Allgemein

Gewagtes Spiel

Hitzlspergers verbindliche Art ist beim Pressegespräch vergangene Woche zeitweise wie weggeblasen. Der Vorstandsvorsitzende fühlt sich missverstanden und ist der kritischen Nachfragen zur finanziellen Situation überdrüssig. Stattdessen will er über den Doppelaufstieg, die verjüngte Mannschaft und das gesenkte Gehaltsniveau sprechen. Und über den Arbeitseifer seines Sportdirektors.

Könnt ihr mich auch mal verstehen, dass wir über Dinge sprechen wollen, die einen anderen Anstrich haben? Dass wir uns freuen können? Dass wir Veränderungen vorgenommen haben, die (…) eine gute Wirkung haben (…)?“

Schweres Fahrwasser

Der Shootingstar unter den Fußballfunktionären macht derzeit Bekanntschaft mit den Tücken seines Amtes, besser gesagt seiner Ämter. Als Vorstandsvorsitzender ist er jetzt nämlich für die Herausforderungen durch die Pandemie genauso verantwortlich wie für den Stadionumbau und die Mitarbeiter auf der Geschäftsstelle. Und da er gleichzeitig als Sportvorstand firmiert, muss er auch noch zum Transfergeschehen Stellung nehmen. Wer so tief in der Arbeit steckt, verliert leicht das Gefühl dafür, welches Bild bei den Menschen draußen ankommt.

Die Inanspruchnahme eines staatlichen Hilfsprogramms durch eine Fußball-AG ist ein Vorgang, der gesellschaftlich zurecht kontrovers diskutiert wird. Hitzlsperger hatte sich zu diesem Thema bis dato öffentlich nicht geäußert, sondern zunächst den Vereinspräsidenten vorgeschickt. Dass er in seiner Rolle als Vorstandsvorsitzender der AG nun dazu befragt wird, ist vielleicht unangenehm, aber vollkommen berechtigt. Die Themen, mit denen der CEO gerne punkten möchte, sind andererseits kaum dazu geeignet, die Öffentlichkeit zu begeistern.

Das Thema Stadionumbau kommt in der Corona-Krise ziemlich ungelegen, außerdem werden die Fans nicht davon profitieren. Der Doppelaufstieg gelang nur mit Hängen und Würgen sowie einigen begleitenden Misstönen. Das Gehaltsniveau und die horrenden Ausgaben für Spielerberater sind zum großen Teil Altlasten der Vorgänger, die bis heute schwer im Magen liegen und den Handlungsspielraum einschränken.

Neue Transparenz?

Es gibt aber auch hausgemachte Themen, die dazu beitragen, dass nicht mehr alle dem neuen Führungsduo an der Mercedesstraße aus der Hand fressen. Die neue Kommunikationskultur, die nach den Wahrheitsbeugungen der Vorjahre ausgerufen wurde, verschwimmt zusehends, und auch über die Zusammenstellung des Kaders rümpft der ein oder andere die Nase.

 „Wenn ich sehe, wie er sich für den Verein einbringt, obwohl er kein geborener VfBler ist, dann ist dieses Engagement außergewöhnlich.“

Dieses Lob stammt nicht von Hitzlsperger, sondern von Wolfgang Dietrich, der sich auf diese Weise im Februar 2018 über Michael Reschke äußerte.

Wenn ich also jetzt höre, dass Mislintat „für den VfB brennt“, klingeln bei mir die Glocken. Mehr als die Arbeitsintensität eines Sportdirektors interessiert mich nämlich das Ergebnis seiner Arbeit, und ob er in der Lage ist, mich bei seinen Entscheidungen mitzunehmen. Statt transparenter Botschaften lesen wir immer häufiger verwirrende Pressestatements. Oder wie würdet ihr die Aussage bezeichnen, dass Badstubers Degradierung „einzig und allein sportliche Gründe“ hat? Oder dass alle Nachwuchsspieler „den erwarteten Schritt“ gemacht haben und „näher dran“ sein dürften als letzte Saison? Oder dass die Spielweise in der Bundesliga unseren schnellen Spielern „entgegenkommen dürfte“? Die Liste ließe sich problemlos fortsetzen.

Diese Art der Kommunikation bewirkt zweierlei: Zum einen können sich selbst denkende Menschen veräppelt fühlen, zum anderen sind die Aussagen unter Umständen in ein paar Wochen widerlegt, und man muss zurückrudern.

Blutjunge Talente aus dem Ausland

Grundsätzlich ist eine Transferpolitik, die auf junge, entwicklungsfähige Spieler setzt, bei den Fans gut gelitten. Wenn diese Nachwuchsperlen aus dem Ausland hergelotst werden, muss man die Sache etwas differenzierter bewerten.

Sven Mislintat äußerte sich zuletzt in einem Interview über den Markt für junge Talente. Dieser explodiere und mit ihm die Gehälter und die Unterschrifts-Boni für die Kinderstars. Wer also dachte, dass sich Mohamed Sankoh und Momo Cissé wegen der Weinbergidylle im Stuttgarter Kessel oder des freundlichen Sportdirektors für den VfB entschieden haben, könnte enttäuscht werden. Die minderjährigen Rohdiamanten werden mit allen möglichen Tricks und vertraglichen Sonderkonditionen angelockt. Da gibt es schon mal ein ordentliches Handgeld, oder ein Familienmitglied bekommt eine Anstellung, die sonst unerreichbar geblieben wäre (Grüße an Abdul). Die offizielle Ausbildungsentschädigung ist demnach sicher nicht die einzige Ausgabe, die der aufnehmende Club zu bestreiten hat.

Aber es geht nicht nur um Geld, sondern vor allem um Integration. Die jugendlichen Spekulationsobjekte sehen zwar körperlich oft schon aus wie richtige Männer, im Innern sind sie aber noch unreif. Sie müssen die Sprache lernen und sich in einem Umfeld einfinden, in dem sie als Superboys behandelt werden. Wer im Profikader trainiert und am Wochenende Spielpraxis in den U-Teams bekommt, wird von den Spielern, denen er den Startelfplatz wegschnappt, sicher nicht geliebt. Den vermeintlich besten Pferden im Stall werden Privilegien zuteil, die das Klima im Club verändern. Auf diese Weise kann das Geschäftsmodell, das laut Mislintat „die meisten Klubs (…) als das nachhaltigste für sich entdeckt haben“, auch zum Bumerang werden. Von den erschreckenden Nachrichten aus dem FC Bayern-Campus über rassistisches Mobbing möchte ich an dieser Stelle gar nicht anfangen.

#VomIchZumWir

Bei allen berechtigten kritischen Fragen muss man Hitzlsperger allerdings zugute halten, dass der VfB dank der neuen Führung heute wesentlich besser für die Zukunft gerüstet scheint, als dies noch vor zwei Jahren der Fall war. Es ist ein beträchtliches Wagnis, aber wenn es gelingen sollte, das Entwicklungspotenzial aus den vielen jungen Spielern herauszukitzeln und die sportlichen Ziele in der kommenden Saison zu erreichen, dürfen wir uns in fernerer Zukunft vielleicht wieder über attraktiven, dynamischen Fußball im Neckarstadion freuen – und zwar von der Heimmannschaft.

Personelle Kontinuität spielt bei diesem Projekt eine ganz wichtige Rolle. Daher ist den Verantwortlichen beim VfB zu empfehlen, den unangenehmen Fragen nicht auszuweichen, sondern die Öffentlichkeit auf ihrem Weg mitzunehmen. Auch auf die interne Diskussionskultur ist ein Augenmerk zu richten. Ein kleiner Machtzirkel ist sicher vorteilhaft für die Entscheidungsfindung im operativen Geschäft, aber was passiert, wenn einzelne Personen zu viel Einfluss bekommen, davon können alle VfB-Fans ein Liedchen singen.   

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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