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Leipzig, Baku und andere Perlen


Könnt ihr euch den bedachten Signore mit dem Seitenlinien-Pennäler bei einer Kissenschlacht vorstellen? Bei Trainerlehrgängen teilten sich Julian und Pellegrino nämlich einst das Zimmer. Man kennt und schätzt sich aus gemeinsamen Zeiten in Hoffenheim. So unterschiedlich die beiden nach außen wirken, fußballerisch verstehen sie sich bestens und vertreten eine ähnliche Spielidee: Prinzipien statt starrer Formationen, Gegenpressing und Umschalten nicht als Fetisch, sondern als Teil einer Gesamtstrategie. Gestern trafen die früheren Zimmergenossen in Leipzig aufeinander.

Ein Fest war es dann allerdings nicht, was ihre Mannschaften auf den Rasen zauberten. Früh dezimiert entwickelte der VfB in keiner Phase offensive Ambitionen und muss sich bei seinem Torwart bedanken, dass es keine Klatsche gab. Doch seien wir nicht zu kritisch mit der jungen Mannschaft. Entwicklungssprünge gibt es nicht auf Knopfdruck und ein Aufsteiger hat eben keine 30 Leistungsgaranten im Kader.

Bevor wir Matarazzos zweiten Anzug betrachten, wagen wir aber einen Blick in die große, weite Fußballwelt. Was dort geschah, veranlasste nämlich sogar den bescheidenen Aufsteiger aus Cannstatt zu einer Pressemitteilung.

Letzte Ausfahrt: Baku

Zwölf selbsternannte europäische Spitzenklubs erschütterten letzten Sonntag die Fußball-Welt mit ihrer Super-Idee. Zumindest erzählen einige Verbands- und Vereinsoberen gerne diese Geschichte. Denn auf einmal stehen sie vermeintlich auf der Seite der Guten, der Retter der Fußballkultur, des Bollwerks gegen den Turbokommerz. Viele Heuchler äußern sich plötzlich im Namen der Fußballfans. Doch im Grunde wollen die Verbände das gleiche wie Perez und seine Mitstreiter: mehr Spiele, mehr Macht und vor allem mehr Geld. In diese Richtung geht auch die Champions-League-Reform, die den Fans jetzt wie das kleinere Übel vorkommen soll.

Bei der Planung der bevorstehenden Europameisterschaft versucht die UEFA gar nicht, ihr wahres Gesicht zu verstecken. Spielorte, die mitten in der dritten Coronawelle keine festen Zusagen für Zuschauer in den Stadien geben wollen, werden eiskalt abserviert. München hat anscheinend einen besonderen Deal mit den Erpressern ausgehandelt, denn der deutschen Bevölkerung ist zeitgleich mit der in Kraft tretenden Bundesnotbremse eine Großveranstaltung mit Zuschauern nicht zu vermitteln. Aber bis Juni wird sich die Situation verbessern, hoffen die Stadt, das Land und das Bundesinnenministerium. Den Knicks vor Aleksander Ceferin beim Abgang hätte ich gerne gesehen. Oder war der UEFA-Präsident gnädig gestimmt, weil Rummenigge ganz in seinem Sinne der Super-League eine Absage erteilt hatte?

Und was, wenn die Ausgangssperren wirklich bis Ende Juni gelten? Dann spielen Jogis Eleven eben in Aserbaidschan. Angesichts des Zustands der Mannschaft vielleicht gar kein so ungünstiges Szenario. Unsereiner lässt einfach den Fernseher aus und den Großkopfeten besorgen Söders Parteifreunde sicher mühelos Eintrittskarten für Baku.

Niveaulimbo im Vorwahlkampf

Auch beim VfB wird wieder fleißig lobbyiert und paktiert. Fünf Bewerbungsmappen liegen seit vergangenem Montag auf Herrn Weningers Schreibtisch. Hinzu kommen sechs Herrschaften, die sich auf zwei Sitze im Präsidium bewerben. Bemerkenswert: Die Freundeskreis-Quote liegt bei 30 Prozent. Und: Herrn Steigers Chancen auf einen der beiden Kandidatenplätze für das Präsidentenamt steigt allein dadurch, dass er sich bedeckt hält.

Seit seiner Schnapsidee, im Dreierpack anzutreten, haben wir nichts mehr von ihm gehört. Dafür lud Joachim Pfeiffers Bürogenosse die Presse zum Gespräch. Ihr wisst schon: der Lobbyisten-Pfeiffer, der sein Bundestagsmandat niederlegen wird, weil er beim Mauscheln erwischt wurde. Dessen Geschäftspartner also, auch bekannt als Florentiner-Fürst aus Kitzbühel, hat elf Punkte zusammenschreiben lassen, damit jeder wisse, wer er sei und wofür er stünde. Konjunktiv wohlgemerkt, denn so richtig einschätzen kann ihn keiner, den Honorarkonsul im Red-Bull-Gewand. Da hilft auch sein Zettel mit den elf Punkten nichts – im Gegenteil, die sind an Beliebigkeit kaum zu überbieten. Oder würdet ihr versuchen, aus dem Darmwind einer Ziege das Wetter vorherzusagen?

Hinzu kommt jetzt noch Herr Anders. In einem demokratischen Verfahren gilt es zwar als Selbstverständlichkeit, allen Bewerbern eine faire Chance einzuräumen, aber Wolfi 2 macht es uns wirklich schwer. Er flirtet mit Bolsonaro, findet Schalkes Führung kompetent und schreibt wie ein Grundschulkind mit Förderbedarf.  

Wir können nur hoffen, dass das Niveau der Auseinandersetzung im Laufe des Wahlkampfs steigt. Denn die Anforderungen an den künftigen Präsidenten sind hoch. Im Verein und den Gremien ist in den vergangenen Monaten vieles zu Bruch gegangen. Die Vergangenheit liegt immer noch als dunkler Schatten über dem Klub. Die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sportlichen Herausforderungen der nahen Zukunft sind gewaltig. Statt leeren Parolen erwarten wir Lösungsansätze für diese komplexen Aufgaben.

Der Jenga-Turm wackelt

Auch Materazzos Mannschaft hatte in den letzten Spielen dicke Brocken vor sich. Und doch ist der Leistungsabfall unübersehbar. Zum einen sind die fehlenden Stammspieler nicht zu ersetzen, zum anderen finden die verbliebenen Stützen – Kobel einmal ausgenommen – nicht mehr zu Bestform. Wenn man sich den Abstiegskampf drei Spieltage vor Saisonende anschaut, sind die 39 Punkte auf der Habenseite Gold wert.

Bei der Kaderplanung für die kommende Spielzeit müssen die Verantwortlichen einige knifflige Fragen beantworten. Die Schnelligkeit von Silas und González, das Traumduo Sosa – Kalajdzic und das Uhrwerk Endo – Mangala auf der Doppelsechs haben entscheidend zum Klassenerhalt beigetragen. Sollte der VfB diese Bausteine nicht halten können, droht der Jenga-Turm zu fallen. Coulibaly, Massimo und Klimovicz können noch keine Stützen sein, bei anderen muss man bezweifeln, ob sie überhaupt zu mehr als gutem Zweitliganiveau im Stande sind. 51 Gegentore zeigen, dass auch für die Abwehr Verstärkung gebraucht wird.

Während Pellegrino also am Kader für die nächste Saison bastelt, flirtet Julian mit dem Branchenprimus. Wer weiß, vielleicht trainiert er ja bald einen Superligisten. Ich würde es ihm auf jeden Fall zutrauen. Zum Endspiel in Baku sitzen dann Ceferin, Perez und Söder einträchtig auf der Tribüne und feiern die neue Fußballkultur.

Red Bull Leipzig – VfB 2:0

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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