Drei Tore für ein Halleluja
Nervenbündel gegen Serienversager. Gehemmte Talente gegen Tragödienmeister. Hoeneß-Pragmatismus gegen Walterball. Was auf dem Papier wie das Duell zweier in die Jahre gekommener Fußballgiganten aussieht, schrumpft bei der Betrachtung der rein sportlichen Aspekte schnell zum Kampf der Scheinriesen.
Der Verein für Bewegungsspiele aus Bad Cannstatt ist dafür bekannt, dass er in den wichtigen Spielen nichts auf die Platte bekommt. Gleiches gilt allerdings auch für den Gegner aus Hamburg, der trotz des höchsten Etats der zweiten Liga auch im fünften Anlauf den direkten Aufstieg verspielt hat.
Der Fluch der Vertragsunterschrift
Am Tag vor dem ersten Relegationsduell verkündet der VfB eine frohe Botschaft: Serhou Guirassy, bisher ausgeliehen vom französischen Erstligisten Stade Rennes und einer der wertvollsten Spieler der Saison, hat einen Vertrag bis 2026 unterschrieben. Die Cannstatter ziehen die vereinbarte Kaufoption und überweisen knapp 10 Millionen Euro in die Bretagne. Damit ist Fabian Wohlgemuth der erste große Coup seiner Amtszeit gelungen. Entweder verdient der Klub schnelles Geld mit einem sofortigen Weiterverkauf oder der 27-jährige Nationalspieler Guineas wird auch in der kommenden Saison den Fixpunkt im Stuttgarter Angriffszentrum bilden.
Am Donnerstagabend widerfährt Guirassy dann aber der Fluch der frisch getätigten Vertragsunterschrift. Beim Stand von 1:0 schiebt er Vagnomans wunderschönen Steckpass in die Arme des Torwarts (23.), vier Minuten später passiert ihm das gleiche vom Elfmeterpunkt. Der Sniper hat plötzlich Ladehemmungen. Der anfängliche Schwung ist erst einmal dahin.
Doch glücklicherweise kann das Team von Ex-VfB-Trainer Walter die vorübergehende Verunsicherung nicht nutzen. Die Hamburger Kreativspieler Reis und Kittel bleiben blass und Waldemar Anton zeigt Topscorer Glatzel seine Grenzen auf. Gleichzeitig beweisen Führich und Millot, dass sie an diesem Tag zurecht in der Startelf stehen. Die Körpersprache der Weiß-Roten stimmt. Immer wieder klauen sie den Gästen den Ball im Aufbauspiel und erarbeiten sich früh eine überraschende Dominanz. Der gemeine Sat1-Fußballkonsument erkennt jedenfalls unschwer, wer hier der Erstligist ist.
Weiße Weste
1:0 in Dresden, 6:0 gegen die Arminia, 2:1 in Paderborn, 1:0 in Nürnberg und jetzt 3:0 gegen den HSV: Gegen unterklassige Mannschaften behält der VfB in dieser Saison seine weiße Weste. Auch wenn die fünf Siege unter vier unterschiedlichen Trainern und auf unterschiedliche Art und Weise zustande kamen, bleibt die Erkenntnis, dass der VfB gegen qualitativ unterlegene Mannschaften seine individuelle Klasse ausspielen kann.
Was die in Blau-Schwarz gekleideten Gäste im Neckarstadion anbieten ist allerdings auch Walterball at its worst: riskante Ballverluste im Spielaufbau, eine Restverteidigung wie ein aufgescheuchter Hühnerhaufen und ein Abwehrverhalten nach Ecken im Stile einer Schülermannschaft. Dass seine Mannschaft nicht mit einer deutlich höheren Niederlage nach Hause fährt, hat er nur der mangelhaften Chancenverwertung der Gastgeber zu verdanken. Das Fachmagazin Kicker weist ein Chancenverhältnis von 12:1 zugunsten der Heimmannschaft aus. Alleine Innenverteidiger Mavropanos hätte problemlos einen Hattrick erzielen können.
Der richtige Ton
Wenn man den Wert des vierten VfB-Trainers der laufenden Saison erkennen will, sollte man auf die unscheinbaren Szenen am Rande des Geschehens achten. Als sich Florian Müller in der 35. Minute den Ball fast von Jatta abnehmen lässt, springt der Coach auf und klatscht seinem Keeper Mut zu. Die Nervosität ist der früheren Nummer eins zu diesem Zeitpunkt deutlich anzumerken. Bei seiner Glanztat gegen Glatzel in der 58. Minute zeigt Müller aber dann, dass er auf der Linie ein wirklich Guter ist.
Auch nach Spielende wird deutlich, was Hoeneß als Trainer auszeichnet. Er umarmt Silas, der sicher enttäuscht über seine Nichtberücksichtigung war. Die Entscheidung für mehr Ballsicherheit und Spieler, die zwischen den Linien Lösungen finden können, war im Nachhinein die richtige. Trotzdem könnte der schnelle Kongolese im Volkspark am Montag noch eine wichtige Rolle spielen. Hoeneß hat einen Kern aus 14-15 Spielern zusammengestellt, die der Mannschaft mit ihren individuellen Stärken etwas geben können. Am Montagabend müssen diese Jungs noch einmal zeigen, dass sie zurecht das Trikot mit dem Brustring tragen.
Alleine die Bilanz unter der Leitung von Sebastian Hoeneß (5 Siege, 4 Unentschieden, 2 Niederlagen) drückt die Bedeutung des neuen Trainers nicht aus. Die wirkungsvolle Ansprache, die Moderation möglicher Konflikte, seine beeindruckende Klarheit in der öffentlichen Kommunikation machen ihn zu einem entscheidenden Puzzleteil des immer wahrscheinlicher werdenden Klassenerhalts.
Der letzte Schritt
Schon vor dem Spiel gegen Hoffenheim sprachen alle vom letzten Schritt, der noch zu gehen sei. Beim Relegationsrückspiel im Hamburger Volkspark müssen die Hoeneß-Schützlinge nun endgültig durch die Tür gehen, die sie selbst weit aufgestoßen haben. Wenn der Trainer seine Mannschaft genauso gewissenhaft vorbereitet, wird sich auch am Montag die größere individuelle Klasse des VfB durchsetzen. In der Pressekonferenz nach dem Spiel lässt der Coach allerdings keinen Zweifel daran, dass man sich der Gefahr des Ergebnisses bewusst ist. Niemand, der es mit dem Brustring hält, möchte den Fußball-Dino aus dem hohen Norden beim Rückspiel Blut lecken sehen.
VfB Stuttgart – Hamburger SV 3:0
Zum Weiterlesen:
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson
Ein Kommentar
Thomaso
Danke für Deine Artikel Christoph. Ich lese sie immer wieder gerne weil sie allermeistens trefflich sind und du einen guten Schreibstil hast.