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Frustrierende Fragezeichen

Es ist Anfang Januar und beim VfB Stuttgart brennt es. So weit, so normal. Ich persönlich kenne es gar nicht anders, mein VfB-Leben findet fast vollständig nach 2007 statt. Aber dennoch ist diesmal etwas anders als sonst. Wo normalerweise sportlich Alarmglocken schrillen und Führungschaos herrscht, wird diesmal Konfetti über die Mannschaft gekotzt. Auch über die Führungsetage wird gekotzt. Ohne Konfetti. Aber leider auch ohne Durchblick für die normalen Mitglieder.

The same procedure as every year

Wieder scheint sich ein Graben durch den Verein zu ziehen. Wieder stehen sich zwei Seiten unversöhnlich gegenüber. Ärgerlicherweise sind die Lager weniger klar als noch zu Zeiten Wolfgang Dietrichs. Beide werden durch einen Sympathieträger vertreten. Beide Seiten bewerfen sich mit Dreck, bei dem am Ende persönliche Vorwürfe und unklare Anschuldigungen bleiben. Profilierungssucht, externe Berater als Einflüsterer und Führungsunfähigkeit bei Vogt; Desinteresse an Aufklärung und Mitgliederinteressen, Vertuschung in der AG und Schutz alter Seilschaften bei Hitzlsperger. Bis vor kurzem standen Beide für den neuen VfB. Transparent, handelnd mit Blick auf den Verein und moralisch integer. Es ist offensichtlich: Die Gemengelage ist kompliziert, sogar für die üblichen Verhältnisse in der Mercedesstraße.

Kaum etwas ist wirklich klar

Immerhin ist es eindeutig, wer den Machtkampf begonnen hat. Hitzlsperger hat Vogt in seiner Stellungnahme mit Vorwürfen überzogen. Aber die wenigen Fakten konnte Vogt entkräften. Die Ermittlungen sind von einer Versicherung gedeckt. Das konnten auch von den Medien bestätigt werden. Die Frage nach einer zwischenzeitlichen mangelnden Liquidität bleibt. Alleingänge sind in der Struktur des VfBs technisch nicht möglich. Auch Vogt braucht Mehrheiten in den Gremien.

Falls er sich als Aufsichtsrat in das Tagesgeschehen eingemischt hat, wäre das tatsächlich ein ordentliches Problem. Der Aufsichtsrat kontrolliert die Arbeit des Vorstands. Übermäßige Einflussnahme verbietet sich hier. Aber soll das wirklich der Grund für diese Frontalattacke sein? Zumal Belege für dieses Verhalten auf der typischen stillen Post basieren, die nur wenig Vertrauen erweckt. Angeblich durchgesteckte Interna waren selten gute Quellen beim VfB. Es fragt, wie Vogt so in den letzten 10 Jahren ein erfolgreichs KMU führen konnte.

Mislintats Beharren auf Klärung von Kompetenzen und Verantwortungsbereich bei seiner Vertragsverlängerung könnte auf häufiger Einmischung Vogts basieren. Berichte über ein schlechtes Verhältnis zu Personen des Aufsichtsrat und Präsidiums beziehen sich sehr sicher auf Vogt. Aber auch hier wieder: Angebliche Insider-Infos. Genauso möglich ist, dass sich Mislintat gegenüber dem Sportvorstand absichern wollte. Verständlich, falls nicht mehr Hitzlsperger den Posten bekleidet. Immerhin hatte dieser bisher beim VfB kaum ein Amt länger als ein Jahr inne. Und greift trotz seiner aktuellen Doppelfunktion nach dem nächsten.

Die Gegenvorwürfe von Claus Vogt oder auch Oliver Trust haben jedoch dasselbe Problem. Die Unterstellung einer organisierten Verdrängung Claus Vogts, orchestriert aus den Hinterzimmern, fällt spätestens seit der Ausgliederung auf fruchtbaren Boden bei geneigten Leser:innen. Gleiches gilt für die Behauptung, einige Personen hätten ein Problem mit beständigen Nachfragen und den Ermittlungen. Es könnten zu viele Leichen im Keller zum Vorschein kommen.
So nachvollziehbar das mit den Erfahrungen der letzten Jahren klingt, so stimmig da Hitzlspergers unerwartete Kandidatur mit dem vorbereiteten Brief wirkt – belegt sind die Vorwürfe nicht. Noch nicht.

Ein Lichtblick: Der Esecon-Bericht

Stand jetzt bleibt für alle Außenstehenden nur riesige Fragezeichen. Wer ist der Böse? Wer hat welchen Interessen im Blick? Und welche Personen in seinem Rücken?
Es ist zu befürchten, dass von den beiden Frontkämpfern keine weiteren Einblicke zu erwarten sind. Hitzlspergers weitere Anschuldigungen waren von Anfang an so persönlich, dass er sie nicht belegen kann. Bei einigen Anschuldigungen dürften Belege wie Vertragsdetails aus rechtlichen Gründen nie an die Öffentlichkeit gelangen. Der synchron abgegebene Tweet vom 2. Januar wirkt immer mehr wie reine Beschwichtigung.
Die einzige Hoffnung auf Aufklärung liegt für die Mitglieder im Esecon-Bericht. Sollten sich die Anschuldigungen in ihrer Härte als berechtigt erweisen, hat Hitzlsperger einen ganz schweren Stand. Genauso geht es Vogt, falls nichts gefunden werden sollte.

Deswegen ist nicht nur entscheidend, dass dieser Bericht vor der Präsidentschaftswahl veröffentlicht wird. Wichtiger wird seine Umfang und seine Tiefe sein. Falls Schweigen in der AG eine vollständige Aufklärung verhindert, ist eine Abstimmung kaum möglich. Wenn die Wahl nach blindem Vertrauen und Sympathie entschieden wird, wäre das peinlich wie gefährlich.

Also alles wie immer?

Der große Unterschied zu den letzten Jahren liegt tatsächlich auf dem Fußballplatz. In Stuttgart wird Fußball wieder gespielt, es scheint ein Plan vorhanden zu sein vom Torhüter bis in die sportliche Leitung. Entsprechend gering ist das Interesse der breiten Anhängerschaft an den Machtkämpfen in der Spitze. Hier sollte sich die engagierte Twitter-Gemeinschaft von Podcaster:innen, Blogger:innen und Allesfahrer:innen keine falschen Vorstellungen machen. Es läuft, und das Herz der leidgeprüften VfB-Anhängerschaft möchte das nun einfach mal genießen.

Hier liegt auch Hitzlspergers größtes Ass: Materazzo und Mislintat haben seine Qualitäten häufig gelobt. Besonders mit Mislintat harmoniert er. Schwer vorstellbar, dass dieser dem Verein bei einem Ausscheiden Hitzlsperger lange erhalten bleibt. Genau dieses Szenario droht jedoch bei einer Wahlniederlage Hitzlspergers. Und allen sollte klar sein, dass der Verlust der beiden handelnden Personen nicht zu ersetzen sein wird. Die Gefahr, die sportlichen Fortschritte der vergangenen Monate zu vernichten, ist real. Hitz gilt als sehr intelligent, er wird sich dieses Trumpfs bewusst sein. Das erklärt auch den hohen Einsatz, den er eingeht.

Die Frage nach der Integrität

Eine Frage müssen sich die Unterstützer von Hitzlsperger aber stellen: Wenn das Argument für ihn der aktuelle sportliche Erfolg ist, den man nicht wegen moralisch bedenklichem Verhalten und strafrechtlichen Vorwürfen im Datenskandalgefährden möchte – Was genau unterscheidet dann den VfB Stuttgart von einem Konstrukt wie RB Leipzig?
Dass der Investor, der unter fragwürdigen Bedingungen eingestiegen ist, aus der Region kommt? Das reine Gründungsdatum?

Moralische Integrität wird es nicht mehr sein können. Demokratische Prinzipien wie Gewaltenteilung erst recht nicht. Bindung an die Menschen in der Region droht zu einer Marketing-Hülle zu werden. Umso mehr, wenn bei der Suche nach weiteren Investoren Geschwindigkeit und Finanzstärke Priorität haben. Wer gegen kritische Fragen und gesellschaftliche Positionierung, aber für schnellen sportlichen Erfolg mit allen Mitteln wirbt, muss mir den Unterschied zum Red Bull-Konstrukt, einem VfL Wolfsburg, einer TSG Hoffenheim oder auch Scheich-Clubs wie Paris St. Germain bitte Mal erklären.

Wer von Corporate Governance spricht, sollte vielleicht von Allmachtsbestrebungen Abstand nehmen. Seine eigenen Forderungen mit einem Hitzschen Hammer in die Tonne zu treten, macht wenig glaubwürdig. Warum der einzelne „starke Mann“ auf einmal wieder die Lösung aller Probleme sein soll, verwundert auch.
Glaubwürdigkeit sollte sich auch der Vereinsbeirat zu Herzen nehmen. Noch ist nicht klar, welche Kandidaten zur Wahl gestellt werden. Um den amtierenden Präsidenten wird man nicht herum kommen. Aber für Hitzlspergers Ambitionen sei auf Dr. Bernd Gaiser verwiesen: „Der Verein wird weiterhin eine starke Rolle in der Profi-AG einnehmen. Zu dieser starken Rolle gilt, dass der Präsident zugleich Aufsichtsratsvorsitzender ist. An der Zusage halten wir auch fest.“

So bleiben an allen Ecken und Enden Fragezeichen. Die Vorwürfe: unbestätigt. Die Auswirkungen: unabsehbar. Die Konsequenzen: unklar.
Eines ist sicher: es wird spannend im März. Es wird unschön werden und es wird viele Verlierer geben. Und der größte wird – mal wieder – der VfB Stuttgart sein.

Ein Kommentar

  • Christoph

    Gelungene Darstellung der verfahrenen Situation beim VfB.

    Besonders interessant: „Deswegen ist nicht nur entscheidend, dass dieser Bericht vor der Präsidentschaftswahl veröffentlicht wird. Wichtiger wird sein Umfang und seine Tiefe sein. Falls Schweigen in der AG eine vollständige Aufklärung verhindert, ist eine Abstimmung kaum möglich.“

    Auf welcher Grundlage sollen die Mitglieder im März einen Präsidenten wählen, wenn so viele unbelegte Vorwürfe im Raum stehen? Wird der Esecon-Bericht wirklich Licht in die Sache bringen?

    Bei der Frage, ob Mislintat auch ohne Hitzlsperger beim VfB bleiben würde, bin ich anderer Meinung. Mislintat wird sich in erster Linie für seine Entscheidungsbefugnisse und die Rückendeckung aus dem Vorstand interessieren. Solange er diesbezüglich unterstützt wird und sich die Mannschaft weiter so gut präsentiert, gibt es für ihn keinen Grund zu gehen.

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