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Die Botschaft der Giftmischer

Josip Brekalo kann Traumtore schießen. Das wissen wir seit dem hart erkämpften Auswärtssieg auf der Ostalb im Februar 2017. Dass er auch Murmeltore kann, wissen wir seit gestern. Der Adventsausflug zum Werksclub aus Wolfsburg verläuft für den VfB so unschön, wie es der kalte Nieselregen und der unangenehm zu bespielende Gegner erwarten ließen. Doch zuerst die gute Nachricht.

Kulturwandel

Seit einem Jahr ist Claus Vogt Präsident des VfB Stuttgart. Der Verein, der lange nur mit Pleiten, Pech und Pannen auffiel, mit dem sich selbst die treuesten Anhänger nicht mehr identifizieren konnten, produziert endlich wieder positive Schlagzeilen – und das nicht nur sportlich.

Als einer von wenigen Erstligisten positioniert sich der VfB deutlich für mehr Wettbewerb im deutschen Profifußball, als einer von fünf Bundesligaclubs erhält er die Nachhaltigkeitszertifizierung „sustainClub“, mit Niko Kappel nimmt er ein Aushängeschild der deutschen Para-Leichtathletik unter Vertrag und unterstreicht damit sein Engagement für gelebte Inklusion. Durch seine direkte und empathische Kommunikation mit Fans und Mitgliedern steht der neue Präsident nach jahrelanger Eiszeit für einen Kulturwandel im Verein.

Tücken der Satzung

Angesichts seiner großen Beliebtheit ist es selbst für geübte Intrigenspinner nicht leicht, Claus Vogt in der Öffentlichkeit madig zu machen. Doch aus dem Heckenschützen von letzter Woche ist Artilleriefeuer geworden. Anlass zur Sorge gibt unter anderem ein Detail aus der Vereinssatzung. Dort ist nämlich nicht vorgesehen, dass der Amtsinhaber zwangsläufig als Kandidat zur Neuwahl des Präsidenten nominiert werden muss. Der Vereinsbeirat könnte auch eine Litfaßsäule und einen Hutständer zur Wahl stellen.

Oder Volker Zeh. Kennt ihr nicht? Immerhin hat der Geschäftsmann aus dem Remstal mal eine Autogrammstunde für Zvonni Soldo arrangiert. Der 56-Jährige, der vom VfB und seinen Mitgliedern so weit entfernt ist wie die Kitzbüheler Schickeria von Bad Cannstatt, hat seine Bewerbungsunterlagen eingereicht. Aber nicht der Bewerber an sich lässt aufhorchen, sondern die Geschwindigkeit, mit der ihn die lokale Presse ins Schaufenster stellt. „Konkurrenz für Vogt“ titelt eine Zeitung, als Zehs Stuhl im Büro des Vereinsbeirats noch warm ist, und preist sogleich seine Vorzüge: ein Mann mit guten Kontakten, der sich je nach Anlass als mittelständischer Unternehmer, Sportfunktionär oder Honorarkonsul verkleidet.  

Durchgesteckte Gerüchte

Zwei Tage später erscheint ein neues Stück aus der Feder des gleichen Redakteurs. Ähnlich wie die Kollegin vom Blatt mit den großen Bildern und dem kleinen Anspruch musste er wahrscheinlich nicht viel Zeit in die Recherche der Artikel investieren. Obgleich die Vorwürfe an den Präsidenten auf dem Niveau eines Zickenkriegs zwischen hysterischen Mitarbeitern daherkommen, stammen sie wohl direkt aus dem Machtzentrum des Clubs. Wenige Tage vor Weihnachten kann niemand mehr leugnen: Beim VfB läuft eine Kampagne gegen Claus Vogt.

Ihr kennt sicher auch Kollegen, die gern über Bande spielen, oder? Das hört sich dann ungefähr so an: Ich habe gehört, du bist im Team isoliert. Man sagt, du blockierst eher, als die Arbeit voranzutreiben. Mir wurde zugetragen, du mischst dich in Fragen ein, die deine Kompetenzen überschreiten. Kollegen berichten, man wundert sich über deine Sitzungsführung.

Schwelender Machtkampf

Nun sollte man durchgesteckte Informationen dieser Art eigentlich geflissentlich ignorieren, aber die Anzeichen verdichten sich, dass die Kampagne nicht nur aus dem Homeoffice eines verbitterten Mitarbeiters kommt, sondern Ergebnis eines länger schwelenden Konflikts zwischen Bewahrern und Erneuerern ist. Erinnern wir uns: Nach dem Rücktritt des Präsidenten ihrer Gnaden konnte es den Strippenziehern im Club nicht schnell genug gehen, das Amt des Vorstandsvorsitzenden zu besetzen. Damit verschiebt sich die Machtarchitektur nachhaltig zugunsten der AG. Der neu gewählte Präsident darf sich irgendwo ein kleines Büro suchen. Doch er bleibt hartnäckig und stellt Fragen. Er tut genau das, wofür ihn die Mitglieder gewählt haben. Wer kann ihm das vorwerfen?  

Man könnte als kleine Illustration die Besetzung aller Gremien und Leitungsposten in AG und Verein auf ein Papier schreiben und alle Namen farbig markieren, die den Mitgliedern zum Zwecke der Ausgliederung ein X für ein U vormachten. Anschließend unterstreichen wir alle, die das System Dietrich aktiv mittrugen. Mit einem Punkt versehen wir alle, die mutmaßlich in die Weitergabe der Mitgliederdaten verstrickt sind. Habt ihr jetzt noch saubere Namen auf dem Blatt? Falls ja, in welcher Abhängigkeit stehen sie zu denen, die bunt, unterstrichen und bepunktet sind?

Aus dem Handbuch der Giftmischer

Um eine missliebige Person zu diskreditieren, muss man sie einfach nur zum Gegenspieler allgemein beliebter Akteure stempeln. Eine Kostprobe aus dem Handbuch der Giftmischer gefällig? „Tatsächlich bestand die Gefahr, dass sich der Architekt des Teams verabschiedet.“ Vogt gefährdet Mislintats Verbleib in Stuttgart, indem er dessen Vertragsverlängerung blockiert? How dare you, Claus? Verträge mit Führungskräften im Aufsichtsrat genau unter die Lupe nehmen? Das geht natürlich gar nicht.

Die Denunzianten kümmert es nicht, dass die Anschuldigungen wenig stichhaltig sind. Möglichst viel Dreck soll haften bleiben Darum geht es. Wer Hitzlsperger und Mislintat unterstützt, muss Vogt in Frage stellen, lautet die Botschaft. Und weiter: Der Präsident funkt der funktionierenden sportlichen Führung dazwischen. Eine Schlangengrube ist ein Hort der Tugend gegen das Clubhaus in der Mercedesstraße.

Nachrichten vom Katzentisch

Wer sich durch den Artikel voller Behauptungen gekämpft hat, fragt sich irgendwann, mit welchen Mitteln die Lokalpresse eigentlich arbeitet. Präsentiert der Redakteur hier sorgfältig geprüfte, aus mehreren unabhängigen Quellen stammende Fakten oder einfach nur absichtlich gestreute Gerüchte? Spitze Zungen behaupten, er habe am Katzentisch der selbsternannten Grandseigneurs sitzen dürfen und dabei eifrig mitgeschrieben.

Zwei Vorwürfe setzen dem Giftcocktail dann das Sonnenschirmchen auf: Die Aufklärung sei eine Nummer zu groß angelegt, außerdem zu teuer. Und: Vogt habe ein veraltetes Verständnis seiner Funktion als Präsident. Spätestens jetzt ist klar, woher der Wind weht. Die Untersuchungen zur Datenaffäre sind nämlich vor allem denjenigen ein Dorn im Auge, die etwas zu verbergen haben. Und wenn aus dem Club moniert wird, dass Claus Vogt sein Präsidentenamt falsch interpretiere, sehnt man sich dort offensichtlich zurück zu den „einstimmigen“ Entscheidungen der Ära Dietrich. Dass im Aufsichtsrat lange Zeit keine kritischen Fragen gestellt wurden, ist einer der Gründe für den Niedergang des Clubs in den vergangenen Jahren.

Tradition der Selbstzerstörung

Der VfB könnte es fertig bringen, endlich wieder Spiele zu gewinnen und seine Fans zu erfreuen, am Ende aber trotzdem als Verlierer dazustehen. Dem letzten Satz des Artikels kann ich schließlich doch zustimmen. Allerdings ist es nicht der VfB alleine, der sich wieder einmal ein Bein stellt. Die Presse, die bereits vor der Ausgliederung und beim Streit um Wolfgang Dietrich eine unrühmliche Rolle spielte, lässt sich aufs Neue für die Ränkespiele der Mächtigen vor den Karren spannen. Eine weitere Parallele zu damals: Sowohl im Club als auch in den Redaktionsstuben tun sich die gleichen Protagonisten hervor. Diese Art der Vereinspolitik hat zwei Abstiege und eine hanebüchene Misswirtschaft verursacht. Ist es nicht langsam genug?

Das letzte Spiel des Jahres in der Bundesliga erinnert uns an Dinge, die wir in den Wochen der überraschenden Erfolge verdrängt haben. Zum Beispiel, dass es Spiele gibt, in denen unsere Mannschaft kein Tor erzielt. Oder dass die Entwicklung junger Spieler ein Auf und Ab ist. Doch die 18 Punkte und die Freude am erfrischenden Fußball des VfB kann uns keiner mehr nehmen.

VfL Wolfsburg – VfB 1:0

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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