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Der Beinahe-Auswärtssieg

Nach den Bengalos aus dem Gästeblock leuchtet kurz vor Ende der Nachspielzeit das ersehnte Ergebnis an der Anzeigetafel der Pre-Zero-Arena auf: Hoffenheim 1, Stuttgart 2. Fast wäre am Dienstagabend in Sinsheim nach über 13 Monaten wieder ein Auswärtssieg gelungen. Doch es kommt, wie es kommen musste. Wieder einmal kassieren die Schwaben ein frühes und ein sehr spätes Gegentor. Schalke und Hertha bekommen zu Jahresbeginn zwar gehörig den Frack voll, das zweite Unentschieden innerhalb von drei Tagen bringt den VfB im Abstiegskampf aber trotzdem nicht weiter.

Eine erste Hälfte zum Vergessen

Auch wenn die Verantwortlichen nach Spielende ihrer Pflicht nachkommen, indem sie demonstrativ Optimismus ausstrahlen, wissen sie genau, wie die ersten beiden Spiele unter Labbadia zu bewerten sind. „Es ist für die junge Mannschaft noch ein langer Lernprozess“, kündigt Sportdirektor Wohlgemuth an und vergisst dabei, dass die VfB-Fans schon seit dreieinhalb Jahren auf diese Weise vertröstet werden. Ab wann dürfen wir denn mit den ersten Ergebnissen dieses geheimnisvollen Reifeprozesses rechnen? Zumal die Mannschaft am Dienstagabend in Sinsheim gar nicht so blutjung daherkommt.

Mit unveränderter Aufstellung – und der Spielweise nach zu urteilen auch mit unveränderter Einstellung – schickt Trainerfuchs Labbadia seine Mannschaft gegen Hoffenheim aufs Feld. Offensichtlich haben ihm Anton und Nartey auf den Außenverteidigerpositionen gegen Mainz gefallen. Ein Innenverteidiger und ein defensiver Mittelfeldspieler wissen zwar, wie man einen Zweikampf bestreitet, besitzen aber nicht die Leichtfüßigkeit und Dribbelstärke eines gelernten Flügelspielers. Auch die Lücken im Mittelfeld und die Harmlosigkeit auf den offensiven Außenpositionen will der Trainer wohl nicht beheben und bekommt als Quittung eine furchtbar schlechte erste Hälfte.

Die beiden größten Fragezeichen: Was genau haben die Profis in Marbella für den Spielaufbau einstudiert? Und was ist nur mit Silas los? Die ganz in Blau gekleidete TSG kann mit einfachsten Mitteln eine geordnete Spieleröffnung unterbinden und immer wieder Bälle erobern. In der Verzweiflung bleibt dann häufig nur der lange Schlag, der freilich so gut wie nie ankommt. Schuld daran sind Absender und Empfänger gleichermaßen. Die Anzahl der unsauberen Ballannahmen ist für Profifußballer schlicht inakzeptabel. Auch deswegen kommt Silas erneut kaum ins Spiel. Es scheint, als könne er mit seiner offensiveren Rolle unter Labbadia wenig anfangen.

Freigestrampelt

Fällt der Ausgleich kurz vor der Pause noch aus heiterem Himmel, kommen die Weiß-Roten nach Wiederanpfiff besser ins Spiel. Führich wirkt präsenter als der verletzt ausgeschiedene Tomás (34.) und Juan José Perea lässt den ebenfalls angeschlagenen Silas (58.) nicht vermissen. Ähnlich wie dem Kongolesen fehlt dem Kolumbianer aber die Präzision beim letzten Ball.

Plötzlich ist sichtbar, warum das Team von André Breitenreiter aus den letzten sechs Spielen nur einen Punkt geholt hat. Mit einer besseren Raumaufteilung im Mittelfeld, schnellerem Umschalten und höher positionierten Außen erkämpfen sich die Weiß-Roten nach und nach mehr Spielkontrolle. In der 77. Minute erobert Kapitän Endo im Mittelfeld den Ball, der über den flinken Perea und Ahamada wieder zu ihm zurückkommt und wenig später in der rechten Ecke des gegnerischen Tores einschlägt.  

In dieser Phase ist ähnlich wie am Samstag in der ersten Viertelstunde nach Wiederanpfiff ansatzweise zu erkennen, wie sich Labbadia das Spiel seiner Mannschaft vorstellt: aggressiv, über die Flügel vorgetragen, zielstrebig im Abschluss. Wie weit seine Spieler noch von seinen Vorstellungen entfernt sind, beweisen dann allerdings die folgenden Minuten. Mit zehn Mann verteidigt der VfB so ungeschickt, dass Kramaric in der 94. Minute ausgleichen kann.

Die Leiden des jungen Naouirou

Anfang der Woche ploppen plötzlich Transfermeldungen über den 20-jährigen Ahamada auf. Die Premiere-League-Klubs Crystal Palace und Brighton sollen interessiert sein. Nachdem sich weder das kolportierte Interesse mehrerer Vereine an WM-Teilnehmer Sosa noch an Mavropanos konkretisiert hat, scheint es plötzlich möglich, dass eines von Mislintats jungen französischen Talente den VfB verlässt, bevor er seine ersten Schritte als Stammspieler in der Bundesliga bestätigen kann.

Teambetreuer Peter Reichert muss Ahamada nach seinem Platzverweis trösten. (Foto: Uwe Anspach/dpa)

Der Rummel scheint den zentralen Mittelfeldspieler nicht unberührt zu lassen. Beim Auswärtsspiel in Sinsheim pendelt er zwischen Matchwinner und tragischer Figur. Eine Viertelstunde vor Schluss schickt ihn Schiedsrichter Badstübner zum Duschen: Gelb-Rot wegen Jubelns in der Fankurve. Zuvor hat er das 1:0 durch Landsmann Guirassy mit einem schönen Steckpass vorbereitet und beim Führungstreffer durch Endo den Ball an der Sechzehnerkante klug abgelegt. Sein Können blitzt immer wieder auf, wenn er aufdreht und mit schnellen Schritten Angriffe einleitet. Doch der Wahnsinn ist bei Naoui nicht weit. Gegen Mainz verursachte er tolpatschig einen Elfmeter, drei Tage später ist er mit einem Querschläger im eigenen Strafraum Teil einer absurden Fehlerkette zum frühen 0:1-Rückstand.

Seit Beginn der laufenden Saison hat sich der ehemalige französische U17-Nationalspieler in der Startelf festgespielt. Außer beim 6:0-Kantersieg im Pokal gegen Bielefeld verpasst er kein Pflichtspiel, erzielt zwei Tore und packt jetzt zwei Vorlagen drauf. Unter den zahlreichen Nachwuchsspielern, die Mislintat an den Neckar gelotst hat, gehört er zu den Vielversprechendsten. England kommt wohl noch ein bisschen früh, aber im VfB-Kader hat er keine Konkurrenz zu fürchten. Vorausgesetzt er schafft es, seine Blackouts zu minimieren.

Noch eine englische Woche

Freitag Leipzig, Diestag Paderborn, Sonntag Bremen. Der Spielplan zu Jahresbeginn hält die Spieler und das neue Trainerteam ganz schön auf Trab. In Sinsheim erklärt Labbadia vor dem Sky-Mikrofon, dass sich die Mannschaft einspielen solle, bevor er später mit Tomás und Silas gleich zwei Offensivkräfte verletzt auswechseln muss. Hinzu kommen die Kopfverletzung bei Mavropanos und Ahamadas Sperre.

Führich, Millot, Perea und Kastanaras heißen die Alternativen. Coulibaly, Egloff und Pfeiffer scheinen den Trainer dagegen in der Vorbereitung nicht überzeugt zu haben. Für die zweite englische Woche hintereinander könnten aber auch sie gebraucht werden, um möglichst schnell den ersten Sieg unter dem neuen Trainer einzufahren. Zur Erinnerung: Mit Cheftrainer Matarazzo auf der Bank spielte man an den ersten sechs Spieltagen fünf Mal Remis.

TSG Hoffenheim – VfB Stuttgart 2:2

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Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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