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Nummern für Nagelsmann

Als am frühen Samstagabend die Mannschaftsaufstellungen bekanntgegeben werden, taucht ein Name nicht in der Startelf auf: Toptorschütze Serhou Guirassy. Wie kann der Trainer nur seinen besten Spieler auf der Bank lassen, fragen sich viele. Doch der weiß, dass er einen weiteren Angreifer im Kader hat, der jederzeit ein Spiel entscheiden kann.  

Noch vor wenigen Monaten war Deniz Undav nur Kennern des niedersächsischen Amateurfußballs und Connaisseuren der Jupiler Pro League ein Begriff. Und natürlich Sebastian Hoeneß, dem der 27-jährige Deutsch-Türke bei seiner Hospitation in Brighton aufgefallen ist. Ein echter Knipser, einer der mit Rechts oder Links trifft, mit dem Kopf oder vom Punkt, einer der meistens richtig steht und vor dem Tor nicht lange fackelt. Wäre das nicht einer für die taumelnde Nationalmannschaft?

 Deniz Undav macht nicht nur in Stuttgart auf sich aufmerksam. (Foto: vfb.de)

Dino gegen Sebastian

Die Älteren erinnern sich noch an Klaus und Dieter. Der eine war Rekordtorschütze des 1. FC Kaiserslautern und Trainer des Jahres 2002, der andere nicht nur Spieler und Manager beim VfB sondern auch mehr als 100-facher Torschütze für den FC Bayern. Die Söhne der beiden Fußball-Legenden schicken sich heute an, der Bundesliga zu zeigen, wie moderner Fußball aussieht. Toppmöller und Hoeneß setzen auf einen offensiven Spielstil und einen spielerischen Ansatz im Aufbau. Entsprechend sehen die Zuschauer am Samstag ein intensives Match zweier Mannschaften, die gerne den Ball haben.

Aber es gibt auch einen gewaltigen Unterschied zwischen der Eintracht und dem VfB: Die einen haben ihren besten Angreifer kurz vor Transferschluss nach Paris verkauft, die anderen Guirassy gehalten und zusätzlich einen Stürmer aus der Premier League ausgeliehen. Eben jener Deniz Undav hat in 9 Spielen schon 7 Tore erzielt. Nur 68 Minuten braucht der Neuzugang im Schnitt, um den Ball zu versenken. Am Samstag zappelt die Kugel nach nicht einmal einer Minute im Netz. Kurz vor dem Pausenpfiff knipst die Nummer 26 zum zweiten Mal und beschert den Schwaben den ersten Auswärtssieg am Frankfurter Stadtwald seit der Abstiegssaison 2015/16.

Per Kopf verwandelt Undav zur erneuten Führung. (Foto: IMAGO/Marc Schüler)

Das Team von Dino Toppmöller macht seinerseits vor allem in der ersten Hälfte ein ordentliches Spiel. Immer wieder gelingt es ihnen, die Gäste einzuschnüren. Doch sie müssen sich vorwerfen lassen, dass sie kaum klare Torchancen herausspielen. Bezeichnend: Ihr einziges Tor resultiert aus einer unglücklich abgefälschten Halbfeldflanke. In den zweiten 45 Minuten gewinnt der VfB wieder mehr Spielkontrolle, lässt kaum noch etwas zu und verpasst in der Schlussphase die endgültige Entscheidung (82. Guirassy, 85. Silas). Bemerkenswert dabei die hochklassige Vorbereitung der Guirassy-Chance durch Enzo Millot und die Tatsache, dass der Serientorschütze den Ball am Tor vorbei chippt. Vielleicht will er seinem geschätzten Torjäger-Kollegen an diesem Tag einfach nicht die Schau stehlen.

Mehr Mittelstädt

Der Sportdirektor macht beim Live-Auftritt des PodCannstatt am vergangenen Montag noch einmal deutlich, an welchen Stellschrauben im Transfersommer gedreht wurde: Der Mannschaft habe es in erster Linie Widerstandsfähigkeit und Leistungskonstanz gefehlt. Heute präsentiert sie sich defensiv stabil, taktisch gereift, körperlich gefestigt und ziemlich clever. Die Wohlgemuth-Therapie hat zweifellos an – und seine Transfers eingeschlagen. Fünf davon stehen in Frankfurt in der Startelf.

Maxi Mittelstädt vereint die geforderten Attribute sinnbildlich. Wie schon gegen Dortmund gehört der Ex-Herthaner auch in Frankfurt zu den besten im Brustringtrikot. Der Anti-Sosa ist an der Entstehung beider Tore entscheidend beteiligt: In der ersten Minute setzt er sich energisch gegen zwei Gegenspieler durch, bevor er Millot im Zentrum bedient, der seinerseits herrlich auf den Torschützen Undav durchsteckt. Das zweite Tor bereitet Mittelstädt mit einer präzisen Halbfeldflanke direkt vor.

In der asymmetrische Abwehrkette lässt sich der 155-fache Bundesligaspieler gegen den Ball auf die Position des Linksverteidigers fallen, während er bei eigenem Ballbesitz immer wieder offensive Akzente setzt. Auf der anderen Seite darf Jamie Leweling seine Rolle offensiver interpretieren und phasenweise fast als Rechtsaußen agieren. Mit diesem taktischen Kniff stellte Hoeneß schon den BVB vor unlösbare Probleme und auch in Frankfurt entstehen beide Tore über Aktionen der Schienenspieler.

Maxi Mittelstädt ist an der Vorbereitung beider VfB-Treffer beteiligt. (Foto: vfb.de)

Beeindruckend ist die taktische Reife, mit der die Hoeneß-Elf das Spiel über weite Strecken der zweiten Hälfte kontrolliert, sodass der Gegner keinen Druck aufbauen kann. Dabei ist zeitweise auch das tiefe Verteidigen im 5-1-2-2 ein Mittel der Wahl, da die schnellen Frankfurter Außenspieler auf diese Weise nicht hinter die Kette kommen. Der generöse VfB der letzten Jahre, der die Gegner regelmäßig zum Toreschießen einlud, ist nicht mehr wiederzuerkennen.

Krautköpfe

Sebastian Hoeneß hat seine Mannschaft wieder zu einem gefürchteten Gegner in der Bundesliga gemacht (siehe auch „Die Handschrift des Trainers“). Zuletzt haben seine Schützlinge zwei Mannschaften mit internationalen Ambitionen völlig verdient besiegt. International soll künftig auch die Vermarktung des Klubs aus Cannstatt aufgestellt sein, nachdem die betreffende Abteilung zwischenzeitlich schon geschlossen war. Alexander Wehrle will den Klub diesbezüglich neu aufstellen. Asien und die USA gelten dabei als die wichtigsten Märkte. So weit, so notwendig im heutigen Fußball-Geschäft. Trotzdem sind nicht alle Fans begeistert, dass ihr Verein neuerdings virtuelle Collectibles auf einer digitalen Sammelplattform anbietet. Also so etwas wie Panini-Bildchen im Internet – nur viel teurer.

Fußball, Kunst und Stadtgesellschaft – das Filderkraut-Trikot. (Foto: vfb.de)

Auch in der Stadtgesellschaft soll der VfB wieder positiv wahrgenommen werden. In Kooperation mit einem lokalen Künstler ist so das Kraut-Trikot entstanden. Filderkraut, ihr versteht? Exklusive StuttgART, die für Banausen wie mich eher nach einem psychedelischen Zebra aussieht.

Bis zur Stuttgarter Polizei hat sich dieses Ansinnen noch nicht herumgesprochen. Die so genannten Sicherheitskräfte gehen nämlich seit einiger Zeit eher auf Konfrontation. Übrigens nicht nur in Stuttgart sondern auch in Frankfurt, wo mehrere Personen bei einem Polizeieinsatz schwer verletzt werden. Angesichts solcher Nachrichten hielte ich es für klüger, das Kraut vom Trikot fernzuhalten und stattdessen allen Einsatzkräften am kommenden Samstag einen original Filderkrautkopf anstelle eines Helms zu verpassen. Das könnte wirklich zur Deeskalation beitragen.

Über den künstlerischen Wert von Sondertrikots lässt sich trefflich streiten. Bei aller Kreativität, die in der Marketingabteilung bei Motivauswahl und Preisgestaltung sprudelte, bleibt die Zielgruppe der Kampagne unklar – genau wie die subtile Markenbotschaft. Eine Abwehr wie Kraut und Rüben? Das haben wir doch hoffentlich hinter uns. Dass angesichts des sündhaft teuren Designerstücks die Kritik ins Kraut schießt, sollte die Verantwortlichen nicht verwundern. Zumal die Weiß-Roten mit den Fildern so wenig zu tun haben wie ihre Anhängerschaft mit abstrakter Kunst. Aber gemotzt wird bei den Schwaben sowieso immer. Dagegen ist kein Kraut gewachsen.

Julians Telefonbuch

Zurück zum Fußball. Da geht es nicht um Gemüse, sondern um einen der reichhaltigsten Fleischtöpfe im Fußball-Zirkus: die Europameisterschaft. Deniz Undavs Telefonjubel soll eine Botschaft an den Bundestrainer gewesen sein. Also hömma, Jule: Hummels oder Süle in der Innenverteidigung? Wir haben Waldi Anton. Havertz als linker Verteidiger? Wir haben Maxi Mittelstädt. Füllkrug oder Ducksch in der Spitze? Wir haben Deniz Undav. Und Stiller. Und Vagnoman. Und hinten den Nübel. Interessante Nummern für sein Telefonbuch findet Nagelsmann in Stuttgart allemal.

SG Eintracht Frankfurt – VfB Stuttgart 1:2

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Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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