Gemischte Gefühle
Sportlich hat der VfB zurzeit einen unglaublichen Lauf: Von den letzten neun Spielen haben die Schwaben sieben gewonnen und dabei 25 Tore erzielt. Das 1000. Heimspiel im Neckarstadion, wunderbares Osterwetter und ein erstmals seit zwei Jahren wieder besetzter Unterrang der Haupttribüne vervollständigen den perfekten Rahmen für ein Fußballfest. Auch der Auswärtsblock gibt ein würdiges Bild ab, denn für den Gast von der Ostalb ist das Landesduell am Ostersonntag so etwas wie das Spiel des Jahres.
Trotz des feierlichen Rahmens sieht man viel Schwarz im und um das Stadion. Während der ersten zehn Spielminuten bekunden die organisierten Fans in der Cannstatter Kurve ihren Unmut über die vereinspolitische Situation. Schwarzer Rauch steigt auf, bevor die Anhänger ihre Forderungen auf Bannern präsentieren: „Es reicht!“ Sie fühlen sich vom Präsidium und Aufsichtsrat „verraten und verkauft“ und sind nicht bereit, diesen Affront einfach hinzunehmen.
Aus der Hand gegeben
Bis zur 60. Minute dominiert der Tabellendritte die Gäste aus Heidenheim deutlich. Die beiden Treffer durch Guirassy (41.) und Stiller (53.) spiegeln die Kräfteverhältnisse nicht ausreichend wider. Und dennoch ist in Ansätzen zu sehen, dass die Mannschaft von Frank Schmidt zu den unbequemsten der Liga gehört. Mittelstädts Fehlpass (26.) und Bestes Durchbruch (45.) bleiben aber zunächst folgenlos.
Als im Stadion die ersten Europokal-Gesänge angestimmt werden, beginnen die Weiß-Roten nachzulassen. Heidenheim erarbeitet sich mehr Spielanteile, aus denen jene Standardsituationen entstehen, vor denen der VfB-Trainer vorher gewarnt hat. Einen Beste-Eckball köpft Kleindienst eigentlich harmlos aufs Tor, doch Nübel legt sich selbst ein Osterei ins Nest (62.). In der Schlussphase verliert die Hoeneß-Elf vollends den Faden, muss zwei sehenswert herausgespielte Tore von Kleindienst hinnehmen (84. und 85.) und steht kurz davor, einen sicher geglaubten Sieg aus der Hand zu geben. Undavs länderspielreife Einzelaktion rettet in der 98. Minute wenigstens einen Punkt.
Aufgrund der couragierten zweiten Hälfte nimmt das Team von Frank Schmidt letztlich verdient einen Punkt aus der Landeshauptstadt mit. Die 60 000 in der ausverkaufen Arena sind vom Tempo des Außenseiters und dessen Effizienz im Abschluss beeindruckt. Der VfB sollte den Punktverlust als Warnung verstehen. Übermut und Lässigkeit dürfen keinesfalls aufkommen, wenn man die überragende Saison im Mai mit der Qualifikation für die Champions-League krönen will.
Stillers Torpremiere
Zum wiederholten Male ist es in dieser Saison eine Wonne, Angelo Stiller beim Kicken zuzusehen. Der 22-jährige Münchner weiß das Spiel zu lesen und zu lenken. Bevor er den Ball bekommt, kennt er bereits alle Optionen, ihn zu verarbeiten: prallen lassen, kontrollieren oder aufdrehen? Bei Stiller wirken die Bewegungen wie aus einem Guss. Sein einziges Manko: mangelnde Torgefahr. Gegen Heidenheim trägt er nun einen Treffer und eine Vorlage zum hart erkämpften Unentschieden bei. Es ist sein erstes Tor im Dress mit dem Brustring.
Alexander Nübel gilt auch als einer der Garanten für den erfolgreichen Saisonverlauf. Einen so kapitalen Patzer wie in der 62. Minute hat man von ihm in dieser Saison selten gesehen. In der Folge wirkt er in einigen Situationen verunsichert, was sich sofort auf seine Vorderleute überträgt. Die Mannschaft benötigt in den verbleibenden Spielen wieder einen Nübel in Bestform, um gegen die direkten Konkurrenten bestehen zu können.
Mo Dahoud steht am Sonntag zum ersten Mal in der Startelf. Seine spielerischen Fähigkeiten blitzen zwar in einigen Szenen auf, im Positionsspiel, der Abstimmung mit den Nebenleuten und der Ballsicherheit kommt der Leihspieler aus Brighton aber nicht an die Qualitäten eines Atakan Karazor heran. Wegen der Gelbsperre von Kapitän Anton könnte dieser in Dortmund allerdings in der Abwehrkette gefragt sein, sodass Dahoud trotz durchwachsener Leistung womöglich seine nächste Chance bekommt.
Nachlassen verboten
Bei noch 21 zu vergebenden Punkten und dem schweren Stuttgarter Restprogramm ist die Qualifikation für die Champions-League zwar ein realistisches Ziel aber kein Selbstläufer. Drei Siege könnte das Team von Sebastian Hoeneß noch brauchen, um den vierten Platz zu erreichen. Doch die Gegner werden nicht leichter. Neben den stramm auf Meisterkurs segelnden Leverkusener warten unter anderem noch Dortmund, Bayern und Frankfurt auf die Schwaben.
Aus dem Spiel gegen Heidenheim kann der VfB einiges lernen, wie der Trainer in der Pressekonferenz nach dem Spiel konstatiert. Zum Beispiel, dass ein Spiel erst nach 90 Minuten gewonnen ist und nicht schon nach einer Stunde. Oder dass man auch einen Aufsteiger, den man über weite Strecken des Spiels im Griff hat, nicht zum Toreschießen einladen darf.
VfB Stuttgart – 1. FC Heidenheim 3:3
Zum Weiterlesen:
Der Vertikalpass bemängelt, dass es der VfB (…) zu locker angehen ließ, „was bei widerstandsfähigen Heidenheimern verheerend ist“.
Rund um den Brustring zitiert Deniz Undav, der bei sich und seiner Mannschaft eine gewisse Arroganz diagnostiziert und in Dortmund eine Reaktion fordert.
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson