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Der böse Geist von Cannstatt

Vom Bodensee bis Hohenlohe raufen sich die VfB-Fans verzweifelt die Haare (so sie denn noch welche haben). Warum ist unser Herzensverein in seinem Scheitern so berechenbar? Warum werden am Ende stets die Unkenrufe wahr? Für Unerklärliches greifen wir gerne auf den Glauben zurück: Die einen beten zu Gott, die anderen verschwurbeln ihre veganen Rezepte mit ein paar teuflischen Zahlen und gehen in den Untergrund.

Der einsame Präsident

„Cannstatter Kurve, geh mit Stolz voran, denn jeder einzelne ist der zwölfte Mann.“ Claus Vogt setzte das Selbstverständnis der eingefleischten VfB-Anhänger am Sonntag neunzig lange Minuten einsam auf der Tribüne stehend um. Seinem Gesichtsausdruck war jedoch zu entnehmen, dass er sich dabei zunehmend unwohl fühlte. Ohne Fans ist es eben nicht die Cannstatter Kurve. Vielleicht ging dem ehemaligen Vorsitzenden des FC PlayFair! dabei auch der bedenkliche Zustand des Profifußballs insgesamt durch den Kopf. Die Lobby des DFL-Turbokapitalismus erweist sich als beängstigend stark und zeigt immer deutlicher seine hässliche Fratze. Red Bulls Schuldenerlass und Windhorsts Millionenzuschüsse lassen jeden Fußball-Romantiker erschaudern. Und der Präsident des VfB Stuttgart steht dem machtlos gegenüber, genauso wie der fußballerischen Erosion seiner Lizenzspielermannschaft.  

Mislintats Strohfeuer

Der Sportdirektor wollte neulich die Mannschaft nach zwei peinlichen Niederlagen aufrütteln, indem er der Öffentlichkeit einmal laut sein Glaubensbekenntnis vorbetete: „Ich glaube an Pellegrino Matarazzo“. Nur zehn Tage später muss das Diamantenauge erkennen, dass man bei bräsigen Atheisten mit Gebeten wenig Gehör findet. Seine Treueschwüre verhallen genauso wie seine Weckrufe im leeren Rund des Neckarstadions. Am Ende herrscht Grabesstille. Welches Zeichen kann er jetzt noch setzen? Mallorca? Glühende Kohlen? Oder eine Wutrede Flasche leer?

Das Trainer-Paradoxon

Je länger ein Trainer beim VfB arbeitet, desto näher kommt die Mannschaft der Nulllinie. Null Plan, null Leidenschaft, null Leistung. Tim Walter und Pellegrino Matarazzo sind ja nun wirklich völlig unterschiedliche Typen. Aber nach fünf Monaten Arbeit mit der Mannschaft sieht das Ergebnis verblüffend ähnlich aus. Meinte man in den ersten Spielen noch die jeweilige Handschrift der Trainer zu erkennen, scheint ihr Einfluss im Laufe der Zeit zu versanden. Von Mut und Offensivgeist bleiben dann nur leere Worthülsen. Das Angriffsspiel der Weiß-Roten ist zäher als der Feierabendverkehr am Leonberger Kreuz.

Elf Freunde müsst ihr sein …

Spätestens seit Sammy Drechsels wunderbarer Geschichte von den Berliner Jungs, die gemeinsam allen Widrigkeiten trotzen, wissen wir, dass es im Fußball nicht nur auf Können ankommt. Bis zu den hoch bezahlten Angestellten des VfB hat sich die Botschaft des Klassikers aus dem Jahr 1955 noch nicht herum gesprochen. Der ein oder andere von ihnen hält sich für überdurchschnittlich begabt, aber sie bilden keine Mannschaft. Kein Trainer seit – haltet euch fest – Tayfun Korkut konnte so etwas wie eine Einheit formen. Aber auch das war nur von kurzer Dauer.

Die Geschichte vom destruktiven Mannschaftsgeist ufert bisweilen zur Verschwörungstheorie aus. Christian Gentner soll jahrelang der Rädelsführer der Zerstörer gewesen sein. Nach dem Umbruch im Sommer ist freilich kaum einer übrig, der das ansteckende Virus weitergeben könnte. Oder ist am Ende Jens Grahl das trojanische Pferd? Verhext Teambetreuer Günther Schäfer die Spieler?

Was auch immer der Grund für den fehlenden Zusammenhalt und das schlechte Leistungsklima sein mag, die Verantwortlichen täten gut daran, ihm auf die Schliche zu kommen. Denn sonst könnte der böse Geist von Cannstatt allen Treuebekundungen zum Trotz bald weitere Kerben in seinen Bettpfosten ritzen.

VfB – VfL Osnabrück 0:0

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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