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Viel Theater, wenig Fußball

Habt ihr euch auch schon gefragt, warum sich die Verantwortlichen gegen eine Abdeckplane über die Ruinen der Haupttribüne entschieden haben? Seit Samstag beschleicht mich der Verdacht, dass man beim VfB eine Vorahnung hatte, dass die Baustellenkulisse besser zu den Darbietungen auf dem Rasen passen würde als eine schön bedruckte Plane.

Die Liebhaber der feinen Klinge kommen jedenfalls auch beim Spiel gegen Schalke nicht auf ihre Kosten. Ideenlosigkeit, Abspielfehler und Ruppigkeiten machen die Begegnung zwischen dem Fast-Absteiger aus Cannstatt und dem Aufsteiger aus Gelsenkirchen zu einer ziemlich unansehnlichen Angelegenheit.

Ungefährlich: Silas kann Yoshida zwar abschütteln, bringt dann mit Links aber nur eine bessere Rückgabe zustande. (Foto: kicker.de)

Keine Linie

Schiedsrichter Florian Badstübner und der VfB werden an diesem Nachmittag ganz gewiss nicht zu Freunden, aber eines haben sie doch gemeinsam: Ihnen fehlt vollkommen die Linie. Dabei gelingt es der Mannschaft von Pellegrino Matarazzo in der Anfangsphase sogar noch, einige vielversprechenden Angriffe einzuleiten, aber am Schalker Strafraum läuft man sich immer wieder fest. Eine der wenigen Ausnahmen ist die 18. Minute, als Silas ein Gastgeschenk von Neuzugang van den Berg an- und mitnimmt und Chris Führich zum 1:0 auflegt.

Wer gedacht hat, dass die Führung den Weiß-Roten Sicherheit geben würde, sieht sich schnell getäuscht: Zuerst darf Simon Terodde nach einem Ballverlust in der Vorwärtsbewegung beweisen, dass er es auch in der Bundesliga kann, danach bestimmen Rudelbildungen und Verletzungsunterbrechungen das Bild. Schon zur Pause ist das Unentschieden für den Gastgeber eher glücklich.

Die zweite Hälfte darf man getrost als fußballerischen Totalausfall bezeichnen. Nur Vagnomann bringt etwas Farbe ins Spiel, als er sich zuerst wie ein Schüler tunneln lässt, dann die Schulter rausstellt, um nach Anton, Pfeiffer und Matarazzo schon den vierten Platzverweis der noch jungen Saison zu kassieren. Ob man die beiden gelben Karten gegen den Neuzugang aus Hamburg geben muss? Unser Sportdirektor hält sie für „einen Witz“, selbst der Schalker Gästeblock – vor dem die Aktion stattfindet – ist kurz verwirrt, doch nach einer so schwachen Mannschaftsleistung würde ich mich lieber an die eigene Nase fassen.

Zum Glück fällt den Gästen auch gegen dezimierte Stuttgarter wenig ein. Nur in der 89. und 91. Minute werden die Nerven der VfB-Fans noch einmal strapaziert, aber der eingewechselte Rodrigo Zalazar passt sich dem Niveau der Partie nahtlos an und verpasst freistehend die Entscheidung.

D-Day

So niveauarm das Schauspiel auf dem Rasen, so spannend war der Donnerstag. Ob es an den Fußballmanager-Simulationen, der TV-Inszenierung, überschüssiger Zeit oder übermäßigem Geltungsdrang der zumeist jungen Fans liegt: Transfernachrichten im Allgemeinen und der letzte Tag des Transferfensters im Besonderen erfahren neuerdings einen fast surrealen Hype.

Während am Vormittag angeblich Ludovic Ajorque von Racing Strasbourg schon auf dem Weg zum Medizincheck nach Cannstatt ist, melden die Transferticker im Laufe des Tages plötzlich eine Einigung mit Serhou Guirassy von Stade Rennes. Die Community begeitet die Show mit virtuellen Ohs und Ahs. Erstaunlich, wie schnell sich eine scheinbar qualifizierte Meinung zu den Spielern bildet. Ich nenne es die T&Y-Universität: transfermarkt und youtube.com.

Meistens steht am Ende solcher Sessions das vor Bewunderung zitternde Fazit: Sven, du Gott! Der Sportdirektor und Kaderplaner des VfB weiß die T&Y-Generation mit überraschenden Verpflichtungen und beeindruckenden Transferüberschüssen zu begeistern. Der 26-jährige Guirassy wird trotz seiner stabilen Leistungen in der Ligue 1 nicht so frenetisch gefeiert. Zu alt – da ist kein großer Return on Invest zu erwarten. Wie der Kader insgesamt ausbalanciert ist und welche Ergebnisse er im Wettkampf erzielen kann? Im Eifer des Deadline-Days spielen solche Nebensächlichkeiten kaum eine Rolle.

Kader auf Zeit

Im Fußballbusiness anno 2022 müssen die Planungen aber auch noch gar nicht für die ganze Saison ausgelegt sein. Nach dem 15. Spieltag zieht die Karawane nämlich schon weiter nach Katar, um im Januar erneut auf das verrückte Transferkarussel aufzuspringen. Dann können noch höhere Margen erzielt und die Lücken im Kader aufgefüllt werden. Wenn alles gut läuft, haben die Klubs dann die perfekte Mannschaft zusammen und können in der Rückrunde das Feld von hinten aufrollen. Kommt uns irgendwie bekannt vor, oder?

Beim VfB strotzt der „vorläufige“ Kader wieder einmal vor Entwicklungspotenzial. Wenn sich Ahamada auf Bundesliganiveau stabilisiert, Millot sein wahres Können abruft, Egloff endlich explodiert, Tomás seine starke Rückrunde bestätigt und Silas zu altem Glanz findet, kann das Team im Brustring wieder zur Attraktion der Liga werden.

In einem weniger günstigen Szenario kommt es ausgerechnet dort zu Ausfällen, wo der Kader sowieso schon dünn gestrickt ist. Für Anton und Ito gibt es nach den Abgängen von Kempf und Mola nominell keinen Ersatz mehr. Zudem wird das Fehlen von Mangala und Kalajdzic die Mannschaftshierarchie verändern. Ihre Nachfolger auf dem Platz sind sicher noch nicht so weit, ein Team führen zu können.

Punktejagd

Cheftrainer Matarazzo muss das Spiel hinter dem Spiegelglas einer der wenigen noch nicht abgerissenen Logen auf der Haupttribüne verfolgen. Sein Fazit ist genauso klar wie ernüchternd: „Wir hatten nur eine ordentliche Anfangsphase und eine ordentliche Schlussphase nach dem Platzverweis. Dazwischen war die Leistung nicht ausreichend, um ein Bundesligaspiel zu gewinnen.“

Mit der vor der Saison ausgerufenen Punktejagd sollte sich der VfB nicht mehr allzu lange Zeit lassen. Die nächsten Gegner heißen nämlich Bayern (A) und Frankfurt (H) und wissen ziemlich gut, wie man Spiele gewinnt. 

VfB Stuttgart – FC Schalke 04 1:1

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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