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Und es hat Klick gemacht

Toor in Heidenheim! Kerschbaumer trifft in letzter Sekunde zum 2:1 gegen den HSV. Und wie steht´s in Nürnberg? – 0:6. Und selbst das ist für die Franken noch schmeichelhaft. Damit ist der VfB so gut wie aufgestiegen. Der VfB Stuttgart ist wieder da!

Selbst ältere Semester dürften Schwierigkeiten haben, sich an eine ähnlich überraschende sportliche Wendung in der Geschichte des launischen Clubs aus Cannstatt zu entsinnen. Vor einer Woche war mein Urteil über die Amtszeit von Pellegrino Matarazzo nach der peinlichen Derbyniederlage in Karlsruhe noch vernichtend: „Wenn man das Lineal anlegt und von Januar bis heute eine Gerade zieht, führt diese Linie geradewegs in den Abgrund.“ Tja, die Linie hat am Mittwochabend einen Knick gemacht und ein „V“ geformt. Dass der Strich auf der linken Seite unendlich erscheinende 31 Spieltage misst, der rechts aber nur zwei, müssen sich die Herren in der Mercedesstraße hinter die Löffel schreiben. Wenn ich Hitzlspergers „Wir haben noch einen langen Weg vor uns“ richtig interpretiere, herrscht dort vor allem Erleichterung.

Was geschah zwischen dem 14. und 17. Juni?

Ich weiß nicht, ob man beim VfB schon eine Sonderkommission eingerichtet hat, denn ohne Profiler wird die entscheidende Frage wohl nie beantwortet werden: Wer hat dem VfB Leben eingehaucht? Vor Wochenfrist erlebten wir eine dysfunktionale Truppe in Karlsruhe, drei Tage später eine spielfreudige Einheit gegen Sandhausen und in Nürnberg schließlich einen Auftritt im Stile einer Spitzenmannschaft.  

War es Badstubers emotionaler Ausbruch nebst Verbannung auf die Bank, der den Umschwung brachte? Was hat das Trainerteam in der Ansprache verändert? Was hat es mit dem neuen „Mindset“ auf sich, das man der Mannschaft vermittelt habe? Oder wirkte die taktische Umstellung zurück auf die Dreierkette Wunder? Matarazzo kündigte auf der Pressekonferenz an, dass er nach der Saison seine Überlegungen dazu näher erläutern könne, falls Interesse bestünde. Si, Signore, ich bitte darum.

Wie von allein

Schon seit Monaten schwärmt man uns vor, welches Potenzial in dieser Mannschaft schlummere. Jetzt haben wir es endlich mit eigenen Augen gesehen. Endlich war der Klassenunterschied zu erkennen, den wir uns schon die ganze Saison erhofft hatten. So blöd es klingt: Sandhausen und Nürnberg sind mit den Ergebnissen noch gut bedient.

Plötzlich spürt man diesen Spirit auf dem Platz, den jede Mannschaft braucht, um erfolgreich zu sein. Sinnbildlich dafür steht Gregor Kobel, der vor dem Anpfiff gegen Sandhausen seine Jungs heiß machte. Gradlinig vorgetragene Angriffe, die eiskalt abgeschlossen werden, haben wir so lange vermisst. Gefährliche Standards kannten wir bisher nur von den Gegnern, genauso wie frühe Führungen.   

Während der letzten beiden Spiele musste ich an meinen Sohn denken, als er Fahrrad fahren lernte. Erst unsicher und zögerlich, aber nachdem er einmal das Gleichgewicht gefunden hatte, brauste er auf einmal mit einer Selbstverständlichkeit und Begeisterung über den Feldweg, als sei er auf dem Sattel geboren. Kleiner Unterschied zum VfB: Er hat dazu keine 31 Spieltage gebraucht.

Die Geschichte dieser Zweitligasaison wirkt so konstruiert, dass man jeden Drehbuchautor dafür auslachen würde. Nach der demütigenden Pleite beim Erzrivalen aus Baden gibt keiner mehr einen Pfifferling auf die Truppe, als sie sich plötzlich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zieht. 11:1 Tore in zwei Partien. Aus Buhmännern werden Strahlemänner. Ata, der Libero. Nico, der Torjäger. Zwei vermeintliche Fehleinkäufe avancieren zu Matchwinnern.

Lehren aus der Saison

Die Verantwortlichen beim VfB werden neben ungläubiger Freude auch Genugtuung verspüren, dass die Kritiker erst einmal widerlegt wurden. Eine Frage drängt sich allerdings trotzdem auf: Warum erst jetzt?

Sieht man die vielversprechenden Kurzeinsätze von Egloff und Klimovicz, fragt man sich, ob die beiden nicht auch in anderen Partien für Belebung gesorgt hätten. Hat sich Matarazzo mit seiner Angsthasen-Aussage auch ein bisschen selbst entlarvt? Brachte er den nötigen Mut erst auf, als er kurz vor dem Scheitern stand?

Während der Pegel langsam sinkt, blicken wir nüchterner auf diese schwache Saison mit dem spektakulären Ende. Neun Niederlagen sind in der zweiten Liga kein Ruhmesblatt. Und wenn sich der HSV nicht so extrem dämlich angestellt hätte, würden wir heute bibbernd nach Düsseldorf schielen. Der Sportdirektor hatte den Hamburgern – entweder ziemlich voreilig oder ganz schön schlau – schon Ende Oktober zum Aufstieg gratuliert. Der wird dem VfB nun auf dem Silbertablett serviert. Die Mängelliste ist trotzdem so lang, dass die sportliche Leitung ihren Urlaub möglichst kurz halten sollte. Dabei wird es auch darauf ankommen, dass es Leute im Club gibt, die der Auffassung von Sven Mislintat widersprechen, dass der aktuelle Kader in der Bundesliga eher besser performen werde, da endlich der Favoritendruck wegfalle.

Irgendwann fängt nämlich jemand an zu rechnen und stellt fest, dass der geschasste Tim Walter mehr Punkte zum Aufstieg beigetragen hat als Pellegrino Matarazzo, dass sein Punkteschnitt nur knapp unter dem des hochgelobten Italo-Amerikaners liegt, dass Ballschieberei und Lethargie offensichtlich aus der Mannschaft selbst hervorgingen. Andere werden fragen, was denn beim VfB in der Corona-Zwangspause schief gelaufen ist, oder warum das Gerüst an Führungsspielern während der ganzen Saison unsichtbar blieb. Auch die Lücken im Kader müssen thematisiert werden und manchem „erfahrenen“ Spieler möchte man einen aufblasbaren Rollator schenken, so wie neulich Gonzàlez seinem Abuelito Castro.

#GonzalezOro

Tausend Mal berührt, tausend Mal ist nichts passiert … und es hat KLICK gemacht. Wie Nico nach schöner Ablage von Hama den Ball in vollem Lauf mitnimmt und überlegt an Mathenia vorbei in die Ecke legt, ist besonders bemerkenswert – andere sagen „fucking Weltklasse“ – wenn man die Heimspiele gegen Schalke und Bremen aus der letzten Saison noch vor Augen hat. Der Chancentod ist erwachsen geworden und hat sich spätestens mit seiner Leistung gestern einen Artikel ganz für sich alleine verdient (stay tuned). Anderthalb Jahre warte ich schon auf die Gelegenheit, die schöne Geschichte des fußballbegeisterten Jungen aus einem Vorort von Buenos Aires zu erzählen, der seinerzeit von einer großen Entourage seines Heimatclubs in Bad Cannstatt abgeliefert wurde. Jetzt kann ich es ja ganz laut sagen: Ich bin González-Fanboy.

Estimado Nico, no ha sido fácil para ti en Stuttgart, pero siempre mantuviste el espiritu. Si hay un heroe de esta temporada, eres tú!

VfB – SV Sandhausen 5:1

1. FC Nürnberg – VfB 0:6

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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