das große Schulterklopfen

Südschlager? Ja, so hieß das früher mal, als das Neckarstadion noch kein Selbstbedienungsladen war. Manche wagen es sogar, im Vorfeld des Samstagabend-Spiels den Begriff Südderby aus der Schublade zu holen. Die Wahrheit ist: Man muss befürchten, dass dem FC Bayern nicht mehr als ein lästiger Botengang vor der großen Champions-League-Show bevorsteht.

Die gute Nachricht nach dem Spiel: Der VfB schafft es, den Rekordmeister über die gesamte Spielzeit zu fordern und den Fans ein spannendes Fußballspiel zu präsentieren. Die schlechte: Elf Spieltage vor Schluss steckt der VfB zusammen mit den Konkurrenten aus Bochum, Schalke, Hoffenheim und Berlin in einem Schneckenrennen um den Klassenerhalt fest. Selbst die historisch schlechte Startbilanz eines gewissen Markus Weinzierl wirkt solide gegen Labbadias fünf Pünktchen aus acht Partien.

Auf den Rängen ist das Duell gegen die Bayern so heiß wie eh und je. (Foto: twitter.com/VfB)

Never change a losing team

Angesprochen auf die umstrittenen Personalien Anton und Silas verkündet der Trainer in der Pressekonferenz am Donnerstag: „Ich würde es wieder so machen“. Dass die beiden auf ungewohnter Position ihre Stärken kaum einbringen können? Dass der eine an der Seitenlinie haarsträubende taktische Fehler begeht und der andere als Stoßstürmer keinen Ball festmacht? Labbadia kümmert es nicht. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, bleibt er stur wie ein Fuhrmann im Hohlweg. Keine Überraschung daher, dass mit Ausnahme des gesperrten Sosa die gleiche Mannschaft aufläuft, die letzte Woche so enttäuschte.

Immerhin ist diesmal zu sehen, dass man sich in der Kabine etwas vorgenommen hat. Bis zu fünf Spieler laufen die Bayern-Abwehr in den ersten Minuten schon am Fünfmeterraum an. Ähnlich wie in Leipzig gelingt es meistens, das Zentrum so zu verdichten, dass die Musiala-Dribblings ersticken und Kimmich seine gefürchteten Chip-Bälle in den Strafraum nicht anbringen kann.

Starke Parade von Bredlow gegen Goretzka. (Pressefoto Baumann)

Zur Freude der Heimfans überstehen die Jungs im Brustring zunächst die brenzligen Situationen und kommen selbst zu zwei vielversprechenden Chancen. Itos linke Klebe zischt nur knapp am Giebel vorbei (17.) und de Ligt schlägt einen Mavropanos-Kopfball von der Torlinie (37.), bevor wenig später sein Flatterball aus 25 Metern unter Bredlows Händen durchrutscht (39.). Obwohl die neue Nummer eins bis dahin tolle Reflexe gezeigt hat, verlängert sich die Liste der Gegentreffer nach Torwartfehlern weiter und der FC Bayern ist kurz vor der Pause auf der Siegerstraße.

Schlagabtausch mit den Stars

Das Kräftemessen mit den Besten ist für einen ambitionierten Profi, der mit seiner Mannschaft im zweiten Jahr nacheinander im Abstiegssumpf steckt, ein willkommenes Schaufenster. Mavropanos und Ito dürften sich mit ihren Leistungen von Samstagabend bei den Scouts in Erinnerung gebracht haben. Selbst der im Brustring bisher unglückliche Zagadou legt gegen die geballte Bayern-Offensive einen abgeklärten Auftritt hin. Anderen werden im direkten Duell mit den Stars und Sternchen die Grenzen aufgezeigt.

Zum Beispiel Atakan Karazor. Wenn die bayerische Kombinationsmaschine das Tempo anzieht, wirkt der designierte Stabilisator wie ein Fiat Cinquecento im zweiten Gang. Selbst Kapitän Endo hat da keine Zeit mehr für seine typischen Pirouetten. Auf dem Flügel werden – wie nicht anders zu erwarten – Anton und Dias von Davies und Musiala fachgerecht filettiert, während Führich feststellen muss, dass selbst ein Stanisic genügend Klasse besitzt, um ihn im Sprint abzukochen.  

In der Schlussphase wird die Partie dann richtig wild. Juan José Perea und Tanguy Coulibaly sollen die Kohlen für die Weiß-Roten aus dem Feuer holen. Der Kolumbianer kann es kaum fassen, als sein Kopfball in der 88. Minute im rechten Toreck einschlägt. Fast hätte sein französischer Kompagnon in der Nachspielzeit sogar noch zum Ausgleich getroffen – ebenfalls per Kopf. Der Wille und die Begeisterung sind den beiden wirklich nicht abzusprechen, gleichzeitig kommen aber taktische Defizite zum Vorschein, die jeden Jugendtrainer zur Verzweiflung brächten.

Siege statt Floskeln

Im Dezember wurden in Bad Cannstatt zum Unverständnis vieler Fans die Uhren neu gestellt. Ergebnisse gehen über alles, hieß die Devise. Labbadia und Wohlgemuth sollten dafür garantieren, doch drei Monate später rudern die beiden vergeblich gegen die Strömung. Am Sky-Mikrofon sieht der Sportdirektor schon vor Anpfiff blass aus. Ergebnisse hat er nämlich keine vorzuweisen, stattdessen hallen seine ungeschickten Äußerungen vom Schalke-Spiel nach. Außer den handelsüblichen Floskeln fällt ihm wenig ein. So virtuos wie sein Vorgänger kann eben nicht jeder den Schlamassel schönreden.

Trotzdem versucht das weiß-rote Lager nach Schlusspfiff, die prekäre sportliche Lage durch Schulterklopfen erträglicher zu machen. „Wir haben uns nicht belohnt“, konstatiert Phrasenautomat Anton zum x-ten Mal, Torwart Bredlow will „viel Positives mitnehmen“ und Sportdirektor Wohlgemuth hat eine gute Leistung gesehen, „auf der wir definitiv aufbauen können“. Doch im Grunde wissen alle, dass der Kampfgeist gegen den Meisterschaftsfavoriten am Ende der Saison nicht einmal eine Fußnote wert sein wird.

Fünf Siege braucht Labbadia bis Ende Mai, um das rettende Ufer zu erreichen. Wer glaubt, dass es in Bochum, Augsburg oder Berlin leichter wird, der hat die Lektion von letzter Woche nicht gelernt. Jetzt müssen genau jene Ergebnisse her, die so vollmundig angekündigt wurden. Sonst wird der Umbruch nach Saisonende womöglich größer, als sich das so mancher in der Mercedesstraße heute vorstellen mag.

VfB Stuttgart – FC Bayern München 1:2

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Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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