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Sieben Uhr dreißig: Lauftraining

Das neue Jahr ist gerade einmal gut 24 Stunden alt, da treffen sich die Bundesligaprofis des VfB Stuttgart schon zur Abfahrt ins Trainingslager an der Costa del Sol. Das frühe Aufstehen dürfte den Spielern bald zur Gewohnheit werden, denn ihr neuer Übungsleiter schwört auf frühmorgendliches Lauftraining. Aktionismus oder endlich eine harte Hand für die verwöhnten Kicker?

Brunos Rückkehr

Labbadia strahlt mit jeder Faser seines Körpers aus, dass er weiß, was zu tun ist. Er ist wie sein Vorgänger ein akribischer Arbeiter, aber extrovertierter und lauter als Matarazzo. Wer ihn in den vier Wochen seit seiner Rückkehr an die Mercedesstraße beobachtet hat, kann nicht daran zweifeln, dass der Darmstädter alles dafür geben wird, die Ziele mit der Mannschaft zu erreichen.

Bruno Labbadia in seinem Element. (Foto: Baumann/Hansjürgen Britsch)

In seinem Buch „System Weiß-Rot“ ordnet ihn der Sportwissenschaftler und Taktikexperte Jonas Bischofberger dem „System Rot“ zu. Ausgezeichnete Fitness und enormer Einsatzwillen, aber auch Freiheit und Ideenreichtum prägen laut dem Autor diese Stilrichtung. Die Zuschauer in Cannstatt haben Labbadias Fußball eher als umständlich und unansehnlich in Erinnerung. Ihre Hoffnung: Bruno soll sich vor allem bei seiner Station in Wolfsburg (2018 – 2019), aber auch bei Hertha (2020 – 2021) als gereifter Trainer präsentiert haben.

Folgt man den Ausführungen des erwähnten VfB-Buchs hat sich der fußballerische Ansatz seit 2013 von „Rot“ über „Weiß“ zu „Weiß-Rot“ gewandelt. Was zunächst nach Pommesdressing klingt, beschreibt die Entwicklung zum Konzeptfußball und schließlich die Verbindung der beiden Ansätze. Tim Walter und Pellegrino Matarazzo stehen stellvertretend für diesen letzten Schritt. „Die Vereinigung von Gefühl und Vernunft, Mut und Methode, Ordnung und Chaos“ klingt bei Bischofberger wie die logische nächste Entwicklungsstufe. Dass wir plötzlich wieder ins erste Kapitel zurückblättern müssen, um uns an das kompakte Verschieben der Labbadia-Welt zu erinnern, hätte sich auch der Autor beim Schreiben wohl nicht träumen lassen.

Der neue Kurs

An der Mercedesstraße ist man seit dem abrupten Kurswechsel sehr bemüht, kommunikativ eine einheitliche Linie vorzugeben. Grundlage ist die Überdramatisierung der sportlichen Lage. In Wirklichkeit hat sich an der Ausgangssituation seit Saisonbeginn wenig verändert. Dass es nur um den Klassenerhalt gehen würde, war von vornherein klar. Dass die Liga mit Schalke und Bremen im Vergleich zur letzten Saison stärker geworden ist, ebenfalls.

Wenn man sich Matarazzos Analysen vor seiner Entlassung noch einmal anhört, wird klar, dass Labbadias Ansatzpunkte keinesfalls neu sind. Defensive Kompaktheit und mehr Kommunikation auf dem Platz hat sein Vorgänger zuletzt vor dem Spiel gegen Union angemahnt. Die Partie gegen den damaligen Tabellenführer könnte ein Vorgeschmack sein auf das, was uns unter dem neuen Trainer erwartet. Nur hoffentlich mit einem besseren Ende.

Sportvorstand Wehrle und seine Berater vertrauen darauf, dass Labbadia seinem Ruf als Unabsteigbarer gerecht wird. Hätte man künstliche Intelligenz zur Berechenung der Erfolgswahrscheinlichkeit verwendet, wäre wohl sein Name als Ergebnis auf dem Bildschirm erschienen. Alle Zahlen sprechen dafür und auch Urgestein Friedhelm Funkel teilt ungefragt mit, dass es der Bruno schaffen wird.

Ob diese Prognosen allerdings über das Saisonende hinaus gültig sind, sagen wir bis in den traditionell stürmischen VfB-Herbst, darüber möchte man sich in Bad Cannstatt heute noch keine Gedanken machen. Vor zehn Jahren folgten auf Labbadia Thomas Schneider und Huub Stevens. Zwei Jahre später ging es in Liga zwei. Man braucht keine KI um festzustellen, dass der ehemalige Goalgetter längerfristig noch bei keinem Klub erfolgreich war.

Von Mücken und Elefanten

Während die Profifußballabteilung also ihre Kehrtwende vollzieht, ist in der Zeitung über Konflikte in den Vereinsgremien zu lesen. Zufall? Wohl eher der Versuch, die Unruhe zu nutzen, um die Machtverhältnisse zu verschieben. Ein privat beauftragtes Rechtsgutachten soll zwei Vereinsbeiräte aus dem Weg räumen. Die Protagonisten: ein ehemaliger Präsidentschaftskandidat mit gesteigertem Geltungsdrang und ein bereitwilliger Redakteur der Lokalpresse. Der Haken an der Sache: Die Geschichte hat offensichtlich weniger Substanz als ein voreilig gestreutes Transfermarktgerücht.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die alten Mechanismen beim VfB immer noch funktionieren. Wer intern mit seinen Anliegen nicht durchkommt, wählt eine der altbekannten Nummern und schon steht alles in der Zeitung. Dort werden allerdings nicht die naheliegenden Fragen gestellt – zum Beispiel, wer von dem künstlich aufgebauschten „Skandal“ profitiert oder wo der Kern des Konflikts liegt. Auf explizite Nachfrage heißt es aus der Redaktion, dass eine ausgewogene Darstellung schwierig sei, da „das Präsidium bzw. der Präsident die Antworten schuldig“ bleibe. Na dann wartet man natürlich lieber darauf, dass wieder redseligere Quellen durchklingeln.

Früher war mehr Lametta

Schon vor einem Jahr fand in Marbella eine kleine Kehrtwende statt. Matarazzo verordnete der Mannschaft Pragmatismus und siebte den Kader nach Leistungskriterien aus. Heute jagt Konditionstrainer Kern die Spieler auf der gleichen Anlage einen Mini-Magath-Hügel hinauf. Eine gute Physis ist die Grundlage des Labbadia-Fußballs. Der neue Trainer glaubt, die Schwächen der Mannschaft mit seinen althergebrachten Methoden beheben zu können. Sein Vorgänger dürfte neugierig auf die ersten Härtetests schauen. Die Ansatzpunkte des Nachfolgers standen nämlich spätestens seit der Saisonanalyse im Sommer schon auf seinem eigenen Trainingsplan.

So richtig Stimmung kann das Trainingslager in Andalusien bisher nicht entfachen. Die VfB-Fans ahnen, dass ihr Klub fortan für die überregionale Berichterstattung kaum noch interessant sein wird. Walters Arschbolzen oder Mislintats verstrubbelte Charmeoffensiven ziehen halt deutlich besser als Morgenläufe und Labbadias Credo von der Kompaktheit.  

Zum Weiterlesen:

Der Fleißige, der Brutale, der Retter, der Schleifer, das Arbeitstier – Vertikalpass

A light that never goes out – Rund um den Brustring

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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