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Neuer Trainer, alte Probleme

Wenn man den designierten Führungsspielern am Rande des Trainingslagers in Marbella zuhört, erklingt immer das gleiche Lied. Die härtere Gangart unter Bruno Labbadia tue der Mannschaft gut. Klingt nach einem Jugendlichen, der zugibt, dass er mehr auf die Reihe kriegt, wenn Mama zu Hause ist. Mehr Laufen also, mehr Disziplin und eine einfache Spielweise – dann kann ja nichts mehr schief gehen, oder?

So sicher wäre ich mir da nicht, denn der VfB schleppt im Januar 2023 einige Probleme mit sich herum, die beileibe nicht neu sind. Im Kern geht es um die Frage: Welche Spieler besitzen die Substanz, um in der höchsten deutschen Spielklasse zu bestehen? Die Antwort fällt unter Labbadia nicht anders aus als unter seinem Vorgänger: Erstaunlich viele Kicker im Brustring sind den Anforderungen nicht gewachsen.  

Kein Voetbol Totaal

Nach zwölf Tagen Trainingslager in der Wintersonne Andalusiens ist die Reisegruppe um Cheftrainer Labbadia am Freitag wieder in Stuttgart angekommen. Eine der wichtigsten Erkenntnisse: Bruno verordnet seiner Mannschaft ein 4-3-3. Klingt nach „Voetbol Totaal“, kommt auf dem Feld aber nicht wirklich stürmisch daher.

Im Vergleich zu Matarazzos flexiblen Formationen legt der neue Trainer Wert auf feste, verlässliche Strukturen. Dazu braucht er keine Schienenspieler und keine Asymmetrien. Bei der Generalprobe für den Bundesligastart wirkt die Viererkette trotzdem ziemlich wacklig. In der Innenverteidigung fehlen nach wie vor sichere Kantonisten, die auch mal die Null halten können. Auf der linken Abwehrseite bietet der Kader hinter Borna Sosa keine Alternative. Also dürfen Ito, Nartey und Vagnoman vorspielen, sogar der 18-jährige Leon Reichardt schnuppert an der Costa del Sol herein.

Auf der rechten Seite ist plötzlich wieder „Kalle“ Stenzel gefragt. Der ist zwar bekanntermaßen nicht der Schnellste, erfüllt aber zuverlässsig seine Aufgaben und spielt im Aufbau einen klaren Ball. Irgendwie symptomatisch, dass der bodenständige Außenverteidiger von den mitgereisten Sportjournalisten zum Gewinner der Vorbereitung gekürt wird.

Pascal Stenzel ist einer der Gewinner von Marbella. (Foto: vfb.de)

In der Offensive ist weit und breit niemand zu sehen, der sich als Shooting-Star der Restrunde aufdrängt. Hier gilt eher das Ausschlussverfahren: Wem traut das neue Trainergespann Bundesliganiveau zu? Beyaz, Coulibaly und Perea offensichtlich nicht, auch Egloff und Pfeiffer bekommen in den Tests kaum Einsatzzeiten. Der Dreiersturm stellt sich fast von alleine auf, obwohl keiner der Protagonisten wirklich überzeugen kann.

Let´s get loud

Seit an der Mercedesstraße die Entscheidung gefallen ist, den sportlichen Kurs zu ändern, geben sich die Entscheider große Mühe, die Vorzüge der neuen Führungskräfte zu loben. Das große Arbeitspensum steht im Mittelpunkt der Berichterstattung. Doch ganz so einfach ist die Geschichte nicht. Immerhin hat Matarazzo schon in der Winterpause der Vorsaison die Zügel angezogen und erst im Sommer einen neuen Leistungsanalysten ins Trainerteam geholt.

Der ausbleibende Erfolg ist nicht in erster Linie auf mangelnde Fitness zurückzuführen, sondern auf Konzentrationsschwächen und fehlende individuelle Qualität. Mit Lauftraining wird da wenig auszurichten sein. Ein anderer – freilich auch nicht neuer – Ansatzpunkt erscheint mir vielversprechender: die Kommunikation auf dem Platz. Jeder Hobbykicker weiß, wie wichtig es ist, die Mitspieler mit klaren Kommandos zu unterstützen: Raus! Hintermann! Geh drauf! Zeit! Aber ganz gleich, gegen wen der VfB antritt, sind fast nur die gegnerischen Spieler zu hören. Anton, Stenzel und Karazor können auf dem Platz noch am ehesten den Ton angeben. Nicht zuletzt deshalb haben sie gute Chancen, nächsten Samstag gegen Mainz in der Startelf zu stehen.

Die besten Fußballer im Kader tun sich dagegen weiterhin schwer. Silas wirkt in den Testspielen gehemmt, obwohl er im neuen System weitgehend von Abwehraufgaben entbunden ist. Immer wieder werden seine taktischen Defizite deutlich. Auch Tiago Tomás genießt unter Labbadia viele Freiheiten, die er aber zu selten gewinnbringend einsetzt. Seine Körpersprache drückt wenig Entschlossenheit und Siegeswille aus. Zielstrebiger wirkt dagegen Chris Führich, der allerdings nach einer Operation die meisten Trainingseinheiten verpasst hat.  

Kein Saft mehr

Als Bruno Labbadia vor zehn Jahren schon einmal VfB-Trainer war, wies er oft vergeblich darauf hin, dass die hochgesteckten Ziele mit dem zur Verfügung stehenden Kader nicht erreichbar seien. Stagnation und ein furchtbar unansehnlicher Fußball waren das Ergebnis. Dieses Szenario droht sich nun zu wiederholen. Die Tage in Marbella haben gezeigt, dass auch die alten Hasen auf der Trainerbank nicht mehr Saft aus der Zitrone zu pressen vermögen. Ähnlich wie in der Rückrunde 2022 wird ein Kern von 15 bis 16 Profis die Mission Klassenerhalt angehen. Die andere Hälfte des Kaders muss sich wohl oder übel mit der Rolle des Sparringpartners begnügen.

VfB Stuttgart – Sparta Prag 0:2

Zum Weiterhören:

Podcast VfB Stuttgart – Zeitungsverlag Waiblingen (zvw.de)

Podcast zum VfB Stuttgart: Warum Nikolas Nartey neue Optionen eröffnet (stuttgarter-nachrichten.de)

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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