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Sieger haben immer Recht

Wir haben uns das Glück erarbeitet und Leidenschaft gezeigt. Wenn Klubverantwortliche nach einem Fußballspiel solche Floskeln bemühen, wissen wir, was los ist. Schade nur, dass der VfB der Leidtragende der überraschenden Wolfsburger Gefühlsexplosion ist und wie ein begossener Pudel vom Platz trottet.

Auch gegen den Tabellensiebzehnten verpassen die Brustringträger den ersten Saisonsieg. Vor dem Heimspiel gegen den Spitzenreiter aus Köpenick fragen sich die VfB-Fans zurecht: Hat man in Cannstatt aus den Fehlern der letzten Spielzeit nichts gelernt? Und wie kann die Talfahrt gestoppt werden?

Geknickt: die Spieler des VfB Stuttgart (vorne Waldemar anton) verlassen enttäuscht den Rasen der Volkswagen-Arena. Foto: Baumann/Cathrin Müller
Wie begossene Pudel: In letzter Minute verliert der VfB in Wolfsburg. (Bild: Baumann/Cathrin Müller)

Das alte Lied von den Gegentoren

Die Diskussion über vermeidbare Gegentore hat beim VfB eine lange Tradition. Nach den drei Eintracht-Standards muss das Matarazzo-Team nun auch gegen die harmlosen Wölfe drei Gegentreffer fressen, die Anlass zur Sorge geben.

Nur eine Minute nach der 1:0-Führung lassen Silas, Endo und Co ihren ehemaligen Mitspieler Marmoush fast unbedrängt von der linken Seite in die Mitte ziehen, beim 2:1 wehrt Karazor eine ungefährliche Hereingabe im F-Jugend-Stil in die Mitte ab, bevor sich Müller den folgenden Flatterball selbst ins Tor faustet. Und beim Wolfsburger Siegtreffer sieht die komplette Abwehrreihe alt aus: Mavropanos wird mit einem einfachen Doppelpass aus dem Spiel genommen, Ito kann die Flanke nicht verhindern, Zagadou und Anton verlieren im Strafraum ihre Gegenspieler sträflich aus den Augen. Und der Torwart? Lassen wir das.

Pikant: Die Mannschaft von Niko Kovac hat in den ersten sieben Spielen insgesamt nur fünf Saisontore erzielt und muss zudem auf ihren gefährlichsten Angreifer verzichten. Nach dem Ausfall von Borna Sosa hat sich sein Gegenüber in der Volkwagen-Arena für eine Viererkette entschieden, die in den ersten 20 Minuten gleich gehörig ins Schwimmen gerät.

In der zweiten Halbzeit kommen die Gastgeber dann allerdings kaum noch in gefährliche Räume. Warum Matarazzo seine Defensivformation trotzdem eine Viertelstunde vor Schluss ohne Not umstellt, bleibt sein Geheimnis.

Kaputte Achse

Nach ihrer kritischen Klausur im Mai meinte die sportliche Führung die Gründe für die Zittersaison gefunden zu haben. Viereinhalb Monate später steht bereits eine neuerliche Analyse an: Warum greifen die Maßnahmen nicht?

Der erste Ansatzpunkt dürfte die Defensive sein. Während sich das Abwehrverhalten den ersten Saisonspielen noch verbessert zeigte, sind inzwischen die alten Probleme wieder zurück. Jeder Hobbykicker weiß, dass eine Mannschaft ohne sicheren Torwart aufgeschmissen ist. Florian Müller war gerade dabei, sich zu einem Rückhalt zu entwickeln, beginnt jetzt aber wieder gehörig zu wackeln. Auch Abwehrchef Anton unterliefen zuletzt so viele Fehler, dass er die Stabilität der gesamten Hintermannschaft gefährdet.

Im Mittelfeld leidet das VfB-Spiel unter der Formschwäche des unendlichen Wataru Endo. Dem Kapitän scheinen die Magneten in den Füßen abhanden gekommen zu sein, er verliert plötzlich wichtige Zweikämpfe und muss in Wolfsburg sogar verletzt ausgewechselt werden. Endo?  Verletzt? Wir wussten nicht, dass es so etwas überhaupt gibt.

Neben der Schwächephase seiner Schlüsselspieler muss sich der Trainer auch Gedanken um das Offensivspiel machen. Es ist langsam der Punkt erreicht, wo es nicht mehr genügt, das Potenzial eines Führich, Silas oder Tomás zu loben. Was die Hochbegabten derzeit an Torgefahr ausstrahlen, ist für die Bundesliga schlicht zu wenig.   

Trainerdiskussion

Bis vor Kurzem bestimmten Online-Petitionen und Wehrle-Verunglimpfungen die öffentliche Diskussion rund um den VfB. Jetzt zieht die Karawane weiter: Trainer Matarazzo ist an der Reihe.

Zugegeben, seine Bilanz sieht auf dem Papier zunehmend unschön aus, und kritische Fragen dürfen angesichts der sportlichen Lage natürlich nicht ausbleiben. Was mir aber bisher noch keiner erklären konnte, ist der immanente Widerspruch zwischen der Glorifizierung des neuen Stuttgarter Wegs bei gleichzeitiger Forderung nach einem sofortigen Trainerwechsel. Also wenn ich Herrn Mislintat richtig verstehe, ist Pellegrino Matarazzo ein wichtiger Bestandteil dieses Wegs, der nicht anhand von Momentaufnahmen der Bundesligatabelle zu bewerten ist.

Schauen wir doch nur einmal von der schwäbischen in die niedersächsische Autostadt. Da darf Niko Kovac wieder lächeln, obwohl seine Mannschaft nicht mehr erreicht hat, als den Tabellensechzehnten ziemlich glücklich niederzuringen. Wer gewinnt, hat im Fußball eben immer Recht.  

VfL Wolfsburg – VfB Stuttgart 3:2

Zum Weiterlesen:

VertikalGIF #WOBVfB: Totalschaden in der Autostadt – Vertikalpass

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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