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La Bocca della Veritá

Wer lügt und die Hand in den Mund der Wahrheit steckt, dem wird sie einfach abgebissen, sagt die Legende. Die Bocca della Veritá aus dem antiken Rom ist heute in der Säulenvorhalle der Basilica di Santa Maria in Cosmedin zu besichtigen.

La Bocca della Veritá – ein antiker Lügendetektor

An der Mercedesstraße – sowohl unter dem roten Dach des VfB-Clubzentrums, als auch unter dem Stern der Daimler-Hauptverwaltung – wird man seine Hände dieser Tage lieber bei sich behalten, denn die Pressemitteilungen aus beiden Häusern würden dem strengen Urteil des martialischen Lügendetektors wahrscheinlich nicht standhalten. Statt der versprochenen „schonungslosen Aufarbeitung im Dialog mit den Mitgliedern“ vernimmt man vor allem gegenseitiges Schulterklopfen und Aufrufe zur Geschlossenheit. Die Propagandamaschinerie läuft auf Hochtouren, denn nicht nur die Mitgliederversammlung am 14. Juli, sondern auch die neue Saison steht vor der Tür.

Meine Analyse beginnt mit der sportlichen Führung, deren Neuaufstellung sowie dem Umbau der Mannschaft. Wolfgang Dietrich rühmt sich in einem ersten Beitrag zur „Aufarbeitung“, er habe „bereits während der Saison Konsequenzen aus der katastrophalen sportlichen Leistung gezogen“, indem er zuerst Hitzlsperger als Sportvorstand vorschlug und anschließend Mislintat von einem Amt beim VfB überzeugte. Auch Tim Walter taucht in seiner Argumentation als Pluspunkt auf.

Wir erinnern uns allerdings, dass der Präsident den Sportvorstand seiner Wahl lange vehement verteidigte und erst den Daumen senkte, als nach dem 0:3 in Düsseldorf Weinzierl auf der Kippe stand. Ein erneuter Trainerwechsel hätte laut Dietrich zu diesem Zeitpunkt das Image des Clubs als Trainerfresser weiter befeuert. Folglich musste sein Adlatus gehen und hinterlässt eine Schneise der Verwüstung: Reschke hat nicht nur zahlreiche fragwürdige Personalentscheidungen zu verantworten, sondern auch vielfach sein Ungeschick im Umgang mit Medien, Trainern und Spielern bewiesen. Neben dem Abstieg der Bundesligamannschaft geht auch der Absturz der zweiten Mannschaft zu großen Teilen auf sein Konto. Selten hat eine Führungskraft in so kurzer Zeit so viel Porzellan zerschlagen. Die anschließende Beförderung Hitzlspergers zum Sportvorstand war zwar ein cleverer Schachzug des Präsidenten, allerdings kam er zu spät, um den Super-GAU zu verhindern. Dass er sich dessen positive Außenwirkung jetzt auf die eigene Fahne schreibt, ist an Selbstgerechtigkeit kaum zu überbieten. Dietrich ist der Feuerteufel, der hernach die Feuerwehr alarmiert und sich als Held feiern lässt.

Auch die Personalie des neuen, als Diamantenauge bekannten Sportdirektors möchte der Präsident gerne als seinen Coup verkaufen. Reschke keinen zweiten Mann mit sportlicher Verantwortung zur Seite gestellt zu haben, sei ein Fehler, den er sich ankreiden lassen müsse. Dietrich verfährt nach der bewährten Strategie, einen Fehler zuzugeben, der ihm zum einen nie vorgeworfen wurde, der zum anderen formal nicht in seiner Verantwortung lag (der Vorstand stellt laut Statuten den Sportdirektor ein), und der zudem schon korrigiert wurde. Alles in bester Ordnung also? Zunächst bleibt unklar, welche Rolle Dietrich bei der Verpflichtung Mislintats wirklich spielte, denn weder dem Präsidenten noch dem Aufsichtsratsvorsitzenden kommt die Aufgabe zu, einen Sportdirektor auszuwählen. Außerdem lehrt die Vergangenheit, dass wohlklingende Namen nicht automatische gute Ergebnisse liefern. Nach der Demission Schindelmeisers ließ sich Dietrich bekanntlich dafür feiern, dass er den Perlentaucher Reschke nach Stuttgart lotsen konnte. Welchen Beitrag das in ihren jeweiligen Funktionen unerfahrene Gespann Hitzlsperger – Mislintat zum sportlichen Neuaufbau leisten kann, wird erst die Zukunft zeigen.

Die Reparatur des von Reschke zusammengestellten, komplett dysfunktionalen Kaders ist nämlich eine Mammutaufgabe, die länger als die verbleibenden Wochen zum Start der Zweitligasaison dauern wird. Mit Gomez und Badstuber besitzen zwei Alt-Internationale über ihrem Leistungszenit hochdotierte Verträge, die das Gehaltsgefüge eines Zweitligisten deutlich sprengen. Hoch veranlagte Spieler wie Kempf, Kabak, Baumgartl und Ascacibar dürften schwer zu halten sein. Den teuer eingekauften Talenten Maffeo, Sosa und Gonzalez traut man nach den Leistungen der abgelaufenen Saison kaum noch den Durchbruch zu, so die Spieler selbst überhaupt weiter mit dem Brustring auflaufen wollen. Die bereits bekannten Neuverpflichtungen sind vielleicht solide Verstärkungen in der Breite, aber sicher nicht das Gerüst einer Mannschaft, die nach Aussagen der Clubführung den direkten Wiederaufstieg anpeilen soll. Wer taugt zum Signalspieler in dem Kader, der schon in sieben Wochen das erste Ligaspiel bestreiten soll? Der Kardinalsfehler der vergangenen Saison droht sich zu wiederholen: Man überlädt eine auf dem Papier ordentlich besetzte Mannschaft mit Erwartungen, die sie bei Weitem nicht erfüllen kann.     

Gleiches gilt für den neuen Cheftrainer Walter, der zwar einige Vorschusslorbeeren mitbringt, die er freilich unter dem riesigen Erwartungsdruck erst einmal rechtfertigen muss. Ein Trainertalent bei den Bayern-Amateuren oder Holstein Kiel ist nicht automatisch ein Aufstiegsgarant beim VfB Stuttgart. Ich bin neugierig, inwiefern sein anspruchsvolles Spielkonzept mit dem im Eiltempo renovierten Kader überhaupt umzusetzen ist. Alles, was man über den Karlsruher hört, spricht nicht gerade dafür, dass seine Stärken im Ausgleich und der Suche nach Kompromissen liegen.

Der Versuch des Präsidenten, sich mit der bereits vollzogenen Neuausrichtung in der sportlichen Führung aus der Verantwortung für die schlechteste Saison der Vereinsgeschichte zu stehlen, ist gleichermaßen strategisch geschickt und blauäugig. Er lädt die Schuld bei ehemaligen Verantwortungsträgern ab, indem er die Zusammenarbeit Reschkes mit Korkut und Weinzierl auf das Schärfste kritisiert: Der Zusammenhalt zwischen Sportvorstand und Trainern habe nicht funktioniert, was sich massiv auf die Mannschaft ausgewirkt habe und schließlich eskaliert sei. Kein Wort allerdings davon, dass eben die Kontrolle des Vorstands originäre Aufgabe des Aufsichtsrates ist, dem er vorsteht und in dem die sauberen Herren von der Daimler AG den Ton angeben. Ganz zu schweigen davon, dass Dietrich selbst mit Zustimmung aller Gremien die Führungskräfte Reschke, Korkut und Weinzierl überhaupt erst in ihre Ämter gebracht hat.

Die Tatsache, dass diese Fehlerkette bei der so genannten Aufarbeitung komplett ausgeklammert wird, vergrößert die Chancen der VfB-Verantwortlichen nicht, vor der Bocca della Veritá mit heiler Haut davonzukommen.

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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