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Matarazzos Geist

In der ersten Viertelstunde der Zweitligapartie gegen Aue rutschen einige VfBler unruhig auf den beheizten Sitzkissen herum. Der Tabellensechste aus dem Erzgebirge füllt nicht nur den Gästeblock, sondern präsentiert sich in der Anfangsphase genauso, wie es viele befürchtet haben: hinten vielbeinig und aggressiv, nach vorne schnörkellos. Wiesbaden und Kiel sind noch nicht vergessen. Wer hätte zu diesem Zeitpunkt gedacht, dass wir einen „endlich mal wieder“ Nachmittag erleben werden?

Endlich mal wieder …

Wie oft haben wir uns gewünscht, ein Spiel schon vor der Halbzeitpause zu entscheiden? Wie oft sehnten wir uns danach, eine eigene Führung einfach souverän runterzuspielen? Wie oft träumten wir von rausgespielten Toren, die eine schöne Ballstafette krönen? Ich weiß nicht, wie es euch ging, aber ich konnte am Samstag ein paar Korkut-Weinzierl-Walter-Traumata lindern. Es kann eben auch befriedigend sein, wenn du in der zweiten Halbzeit die Kugel nur noch durch die eigenen Reihen schiebst, in der Gewissheit, dass die Veilchen einfach nicht die Klasse haben, dich noch zu gefährden. Verstehen wir uns aber nicht falsch: Die zweite Halbzeit hatte über weite Strecken das Niveau eines Trainingskicks. Der eine oder andere Bruddler unter uns wird unzufrieden auf die Tabelle geschielt haben, um das Torverhältnis im Vergleich zur Ligaspitze zu eruieren. Währenddessen ertönt aus der Kurve schon der Klassiker „Wenn du mich fragst, wer Meister wird …“.

Der Trainereffekt

Nach vier Pflichtspielen unter dem neuen Trainer kann man festhalten, dass seine Handschrift deutlich zu erkennen ist. Besonders vorteilhaft macht sie sich im Defensivverhalten der ganzen Mannschaft bemerkbar. Da wird effizienter gepresst, schneller umgeschaltet, der Raum besser abgesichert. Auch im Angriffsspiel sieht man Fortschritte: mehr Tiefe, mehr Zielstrebigkeit, Seitenverlagerungen als Stilmittel und endlich die herauskombinierten Tore, die wir uns unter Tim Walter erhofft hatten. Während ich mich in der gepflegten Langeweile der zweiten Halbzeit genüsslich zurücklehnte, sah ich Matarazzos Geist über dem Neckarstadion schweben. Sanft lächelnd – eiskalt dominierend. In der Gewissheit des Wissenschaftlers, alles sauber ausgerechnet zu haben.

Dida, bisch du´s?

Neben dem direkten Wiederaufstieg hat der Trainer die Aufgabe, Spieler zu entwickeln. Mangala und Massimo haben unter Matarazzo schon nach wenigen Wochen einen Sprung gemacht. Die Jugendspieler Egloff, Klimovicz, Aidonis und Mola sind nah an die Profimannschaft herangerückt. Aber auch bei erfahrenen Spielern kann man durchaus noch Entwicklungen auslösen. Nehmen wir einmal Dida „la Diva“ Didavi. Habt ihr den schon mal auf so vielen unterschiedlichen Positionen in einem Spiel gesehen? Als hängende Spitze im 3-5-2 aufgestellt netzte er zweimal im Stile eines Torjägers, als Spielmacher holte er sich die Bälle teilweise in der eigenen Hälfte, als Kapitän grätschte er den gegnerischen Spielaufbau ab und manchmal tauchte er auf Außen auf, um dem Spiel mehr Breite zu geben. Einschränkend muss man anfügen, dass ihm – wie auch der ganzen Mannschaft – längst nicht alles gelang, aber „jaysoulolamar10“ hat wieder Bock auf Kicken! Hervorzuheben ist auch der immer so in sich gekehrt wirkende Silas Wamangituka. Als der VfB nach 15 Minuten besser ins Spiel kam, lag das in erster Linie daran, dass man dem jungen Mann aus dem Kongo die Kugel anvertraute. Trickreich, pfeilschnell, unberechenbar. Der Hochveranlagte muss „nur“ noch lernen, rechtzeitig abzuspielen.

 Älles subbr?

Eine gewisse Zufriedenheit ist nach fünf Heimspielen in Folge mit jeweils drei eigenen Treffern nicht zu verhehlen. Trotzdem tut der VfB gut daran, den Blick für die Realität nicht zu verlieren. So zeigte der Auftritt beim FC St. Pauli, dass man auswärts nach wie vor anfällig ist. Auch innerhalb der Mannschaft gibt es noch genügend Baustellen. Die Abwehrkette lief gegen Aue – auch aufgrund von Verletzungen – zum vierten Mal unter Matarazzo in veränderter Formation auf. Für den Aufstieg wird man in diesem Mannschaftsteil mehr Stabilität brauchen. In der Offensive blitzt zwar immer wieder großes Können auf, aber wir erkennen auch deutliche Defizite. Klement, Förster oder Castro können einen Didavi nie und nimmer ersetzen, bei den Angreifern wechseln sich Genie und Wahnsinn ab. Die taktisch disziplinierte Leistung in Leverkusen oder den Pflichtsieg gegen Aue zum Maßstab für die eigene Stärke zu machen, wäre einer dieser verhängnisvollen Fehler, die in Bad Cannstatt in den vergangenen Jahren viel zu häufig begangen wurden.

VfB – FC Erzgebirge Aue 3:0

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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