Die Offensive
Aus der Reihe Rückblick auf die Hinrunde lest ihr einen Tag vor Heiligabend den zweiten Teil: die Abteilung Attacke.
Das letzte Hinrundenspiel in Köln steht sinnbildlich für viele erfolglose Angriffsbemühungen des VfB in der Hinrunde: Die Außen kommen kaum einmal in den Rücken der Abwehr, der Strafraum ist nicht gut besetzt und im Abschluss fehlt die Entschlossenheit.
Laues Lüftchen
Im Ligavergleich bedeuten 22 erzielte Tore für den VfB Platz 11. Ein ordentlicher Wert, der erst dann Anlass zur Sorge gibt, wenn man sich daran erinnert, dass die Innenverteidiger alleine 8 Tore beigetragen haben.
Aus der weiß-roten Offensivabteilung hat kein Spieler mehr als zwei Tore erzielt, insgesamt kommt sie auf 8 Tore und 10 Vorlagen: Marmoush (2 Tore/3 Vorlagen), Al Ghaddioui (2/2), Förster (2/1), Führich (1/0), Faghir (1/0), Coulibaly (0/2), Didavi (0/1), Klimovicz (0/1).
Wenn man jetzt noch berücksichtigt, dass Marmoush sein Heimatland Ägypten im Januar beim Afrika-Cup vertreten wird und Hamadi seine Tore an den Spieltagen 1 und 3 schoss, erkennt man, wie tief die Probleme im VfB-Angriff sitzen.
Das Spielsystem
In Matarazzos Lieblingsformation 3-4-2-1 sind die drei offensiven Positionen bisher nicht zufriedenstellend besetzt, während gleichzeitig die Doppelsechs nicht mehr so viel Stabilität gibt wie in der Vorsaison.
Am 7. Spieltag schickte der Trainer daher im Heimspiel gegen die TSG Hoffenheim zum ersten Mal eine 3-5-2-Formation mit einem „Mittelfeldtrichter“ aus drei defensiven Mittelfeldspielern auf den Platz. Meistens schieben Endo und Mangala dabei im Ballbesitz auf die Halbpositionen durch, während Karazor vor der Dreierkette den Aufräumer spielt. Die beiden offensiven Positionen besetzen in diesem System eine hängende und eine vorgelagerte Spitze.
Das Problem: Im Vergleich zum 3-4-2-1 steht eine nominelle Offensivkraft weniger auf dem Feld. Dadurch ist es schwerer, Druck auf die letzte Kette des Gegners auszuüben und den Strafraum so zu besetzen, dass Torchancen entstehen. Exemplarisch steht die 0:1-Heimniederlage gegen Bielefeld, als es dem VfB trotz 66 % Ballbesitz kaum gelang, das gegnerische Tor in Gefahr zu bringen.
Wer soll die Tore machen?
Für die Rolle als Stoßstürmer verfügt Al Ghaddioui zwar über die notwendige physische Präsenz und ein ordentliches Kopfballspiel, kann sich allerdings im Zweikampf gegen Bundesligaverteidiger nur selten durchsetzen. Gleiches gilt auch für Coulibaly, der zwar läuferisch viel investiert, aber oft nicht die richtigen Räume besetzt und kaum Torgefahr ausstrahlt.
Zuletzt legte sich Matarazzo auf Marmoush fest, der die gegnerische Hintermannschaft ständig beschäftigt und viele Fouls provoziert, seine Stärken als einzige Spitze jedoch nicht optimal einbringen kann.
Sasa Kalajdzic fehlt an allen Ecken und Enden: als Initiator von Angriffen, als Wandspieler und natürlich als Torschütze. Auch die Unbekümmertheit und Torgefährlichkeit des langzeitverletzten Mo Sankoh würden der Mannschaft sicher gut tun.
Als Kompensation für diese beiden Ausfälle kamen Omar Marmoush per Leihe aus Wolfsburg und der 18-jährige Däne Wahid Faghir, der sich erwartungsgemäß zunächst an das Tempo der Bundesliga gewöhnen muss. Von ihm können wir ebensowenig erwarten, dass er den VfB in der Rückrunde zum Klassenerhalt schießt, wie von dem gleichaltrigen Alexis Tibidi, der zu seinen ersten vier Profi-Einsätzen kam.
Die Lücke hinter der Spitze
In der vergangenen Saison kreierten die Offensivspieler hinter dem Stoßstürmer viele gefährliche Angriffe und erzielten auch wichtige Tore. Mit Castro und González haben zwei Kandidaten für diese Positionen den Verein verlassen. Der Plan, die Lücke durch mehrere Perspektivspieler aus dem aktuellen Kader zu füllen, ging in den ersten 17 Saisonspielen leider nicht auf.
Von Mateo Klimovicz erwarteten sich Fans und Verantwortliche in dieser Saison den Durchbruch. Seine Anlagen sind hervorragend, doch vor allem im Kopf wirkt der junge Argentinier mit der Bundesliga überfordert. In 12 Einsätzen, davon nur einer über 90 Minuten, steht für den 21-Jährigen gerade einmal eine Torvorlage zu Buche. Zuletzt enttäuschte er in Köln bei seinem siebten Startelfeinsatz.
Für Chris Führich ist die Bundesliga noch Neuland. Von Verletzungen immer wieder zurückgeworfen konnte er abgesehen von einer guten zweiten Halbzeit in Bochum und überzeugenden 20 Minuten in Augsburg bislang nicht nachweisen, warum ihn Sven Mislintat unbedingt aus Paderborn loseisen wollte. Vielversprechende Ansätze sind zwar zu erkennen, aber in engen Räumen und bei hohem Gegnerdruck kann er sich zu selten durchsetzen. Besonders taktisch muss der 23-jährige aus Castrop-Rauxel noch einiges dazulernen.
Als Platzhirsch auf der Zehn kann man Philipp Förster bezeichnen. Nach verletzungs- und krankheitsbedingten Ausfällen hat er sein Leistungsniveau erst in den letzten Hinrundenspielen wieder erreicht. Als Auslöser des Angriffspressings nimmt der Brettener aus taktischer Sicht eine wichtige Rolle ein, in punkto Entscheidungsfindung und Torabschluss hat er aber nach wie vor erhebliche Defizite. Auf Bundesliganiveau wirkt er mit einer tragenden Offensivrolle bisweilen überfordert.
Wer kommt sonst noch für die Rolle hinter der Spitze in Frage? Daniel Didavi kann das natürlich spielen, aber er hat mit den Coronaregeln und seiner Form zu kämpfen. Auch Nicolas Nartey ist ein Kandidat, dazu Beyaz, Millot und Ahamada. In Kurzeinsätzen konnte allerdings bisher keiner der Genannten zeigen, dass er der Mannschaft helfen kann. Realistisch erscheint eher, dass Marmoush oder Führich im Verbund mit Förster in der Rückrunde hinter Sasa Kalajdzic mehr freie Räume finden.
Die Rückkehrer
Sven Mislintat sieht Kalajdzic und Silas für die entscheidende Phase der Saison „quasi als Neuzugänge“. 27 Tore erzielten die beiden zusammen in der Spielzeit 2020/21. Es wäre allerdings vermessen, die Latte so hoch zu legen. Immerhin haben die beiden Shooting-Stars der Vorsaison insgesamt gerade einmal 64 Bundesligaspiele auf dem Buckel.
Wie groß der Unterschied ist zwischen körperlicher Fitness und der Fähigkeit, Höchstleistungen im Wettkampf abzurufen, haben die ersten Teileinsätze des Kongolesen gezeigt. Das Selbstvertrauen und die Automatismen auf dem Platz kommen nur langsam wieder zurück. Es wäre sicher nicht klug, die Rekonvaleszenten mit Hoffnungen zu überfrachten.
Auch bei Lilian Egloff sieht man, wie schwer der Weg aus einer langen Verletzung ist – gerade für junge Spieler. Über Einsätze in der Regionalliga versucht der Hoffnungsträger aus der eigenen Jugend gerade, wieder seinen Rhythmus zu finden. Die Zielsetzungen für den 19-jährigen Bretzfelder können erstmal nur heißen: gesund bleiben und den Spaß am Fußball zurückgewinnen.
Dass der VfB in der Hinrunde vom Verletzungspech gebeutelt wurde, steht außer Frage. Als Vorwand für schlechte Leistungen oder ausbleibende Entwicklungsschritte sollte man die zahlreichen Ausfälle allerdings nicht benutzen. Wer garantiert denn, dass in der Rückrunde keine neuen Verletzungen dazwischenkommen? Wer weiß, in welcher Verfassung Marmoush vom Afrika-Cup zurückkehrt?
So kann es klappen
Matarazzo verlässt sich gerne auf Dinge, die er beeinflussen kann. Der Mannschaft, gerade auch der zweiten Reihe, müsste er vielleicht den Ernst der Lage noch einmal klar machen. Zuletzt konnten die Einwechselspieler keine Impulse geben. Doch jeder sollte begreifen, dass eine Kadernominierung Auszeichnung und Verpflichtung zugleich bedeutet.
Der finanziell angeschlagene VfB wird darauf angewiesen sein, dass ein oder zwei Spieler aus der jungen Garde das Offensivspiel beleben – und zwar nicht irgendwann in der Zukunft, sondern ab Januar im Kampf um den Klassenerhalt.
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson