Kein Schritt nach vorne
Der Verein für Bewegungsspiele von 1893 ist eine faszinierende Angelegenheit. Menschen frieren, zittern und leiden, geben ihr halbes Wochenende dran, um die Jungs im Brustring spielen zu sehen. Der Grund – das wurde auch nach sechs Wochen Training unter Bruno Labbadia sofort deutlich – liegt sicher nicht in der Qualität der Darbietungen auf dem Rasen. Es ist subtiler. Vielleicht sogar pathologisch.
Auch und gerade in den Gremien des Klubs versammeln sich Menschen, die diese Leidenschaft für den VfB noch intensiver leben. Während die Presse eine Strafanzeige wegen Veruntreuung von Vereinsgeldern meldet und bereitwillig allerhand weitere Vorwürfe verbreitet, werden einige Gremienmitglieder nicht müde, sich für ihren Verein einzusetzen. Bei Frau Schosser und Herrn Bizer ist das anders. Die haben sich am Dienstag spontan entschieden, öffentlichkeitswirksam aus dem Vereinsbeirat zurückzutreten.
Behäbig und einfallslos
Die phrasenhaften Stellungnahmen nach Spielen wie dem gegen den Tabellenzehnten aus Mainz, wir kennen sie alle: „ein erster Schritt“, „Grundtugenden“, „keinen Vorwurf machen“. Auf das Spiel, das ich am Samstagnachmittag im Neckarstadion gesehen habe, treffen sie aber leider nicht zu. Der erste Auftritt unter dem neuen Trainer ist in erster Linie enttäuschend.
Einen klaren Plan wollte der Südhesse seinen Spielern mit auf den Weg geben. Der Spielaufbau habe bei vielen Trainingseinheiten im Mittelpunkt gestanden. Die Spieler sollten wissen, was sie zu tun haben. Stattdessen sehen die bibbernden Zuschauer viel Quergeschiebe und wenig Bewegung ohne Ball. Ich denke, man tritt Herrn Labbadia nicht zu nahe, wenn man feststellt, dass die Mannschaft seine Vorgaben kaum umsetzen konnte. Das Spiel bewegt sich über weite Strecken auf schwachem Niveau – auf beiden Seiten.
Schon bei der Aufstellung runzeln viele die Stirn. Pascal „Solide“ Stenzel (nachzulesen beim Vertikalpass), der Gewinner der Vorbereitung, sitzt nur auf der Bank. Stattdessen spielt Waldemar Anton Rechtsverteidiger. Nicht seine Position, wie wir im Spielverlauf bestätigt bekommen. Im Mittelfeld bringt Labbadia viel Stabilität und Laufstärke, ein Spiel gestalten kann aber keiner. Wenn dann noch die offensiven Außen einen rabenschwarzen Tag erwischen, liegt die Torgefahr im Bereich der Temperaturen an diesem winterlichen Januartag in Bad Cannstatt.
Erklär mir Fußball
Pellegrino Matarazzo, Michael Wimmer, jetzt Bruno Labbadia mit Bernhard Trares an der Seite. Alle diese Trainer verstehen, denken und analysieren Fußball in einer Tiefe, von der unsereiner nur träumen kann. Ob das bei ihren Spielern genauso ist? Man muss es inzwischen wirklich bezweifeln.
- Warum tritt man einem Gegenspieler im eigenen Strafraum in die Beine, obwohl der Ball schon längst weg ist und keine unmittelbare Gefahr für das eigene Tor besteht?
- Warum spielt man in den letzten Minuten eines Spiels, das man eigentlich gewinnen muss, lauter Quer- und Rückpässe?
- Warum verlässt man den Platz nach seiner Auswechslung im Trödeltempo, obwohl es kurz vor Schluss nur 1:1 steht?
Bruno Labbadia nutzt gegen Mainz nur drei seiner fünf Wechseloptionen, obwohl das Spiel geradezu nach frischen Kräften schreit. Tomás und Silas hätte er schon zur Halbzeit zum Duschen schicken können, so wenig Gefahr strahlen die beiden Offensivspieler aus. Die Strichliste ihrer missglückten Ballannahmen füllt sich ziemlich schnell.
Die Erkenntnis vor dem letzten Spieltag der Hinrunde lautet: Es reicht einfach nicht. Zu viele Spieler sind nicht in der Lage, die Anforderungen der Bundesliga zu erfüllen. Das bedeutet nicht, dass sie kein Talent haben. Nur kann sich der Trainer davon im Moment wenig kaufen.
Hinter den Kulissen
Wenn es beim VfB um Vereinspolitik geht, stöhnen die Fans schon seit Längerem auf. Die Lage ist wieder einmal verzwickt. Spätestens seit am vergangenen Donnerstag bekannt wurde, dass eine Strafanzeige gegen das Präsidium wegen des Verdachts auf Veruntreuung von Vereinsgeldern vorliegt, ist eine rote Linie überschritten. Der Vorwurf: Um den Vereinsbeirat Marc Nicolai Schlecht für seine Tätigkeit als Mannschaftsarzt der Frauenmannschaft zu entlohnen, soll in rechtswidriger Weise Geld aus der Vereinskasse entnommen worden sein.
Nicht dass die Anschuldigung an sich dermaßen schwer wöge – wahrscheinlich liegt der Streitwert in einer Höhe, dass Alt-Präsident Mayer-Vorfelder damit noch nicht einmal die Getränkerechnung eines geselligen Abends in kleiner Runde hätte begleichen können. Alarmierend ist vielmehr die Erkenntnis, dass im Hintergrund offensichtlich wieder Akteure am Werk sind, die schon so manche krumme Tour auf dem Kerbholz haben. Erinnert ihr euch noch an den Honorarkonsul von Montenegro mit eingebauter Bierpreisbremse? Oder den Autojournalisten aus Ulm, der Rechtsmittel einlegen wollte, um den Lederhosen-Konsul zu positionieren? Oder den ehemaligen Tresor-Dealer, der eine Zeit lang Wolfgang Dietrichs Tasche tragen durfte?
Der Rücktritt der Vereinsbeiräte Susanne Schosser und Martin Bizer verkommt da fast zur Randnotiz. Bemerkenswert ist höchstens, dass die ehemalige RTL-Programmdirektorin in ihrem Rücktrittsschreiben vergisst zu erwähnen, dass sie es nicht für nötig hielt, bei der Klausur aller VfB-Gremien am vergangenen Wochenende anwesend zu sein. Und der frühere Schulleiter des Untertürkheimer Wirtemberg-Gymnasiums kann sich am Dienstag plötzlich nicht mehr erinnern, was er zwei Tage vorher gemeinsam mit den Beiratskollegen beschlossen hat. Ähnlich wie Steigers Rechtsgutachten bewirken die beiden gut inszenierten Rücktritte vor allem eines: Die Glaubwürdigkeit der Vereinsspitze wird wieder einmal öffentlich in Zweifel gezogen.
Dass die Gremien seit ihrer Wahl im Sommer 2021 auch substanzielle Arbeitsnachweise vorlegen können, interessiert das gemeine Mitglied da wenig. Die Vorwürfe stehen nun einmal im Raum und werden von Teilen der Presse befeuert. Neben dem Schmierblatt mit den großen Buchstaben tut sich dabei auch die lokale Sportredaktion hervor. Versorgt mit exklusiven Informationen versäumt es der zuständige Redakteur hartnäckig, die Lage objektiv einzuordnen.
Dienstagabend: Sinsheim
Wenn mich nicht alles täuscht, fand das Auswärtsspiel an der A6 auch in der vergangenen Saison am Abend statt. Einer, der stimmungsvoll begann und ernüchternd endete. Niemand konnte der Mannschaft damals vorwerfen, der Einsatz hätte nicht gestimmt. Trotzdem fuhren wir ohne Punkte nach Hause.
Solche Geschichten sollte sich Herr Wohlgemuth bei Gelegenheit mal von Günne oder Meuschi erzählen lassen. Dann geht ihm das Wort Grundtugenden vielleicht nicht mehr so leicht über die Lippen.
VfB Stuttgart – FSV Mainz 05 1:1
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson
2 Kommentare
Dirty Harry
„Im Mittelfeld bringt Labbadia viel Stabilität und Laufstärke, ein Spiel gestalten kann aber keiner.“
Wen siehst du im Kader der spielgestalterische Qualitäten mitbringen würde? Daran krankt es eigentlich doch schon die gesamte Saison über. Und letzte Saison war auch schon offensichtlich, dass uns so einer fehlt. Ich hoffe, dass Guilavogui, wenn er denn kommt, unserem Spiel in der Hinsicht etwas mehr geben kann, als derzeit Karazor. Lieber wäre mir allerdings ein kreativer ZM oder ein LV, damit Sosa vielleicht in die Rolle im Mittelfeld schlüpfen könnte. Roussillon hätte ich mir da sehr gut vorstellen können.
reybucanero74
Lieber Harald,
danke für den Kommentar. Nach Ende der Transferperiode wissen wir, dass Haraguchi ab sofort gemeinsam mit Endo die Spielgestaltung übernehmen soll. Ob das klappt? Bei Sosa müssen wir abwarten, in welcher Form er sich nach WM und Verletzungspause präsentiert. Ich wage die Prognose, dass es wieder ganz eng wird. Leider.
Viele Grüße
Christoph