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Spiel, Spaß und Spannung

Über den Flutlichtmasten schimmert der Cannstatter Abendhimmel in den schönsten Violetttönen. Es wird langsam frisch, denn der Herbst ist im Anzug. Von der klassischen VfB-Krise ist freilich weit und breit (noch) nichts zu spüren. Ungeschlagen geht Tim Walter mit seinen Jungs in die Länderspielpause. Nach dem knappen 2:1-Sieg gegen den taumelnden VfL aus Bochum hat sich zuallererst die sportliche Leitung eine Verschnaufpause verdient: 20 Neuzugänge und 19 Abgänge bedeuteten in den letzten Wochen Schwerstarbeit für Mislintat und Co.

Während der neue Dude von Cannstatt jetzt vielleicht irgendwo am Strand einen Cocktail schlürft, machen sich Journalisten und Fans daran, das Werk zu begutachten. Radikalumbruch? Kann man so sagen. Diamanten zum Polieren? Sicherlich auch. Aufstiegskader? Halt! Bloß nicht wieder einen Kader in den Himmel loben, der nachher an der ersten Klippe zerschellt. Lassen wir den Auftakt der Zweitligasaison lieber erstmal sacken und freuen uns unbeschwert über kleine Dinge, die man in Cannstatt in den letzten beiden Jahren nicht erleben durfte.

Die zweite Halbzeit neigt sich am Montag schon dem Ende zu, als Tim Walter seine Spieler mit rudernden Armen nach vorne treibt. Pressen! Aufs 3:1 gehen, statt die Führung am eigenen Strafraum zu verteidigen. Fünf Weiß-Rote tummeln sich noch in der 85. Minute im Bochumer Strafraum, um eine Hereingabe zu verwerten. Der Anti-Korkut in Reinform.

Wir können auch über den Spaß am Spiel sprechen. Wie der junge Wamangituka die Gegner im Mittelfeld austanzt, wie Didavi den Torwart ein ums andere Mal im Vollsprint anläuft, wie Mangala einem aussichtslosen Ball hintergeht und mit Unterstützung der Eckfahne einen frenetisch gefeierten Einwurf herausholt. Wann hat man das zuletzt im Neckarstadion gesehen? Von den beiden Zuckertoren durch Didavi nach Traumpass von Klement und dem als Chancentod verschrienen González ganz zu Schweigen.

Gleichzeitig ist wie bei unseren geliebten Schokoladeneiern auch Spannung geboten. Nicht eines der ersten sechs Saisonspiele, den DFB-Pokal eingeschlossen, war langweilig. Selbst in der vierten Minute der Nachspielzeit geht Phillips als letzter Mann nochmal ins Dribbling, weil der Trainer keine lange Spieleröffnung sehen will. Mitunter geht es wie auf dem Bolzplatz hin und her, wenn die Gegner unsere spärliche Restverteidigung mit wehenden Fahnen überlaufen. Der „Walterball“ ist sicher außergewöhnlich. Ob genial oder einfach nur verrückt, wage ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vorherzusagen.

Neben Spiel, Spaß und Spannung bleibt nämlich auch die Erkenntnis, dass die Mannschaft den Gegnern auf dem Platz nicht so hoch überlegen ist, wie es auf dem Papier den Anschein hat. Jedes Spiel bisher hätte auch schiefgehen können und alle Aufstiegsträumereien werden durch den Einwand getrübt: Eine Bundesligamannschaft hätte uns für die vielen Fehler gnadenlos bestraft. In der Rückwärtsbewegung stimmt vor allem im Mittelfeld noch nicht allzu viel und die vielen Positionswechsel der Verteidiger führen nicht selten zu Löchern Marke Schweizer Käse. Nicht nur die sympathischen Neuzugänge Karazor und Al Ghaddioui müssen erst beweisen, dass sie mehr drauf haben als mittleres Zweitliganiveau.

Lassen wir den Dude also entspannen und Walter weiter mit der Mannschaft arbeiten. Der unangenehme Teil des Herbstes liegt nämlich noch vor uns, wenn wir auf der Bielefelder Alm und zweimal innerhalb einer Woche im zugigen Volkspark bestehen müssen.

VfB – VfL Bochum 2:1

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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