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Hilflos gegen lustlos

Heimspiele zur Volksfestzeit gelten für manche als das Höchste der Gefühle, weil man den Stadionbesuch durch Trinksport auf dem Wasen einrahmen kann. Dementsprechend rüpeln sich viele Stadiontouristen durch den Samstagnachmittag. Die einen können dem Spiel in ihrem Suff gar nicht mehr folgen, die anderen rennen alle paar Minuten los, um Flüssigkeit zu be- oder entsorgen. Mit richtigem Fußball hat auch das Geschehen auf dem Rasen wenig zu tun.

Auf der Liegewiese

Für jeden Sportler ist es besonders frustrierend, wenn er sich die Zähne an einem Gegner ausbeißt, der selbst gar nicht gewinnen will. Der Verein für Leibesübungen aus Wolfsburg ist an diesem kühlen Aprilnachmittag nur nach Bad Cannstatt gekommen, um das Spiel zu verschleppen und die letzten theoretischen Zweifel am Klassenerhalt zu beseitigen.

Schon in der Anfangsphase haben die Sanitäter die meiste Laufarbeit zu verrichten. Nicht dass die Partie besonders hart wäre, das Herbeiwinken der medizinischen Abteilung wirkt vielmehr wie der einzige Matchplan der Gäste. Sie liegen oft und sie liegen lang – auch weil Herr Jablonski nicht einschreitet.

Und die Heimmannschaft? Der fehlen jegliche Mittel, um die Niedersachsen für ihre lustlose Herangehensweise zu bestrafen. Im Gegenteil: Brooks wird nach einer Ecke geradezu zum Führungstreffer eingeladen (13.).

Brooks überspringt die VfB-Abwehr und erzielt das frühe 0:1. (Foto: IMAGO/Langer/IMAGO/Harry Langer/DeFodi Images)

Impuls von der Bank

Für seine Startelfnominierung dankt Erik Thommy zwar mit Läufen über den ganzen Platz, der Ertrag bleibt aber wie bei der ganzen Mannschaft überschaubar. Die ersten halbwegs ernstzunehmenden Torannäherungen der Brustringträger verpasst ein guter Teil des Publikums auf dem Weg zum Halbzeitimbiss.     

In der zweiten Hälfte erhöht Matarazzos Team dann zwar seine Spielanteile, leider aber nicht die Präzision im letzten Drittel. Der Ausgleich in der 89. Minute fällt nicht etwa als Ergebnis einer erdrückenden Schlussoffensive, sondern eher überraschend.

Dass die beiden Einwechselspieler Enzo Millot und Chris Führich entscheidend beteiligt sind, gehört zu den guten Nachrichten des Tages. Endlich kommt mal wieder ein Impuls von der Bank und auch der zuletzt kritisierte Florian Müller darf sich dank einer starken Parade gegen Jonas Wind (87.) seinen Anteil am letztlich gerechten Unentschieden gutschreiben.

Anlass zur Sorge gibt dagegen die Leistung der Offensivabteilung. Die ambitionierten Auswahlspieler aus Österreich und Ägypten sind in dieser Verfassung von einer tragenden Rolle bei einem Topklub so weit entfernt wie die Wolfsburger von einem vollen Auswärtsblock. Ob sie in Gedanken schon beim nächsten Verein sind oder – im Fall von Sasa Kalajdzic – noch an den Folgen der Corona-Infektion zu knabbern haben, ist von außen schwer zu beurteilen.

Wie einst im Juni?

Fast schon bemitleidenswert eiert der VfB der Ziellinie entgegen wie ein Kreisel, dem der Schwung ausgeht. Jeder im Stadion erkennt, dass die Mannschaft in dieser Verfassung keinen Zweitligisten in Angst und Schrecken versetzt. Doch woher soll die Energie für eine Trendwende kommen? Matarazzo wirkt so ratlos, wie wir ihn in seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit nicht gesehen haben.

Höchstens vielleicht im Juni 2020, als sein Team den Aufstieg nach einem leblosen 0:0 gegen Osnabrück und einer anschließenden 2:1-Pleite im Derby fast schon verspielt hatte. Die Schwäche der Konkurrenz und zwei wundersame Kantersiege gegen Sandhausen und Nürnberg retteten damals die Saison und läuteten seine bislang erfolgreichste Phase als Profitrainer ein.

Zwei Jahre später fällt es schwer, an ein erneutes Wunder zu glauben. Bayern und Köln sind eben ein anderes Kaliber und ein stänkernder Badstuber, dessen Degradierung letztlich die Fesseln löste, ist auch nicht in Sicht.

Erklärungsversuche

„Uns war vor der Saison klar, dass wir gegen den Abstieg kämpfen werden.“ „Es gibt konkrete Gründe, warum die Mannschaft in dieser Saison nicht an die Leistungsgrenze kommt.“ Diese und ähnliche Aussagen sollen die prekäre Situation im Abstiegskampf einordnen.

Das Problem der Argumentation: Sie unterstellt Anwürfe, die niemand formuliert hat. Mit Platz 13 bis 15 könnten die meisten VfB-Fans sicher gut leben und für die Leistungsschwankungen einer jungen Mannschaft bringen viele Verständnis auf.

Leider sieht die Lage zwei Spieltage vor Schluss anders aus. Der Rückstand zum rettenden Ufer beträgt kaum einzuholende vier Punkte und die Leistungskurve der Mannschaft zeigt seit einigen Spielen steil nach unten. Über die Ursachen für diesen Einbruch rätseln die Verantwortlichen offensichtlich selbst.

Wir können nur hoffen, dass sie schnell eine Antwort finden, denn im besten Fall bleiben vier Spiele, um das Minimalziel zu erreichen. Aufgaben, die komplizierter werden als so manche Partie, die im Lauf der Saison leichtfertig hergeschenkt wurde.  

Anschnallen

Der Champions-League-Teilnehmer aus der Autostadt nimmt den Punkt dankend mit. Der Werksklub hat seine Saisonziele zwar krachend verfehlt, kommt aber letztlich mit einem blauen Auge davon. Für den VfB und seine Fans geht es mit etwas Glück auf eine Extrarunde mit der wilden Maus. Relegation kann auch Spaß machen, meint der neue Vorstandschef. Na dann: Anschnallen, Herr Wehrle.

VfB Stuttgart – VfL Wolfsburg 1:1

Zum Weiterlesen:

Zu wenig zu spät – Rund um den Brustring

Die Furcht vor der Relegation – Vertikalpass

VertikalGIF #VfBWOB: Besser, aber nicht gut genug – Vertikalpass

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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