Auf der Suche nach Stabilität (Teil 2)
Tedesco trotz DFB-Pokal-Sieg und starker Rückrunde in Leipzig entlassen. Tuchel bei Chelsea raus, obwohl er 2021 mit der Mannschaft den Champions-League-Titel gewann und die Premier League zuletzt auf Platz 3 abschloss. Das Trainerkarussel dreht sich zu Saisonbeginn schon wieder rasend schnell.
Als VfB-Fan kommt man angesichts solcher Meldungen nicht mehr sofort ins Schwitzen. In Teil 1 konntet ihr bereits nachlesen, dass Matarazzo kurz davor ist, eine Legende wie Arie Haan in punkto Amtszeit zu überholen, gleichzeitig aber eine schwache Bilanz nach Punkteschnitt aufweist. Welchen Anteil hat der Trainer also daran, dass die Entwicklung nicht voranzugehen scheint?
Schicksalsgemeinschaft
Sven Mislintat hat bereits früh klar gemacht, dass er sein Projekt beim VfB mit diesem Trainer durchziehen wird. Nach den Niederlagen in Wiesbaden und Kiel setzte er im Mai 2020 eine Vertragsverlängerung durch, obwohl das Saisonziel zu diesem Zeitpunkt stark in Gefahr geraten war. Im Februar 2021 wurde der Kontrakt des Cheftrainers noch einmal vorzeitig bis Juni 2024 verlängert. In Interviews macht der Sportdirektor immer wieder deutlich, dass er seine eigene Zukunft in Cannstatt mit der des Trainers verknüpft.
„Wer die Spiele des VfB anschaut, sieht, welch‘ entscheidenden Faktor die Arbeit von Pellegrino Matarazzo ausmacht, um den gemeinsam beschlossenen Weg gehen zu können.“ Mit solchen Aussagen unterstreicht Mislintat, dass die beiden die gleiche Vorstellung von Fußball teilen. Gleichzeitig betonen sie aber immer wieder, dass intern sehr lebhaft diskutiert werde.
Unterschiedliche Nuancen in der externen Kommunikation fallen spätestens zu Beginn der Rückrunde 21/22 auf. Der Trainer lässt durchblicken, dass er einige Spieler im Kader in ihrer aktuellen Verfassung nicht für bundesligatauglich hält. Nach der Saisonanalyse spricht sich Matarazzo für eine deutliche Reduktion der Kadergröße aus. Längerfristige Transferprojekte wie Faghir, Beyaz oder Sankoh werden durch Leihen ausgelagert.
Auch in der Bewertung von Spielen lassen sich Unterschiede feststellen. Während Mislintat der Mannschaft gerne den Rücken stärkt – und dabei das eine oder andere Mal übers Ziel hinausschießt – äußert sich der Trainer kritischer. An der Gesamtkonstellation hat sich freilich nichts geändert: Selbst wenn die Ergebnisse unbefriedigend bleiben, ist es kaum vorstellbar, dass der Sportdirektor seinen Trainer fallen lässt.
Ist der Kader gut genug?
Auch im dritten Bundesligajahr heißt die einzig realistische Zielsetzung Klassenerhalt. Insgesamt 14 Abgänge – darunter die Führungsspieler Kalajdzic und Mangala – haben den VfB-Kader sowohl in der Spitze als auch in der Breite geschwächt. Die Zugänge von Vagnoman, Guirassy, Pfeiffer und Perea sowie interne Alternativen sollen den Substanzverlust auffangen – ein gewagtes Unterfangen.
Nicht erst gegen Schalke wird deutlich, dass ein Spieler wie Ito in seiner zweiten Bundesligasaison Leistungsschwankungen unterworfen ist. Ihm täte eine Pause vielleicht gut, aber der Kader gibt in der Innenverteidigung keine ernsthafte Alternative her. Die Abgänge von Kempf und Mola wurden nicht kompensiert.
Das Mittelfeld mit Endo, Ahamada und Führich ist gegen Schalke nicht in der Lage, die Kontrolle über das Spiel zurückzugewinnen. Die Mannschaft verliert ab Mitte der ersten Hälfte ihre Struktur. Neben Karazor heißen die Alternativen Nartey, Millot und Egloff – viel Talent, aber niemand, der einem Spiel seinen Stempel aufdrücken kann. Wäre ein anderer Trainer in der Lage, aus diesem Spielerangebot ein solides Bundesligamittelfeld zu basteln?
Im Angriff stehen gegen Schalke nur Silas und Perea zur Verfügung. Der nominelle Mittelfeldspieler Egloff wird am Ende als hängende Spitze aufgestellt. Auch wenn Tomás, Pfeiffer und Guirassy einsatzbereit sind, bleibt die Frage, ob der Kader auf Bundesliganiveau genügend Durchschlagskraft und Abschlussstärke mitbringt.
Diese Beispiele zeigen, dass der so genannte Stuttgarter Weg mit erheblichen Risiken verbunden ist. Schon in der vergangenen Saison schmerzten die Abgänge vor allem von González und Kobel mehr als erhofft. Um eine sorgenfreie Saison zu erleben, müsste man die Substanz erhalten und den Kader im besten Fall punktuell ergänzen. Der Handlungsspielraum diesbezüglich ist beim VfB jedoch einschränkt, da ein Teil des Transferüberschusses zunächst zur Konsolidierung der Finanzen benötigt wird.
Wie stabilisiert man sich in der Bundesliga?
Andere Klubs zeigen derweil, wie man sich ohne größere Investitionen in der Bundesliga etablieren kann. Beim SC Freiburg wurde jahrelang seriös gewirtschaftet, was ihnen besonders in der Corona-Krise zugute kam. Inzwischen können die Breisgauer den jungen Nationalspieler Nico Schlotterbeck mit einem erfahrenen Recken wie Matthias Ginter ersetzen. Obwohl sich der Sportclub schon seit vier Jahren in der oberen Tabellenhälfte festgesetzt hat, lagen die Personalkosten in der Saison 20/21 nur bei gut 53 Mio. Euro (siehe DFL Finanzkennzahlen).
Auch der FC Union und Mainz 05 haben bewiesen, wie es gehen kann. Die Berliner erreichten im gleichen Zeitraum mit einem Personalaufwand von rund 40 Mio. Euro Tabellenplatz 7, die Rheinhessen mit gut 48 Mio. Euro Rang 12. In der vergangenen Saison konnten sich die beiden Vereine weiter in der Bundesliga stabilisieren. Zum Vergleich: Der VfB gab im Kalenderjahr 2021 über 82 Mio. Euro für Personal aus und rettete sich zuletzt nur haarscharf vor dem Abstieg.
Nun kann man die Situation der genannten Klubs sicher nicht eins zu eins vergleichen und dennoch ist festzuhalten, dass es andere erfolgsversprechende Ansätze gibt. Beim Union schafft es Trainer Urs Fischer immer wieder, bezahlbare Neuverpflichtungen in die Mannschaft zu integrieren und individuell besser zu machen. Mentalität, Disziplin und Robustheit zählen bei ihm zu den wichtigsten Tugenden. Der SC Freiburg ist von Jahr zu Jahr reifer geworden und gehört heute zu den abgezocktesten Teams der Bundesliga, ohne über die ganz großen Einzelspieler zu verfügen. In einem so gefestigten Gerüst können sich dann auch junge Spieler leichter entwickeln.
Und der VfB? In Cannstatt erwirtschaftet man Transferüberschüsse, versucht die Abgänge aber in erster Linie intern oder mit der Verpflichtung von Potenzialspielern aufzufangen. Wenn diese Strategie aufgeht, ist das Verhältnis zwischen Investition und sportlichem Erfolg natürlich gut, wenn die Nachwuchskräfte aber mit ihrer Rolle überfordert sind, kann schnell die ganze Mannschaft in Schieflage geraten. Reife und Robustheit sind jedenfalls keine Attribute, die man mit Matarazzos Mannschaft in Verbindung bringen würde.
Fazit
Passend zur Klubphilosophie „jung und wild“ und zur Zusammenstellung des Kaders setzt der VfB auf einen lernfähigen Trainer, der junge Spieler entwickeln kann und will. Doch die gewählte Strategie könnte durch fehlende Resultate ins Wanken geraten. Jetzt sollen mehr Schärfe und Pragmatismus dabei helfen, die Spieler an ihre Leistungsgrenze zu bringen.
Man sollte Matarazzo Zeit geben, seine veränderte Herangehensweise mit dem verschlankten Kader umzusetzen. Wenn sich allerdings herausstellt, dass er die ausgewählten Spieler trotz der verschärften Gangart nicht zu einer Mannschaft formen kann, die in der Bundesliga Akzente setzen kann, müssen sich seine Vorgesetzten fragen, ob es an der fehlenden Qualität des Kaders oder am Trainer liegt. Immerhin hat die letzte Transferperiode genügend Geld in die Kassen gespült, um im Winter substanziell nachzurüsten. Wenn es dann nicht schon zu spät ist.
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson