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Wie weggeblasen

Der bisherige Saisonverlauf umschmeichelte die VfB-Fans wie ein unbeschwerter Spätsommertag. Damit ist auf der Ostalb erst einmal Schluss. Fiese Windböen treiben Regen und Herbstlaub durch die kleine Arena auf dem Schlossberg. Wie weggeblasen sind bei der Hoeneß-Elf auch die Passsicherheit und Souveränität der vergangenen Wochen. Der Aufsteiger aus Heidenheim schlägt den Tabellendritten mit ziemlich einfachen Mitteln. Ein Rückschlag aber kein Beinbruch, denkt man sich in Cannstatt und stellt schon einmal den Nikolausstiefel bereit.

Heidenheimer Lufthoheit im Stuttgarter Strafraum. (Foto: IMAGO/Michael Weber)

Heidenheimer DNA

Der Trainer des 1. FC Heidenheim ist einer, der gerade heraus spricht. In der Pressekonferenz vor dem Spiel ordnet er die Serie von vier verlorenen Spielen in prägnanten Sätzen ein. „Was wir zuletzt gespielt haben, entspricht nicht unserer DNA. Wir müssen wieder unsere Stärken auf den Platz bringen.“ Frank Schmidt ist aber nicht nur ein guter Motivator, sondern auch ein exzellenter Fußballfachmann. Er entschlüsselt das hochgelobte VfB-Aufbauspiel, indem er die Anspielstationen zustellt und den Offensivspielern keinen Raum zur Entfaltung gibt.

Und der VfB? Auch wenn Sebastian Hoeneß in der Pressekonferenz am Freitag andeutete, dass über die unangenehmen Bedingungen auf der Ostalb gesprochen worden sei, wirkt seine Mannschaft unbeteiligt, fast gelangweilt. Immer wieder suchen Anton und Zagadou vergeblich nach Passwegen durch das Zentrum. Dem Spiel des Tabellendritten fehlen Breite und Tiefe gleichermaßen. Die langen Bälle ins Niemandsland dokumentieren die Stuttgarter Ratlosigkeit.

Silas vergibt die frühe Chance zur Führung. (Foto: Pressefoto Baumann/Alexander Keppler)

Wenn es spielerisch nicht läuft, musst du wenigstens deine Torchancen nutzen, lautet eine fußballerische Binsenweisheit. Spitzenmannschaften pflegen auf diese Weise, selbst aus schlechten Spielen Punkte zu holen. So weit ist die Hoeneß-Elf aber noch lange nicht: Silas versucht nach Stillers Steilpass, den Ball ins Tor zu tragen, statt ihn einfach reinzuhauen (7.), bevor er in der zweiten Hälfte den Strafstoß auf die Tribüne jagt (56.). Auch der eingewechselte Mittelstädt aus halblinker Position (79.) oder Bundesliga-Debütant Raimund aus kurzer Distanz (90.+2) hätten zumindest noch für einen Punkt sorgen können.

Es darf sich allerdings niemand beschweren, dass der Aufsteiger als Sieger vom Platz geht. Während die Weiß-Roten ihre Qualitäten an diesem Sonntagabend kaum einbringen können, zeigen die Gastgeber nicht nur ihre DNA sondern auch ihre Stärke nach offensiven Standards. Dass Jan Schöppner einen von Jan-Niklas Beste getretenen Eckstoß zur Führung verwandelt (70.), ist alles andere als Zufall.

Dicke Brocken

Dank des komfortablen Punktepolsters muss man in Bad Cannstatt nach der unnötigen Niederlage beim württembergischen Nachbarn nicht gleich in Panik verfallen. Doch man sollte den Tücken des Spielplans ins Auge sehen: Bochum, Darmstadt und Mainz standen bereits auf dem Programm, jetzt kommen eben Dortmund, Leverkusen und die Bayern. Die Diskussion, ob der VfB schon auf dem Weg zu einer Spitzenmannschaft sei, könnte sich da schnell erübrigen – oder sogar in eine ziemliche Blamage ausarten. Fragt mal in Dortmund nach.

Auch die Fragen nach Toptorschütze Guirassy werden nun wieder drängender. Sein Fehlen zeigt einmal mehr, welch großen Anteil des VfB-Spiels er auf seinen Schultern trägt. Nach den Erfahrungen der englischen Woche müssen wir wohl auch Enzo Millot mit dem Etikett unersetzlich versehen. Er bewegt sich geschickt zwischen den Linien, sein Zusammenspiel mit Guirassy wirkt wie aus einem Guss und in Heidenheim fehlt er an allen Ecken und Enden. Auf der rechten Außenbahn warten alle sehnsüchtig auf die Rückkehr von Josha Vagnoman. Leweling und Silas haben sich jedenfalls schon einmal für einen Platz auf der Bank empfohlen.

Luca Raimund scheitert bei seinem Bundesligadebüt an der Latte. (Foto: IMAGO/Jan Huebner)

Oder schlägt jetzt die Stunde des 18-jährigen Luca Raimund? Am Sonntag feiert das Böblinger Eigengewächs in der Schlussphase sein Bundesliga-Debüt. Der schnelle Außenspieler ist inzwischen näher an Profi-Einsätzen als manch höher eingeschätzte NLZ-Kollege. Für die jungen Talente stehen auch unter Cheftrainer Hoeneß die Türen offen, das Leistungsprinzip gilt allerdings trotzdem. Solange also beispielsweise ein Li Egloff nicht mehr anbietet als seine direkten Konkurrenten, bleibt ihm nur die Rolle als Ergänzungsspieler – und früher oder später der Wechsel zu einem anderen Verein. Englische Wochen wären da eigentlich der perfekte Zeitpunkt, um sich in den Vordergrund zu spielen.

An Nikolaus kommt der BVB

Kurz bevor das Spiel auf der Ostalb angepfiffen wird, zieht die Parasportlerin Denise Schindler den BVB als Achtelfinalgegner des VfB im DFB-Pokal. Bei nur noch sechs im Topf verbliebenen Bundesligisten ein schweres Los. Trotzdem passt die Paarung wie die Faust aufs Auge: die vor Kurzem noch hoch fliegenden Schwaben gegen die notorisch überschätzte Borussia. Angenehmer Nebeneffekt: Der Sieger darf sich eine durchaus reelle Titelchance ausrechnen. Titel … was? Während man in Stuttgart zuerst an einen Enkel-Trick glaubt, winken Schwarz-Gelbe müde ab: Hatten wir doch erst gegen Mainz.

Das Spiel wird voraussichtlich am 6. Dezember stattfinden – richtig, Nikolaustag! Da sind bekanntlich vor allem die Kinder froh und munter. Es sei denn, sie haben ihre Hausaufgaben nicht gemacht. Dann bekommen sie Ruprechts Rute zu spüren. Die VfB-Profis haben also noch einen Monat Zeit, den Heiligen aus Myra gnädig zu stimmen. Auftritte wie am Sonntag in Heidenheim darf man sich da nicht mehr erlauben.

1. FC Heidenheim – VfB Stuttgart 2:0

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Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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