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Verpufft

Wer möchte Bruno Labbadia widersprechen, wenn er sagt: „Es gibt keinen Ersatz für Siege.“ Nach gewonnenen Spielen treten Sportler gewöhnlich selbstbewusster auf, weil sie an ihre Stärken glauben. Jetzt weiß auch der neue VfB-Trainer, dass seine Mannschaft anders tickt. Ausgerechnet nach Erfolgen ist da die Gefahr eines Spannungsabfalls nämlich besonders groß. Die letzten zwei Siege in Folge datieren aus der Saison 2020/21. Die unrühmliche Serie hält auch in Gelsenkirchen.

Die gute Stimmung ist verflogen: Der VfB enttäuscht beim Kellerduell auf Schalke. (Foto: IMAGO/Nordphoto via kicker.de)

Schwächelnde Außenverteidiger

Sinnbildlich für den gründlich misslungenen Abend in der Arena auf Schalke steht einer der Matchwinner vom Sieg gegen Köln. Unter der Woche gab Sosa noch fleißig Interviews, die erste Halbzeit gegen den Tabellenletzten gehört dann zu den schwächsten, die er seit Langem im Trikot mit dem Brustring abgeliefert hat. Beim 1:0 verliert der Linksverteidiger seinen Gegenspieler Drexler aus den Augen, beim 2:0 lässt er sich von Zalazar überlaufen. Wenn Borna in näherer Zukunft im europäischen Spitzenfußball mitmischen will, muss er sich defensiv deutlich steigern.

Borna Sosa verliert vor dem 2:0 den Zweikampf gegen Zalazar. (Foto: Fabian Strauch/dpa)

Nicht besser ergeht es seinem Pendant auf der rechten Abwehrseite. Der Trainer und andere Experten ließen in den vergangenen Wochen immer wieder anklingen, dass der gemeine Zuschauer Waldemar Antons Wert auf dieser Position nicht zu schätzen wisse. Sein Auftritt in Gelsenkirchen beweist das Gegenteil. Je offensiver der etatmäßige Innenverteidiger positioniert ist, desto verlorener wirkt er. Ein leichter Ballverlust reiht sich an den nächsten, während gleichzeitig fast jeder vielversprechende Angriff der Gastgeber über seine Seite läuft. Labbadia erlöst ihn in der 57. Minute und wechselt den gelernten Flügelspieler Vagnoman ein.

Wunschdenken

In den vergangenen Wochen wurde in Stuttgart viel über den Trainer diskutiert. Einer der alten Schule, dessen Fußball nach Schuhsohle schmeckt, sagen die einen, ein erfahrener Fachmann, der sich seit 2013 weiterentwickelt habe, die anderen. Borna Sosa erklärte seinen Trainer unter der Woche zum besten, den er je hatte. Insofern erstaunlich, als der Kroate die Vorbereitung unter Labbadia verletzungsbedingt versäumt hat und erst seit wenigen Wochen wieder im Mannschaftstraining ist.

Beim Spiel gegen den Tabellenachtzehnten aus Gelsenkirchen muss sich der gebürtige Darmstädter vorwerfen lassen, dass seiner Mannschaft in der ersten Halbzeit die Einstellung zum Spiel fehlt und sie die Schalker Personalsorgen auf den Außenverteidigerpositionen nicht zu nutzen weiß. Führich und Dias setzen Aydin und Matriciani kaum unter Druck, im Zentrum steht Silas gegen Jenz und Yoshida auf verlorenem Posten. In der Pressekonferenz vor dem Spiel lobte Labbadia noch den neuen Konkurrenzkampf im Team. Im wichtigen Abstiegsduell kommt aber außer Bredlow keiner an die Leistungsgrenze.

Formtabelle der letzten sieben Spieltage. (Quelle: tranfermarkt.de)

Seit dem Trainerwechsel hat die Mannschaft gerade einmal fünf Punkte geholt. Nur die in diesem Jahr noch sieglose TSG Hoffenheim steht in der Formtabelle noch hinter dem VfB. Auch spielerisch treten die Schwaben auf der Stelle. Weiterhin fehlen Präzision und funktionierende Abläufe im Angriffsspiel. Zudem wird die viel beschworene neue defensive Stabilität von engagierten aber limitierten Schalkern als Wunschdenken entlarvt.  

Die Mär von der Qualität

Nach dem Sieg gegen Köln waren aus verschiedenen Richtungen lobende Worte über die Qualität des Kaders zu vernehmen. Die Gegner fürchteten den Speed der Weiß-Roten, für manche Spieler seien in der Winterpause zweistellige Millionenbeträge geboten worden. Auch Neuzugang Haraguchi wurde in den höchsten Tönen gepriesen.

Seit dreieinhalb Jahren hören wir diese Schalmeien, doch im Wettbewerb kommt das geballte Potenzial selten zum Tragen. Stattdessen sehen wir häufig grundlegende taktische und technische Defizite. Wenn der Gegner dann auch noch entschlossener und bissiger zu Werke geht, verliert man sogar das Duell gegen ein fast abgeschlagenes Schlusslicht. Auch der erfahrene Genki Haraguchi kann da nicht gegensteuern. Seine Professionalität und vorbildliche Einstellung in allen Ehren – aber wer die erste und zweite Liga schon ein paar Tage länger verfolgt, kennt auch die Grenzen des 31-jährigen Japaners, der für einen offensiven Mittelfeldspieler ziemlich wenig Torgefahr ausstrahlt.   

Gleiches trifft auf Chris Führich zu. Die Aktionen des flinken Offensivmanns sehen im Ansatz oft vielversprechend aus, bevor er mit einem überhasteten Abschluss alles zunichte macht. Selbst der zur Halbzeit eingewechselte Coulibaly wirkt dagegen effizient. Folgerichtig gelingt dem VfB trotz einer längeren Druckphase nur der Anschlusstreffer, als Fährmann einen harmlosen Sosa-Schuss durch die Hosenträger rutschen lässt. Ehrlich gesagt fällt einem auch kein Stuttgarter ein, der sich an diesem Tag als Torschütze aufgedrängt hätte – trotz aller Qualität.   

Chance verpasst

Beim Blick auf die Tabelle wird deutlich, welchen Schritt der VfB am Samstag verpasst hat. Statt vor den schwierigen Aufgaben der kommenden Wochen ein bisschen durchzuatmen, steht das Team von Bruno Labbadia nur noch drei Punkte vor Schalke und punktgleich mit dem Vorletzten aus Bochum gewaltig unter Druck. Wie schon im Mai verpufft ein vielversprechender Erfolg gegen den 1. FC Köln. Gegen wen möchte man nun die fehlenden fünf Siege für den Klassenerhalt holen? Ich hoffe, Sportdirektor Wohlgemuth sagt der Mannschaft rechtzeitig Bescheid, dass nächste Woche der FC Bayern kommt. Nicht dass sie wieder überrascht ist.

FC Schalke 04 – VfB Stuttgart 2:1

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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