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Coup du Chapeau

Der lupenreine Hattrick ist vielleicht das Faszinierendste, was der Fußball zu bieten hat. Wenn wir früher beim Tipp-Kick die großen Reportagen imitierten, durfte er auf keinen Fall fehlen. Heute wissen längst nicht mehr alle Kommentatoren, unter welchen Voraussetzungen ein Hattrick lupenrein genannt werden darf. Ich sehe euch wissend nicken: Die drei Guirassy-Tore sind nämlich nur ein ganz gewöhnlicher Hattrick, da Barreiro zwischenzeitlich den Ausgleich für die Gastgeber erzielt. Aber was heißt hier „nur“? Beim Verein für Bewegungsspiele von 1893 gab es meines Wissens schon seit einem Jahrzehnt keinen Spieler mehr, der drei Tore in einem Spiel erzielte.

Beifall für den Mann des Tages: Serhou Guirassy. (Foto: imago)

Vertauschte Rollen

Angesichts des ersten Auswärtssiegs der Saison und einem gelungenen Saisonstart übersieht man leicht, dass die Mannschaft von Sebastian Hoeneß in Mainz spielerisch auf ganzer Linie enttäuscht. Lange Zeit sehen wir ein zähes Spiel auf überschaubarem Niveau. Die Gastgeber haben solche Partien in der Vergangenheit oft auf ihre Seite gezogen, doch dieses Mal sind die Rollen vertauscht. Dem Team von Bo Svensson widerfährt das, was sonst gerne dem VfB passiert: Unnötige Niederlagen zu Saisonbeginn führen zu Verunsicherung, die wiederum in individuelle Abwehrfehler mündet.

Alle Treffer in der MEWA-Arena entspringen groben Schnitzern der Mainzer Hintermannschaft: Vor dem 0:1 verschätzt sich Bell nach einem langen Schlag von Anton, beim 1:2 strauchelt Fernandes nach einem missglücktem Ito-Steilpass in Slapstick-Manier, bevor sich die Abwehr der Gastgeber beim 1:3 kollektiv wie eine C-Jugend verhält, die zum ersten Mal auf dem Großfeld spielt. Auch Torwart Zentner trägt das Seine dazu bei, indem er bei allen Gegentoren zu früh aus seinem Kasten stürmt und dem cleveren Guirassy damit überhaupt erst Optionen anbietet.

Guirassy chippt den Ball über den herausstürzenden Torwart. (Presssefoto Baumann)

Positionsspiel, Angriffe über die Flügel, Tempowechsel – beim VfB funktioniert an diesem Spätsommernachmittag ziemlich wenig. Die beste Offensive der Liga (!) verheddert sich immer wieder in der vielbeinigen Mainzer Abwehr. Nichts zu sehen von Silas und seinen unwiderstehlichen Sololäufen, von Millots Spielwitz, von Führichs neuer Entschlossenheit. Die Assists für die drei Guirassy-Tore steuern Abwehrchef Anton sowie die eingewechselten Mittelstädt und Undav bei. Robust und hellwach machen die beiden Neuzugänge den Weg frei für den Mann des Tages.

Der Schein trügt

Der vierte Spieltag ist noch nicht beendet, da blicken die ersten VfB-Fans bereits Richtung Freitagabend. Nach dem Flutlichtspiel gegen Darmstadt könnte die Cannstatter Kurve nämlich „Spitzenreiter, Spitzenreiter“ skandieren. Voraussetzung: ein Heimsieg gegen den bisher punktlosen Aufsteiger.

Kein Wunder, dass die VfB-Verantwortlichen solche Töne gar nicht gerne hören. Die 9 Punkte aus 4 Spielen sind zwar eine überraschend gute Bilanz zum Saisonstart, aber der Trainer weiß die aktuelle Bundesligatabelle richtig einzuschätzen. „Kein Schwein“ interessiere das, kommentiert der gebürtige Münchner bei der Pressekonferenz am Donnerstag. Das relativ leichte Auftaktprogramm beeinhaltet vielleicht sogar die Verpflichtung, sich rechtzeitig ein kleines Punktepolster anzufressen.

Atakan Karazor ist enorm wichtig für die Statik der Mannschaft. (Pressefoto Baumann/Alexander Keppler)

Außerdem wird dem Trainerteam nicht entgangen sein, dass der Auftritt in Mainz fußballerisch der bislang schwächste der Saison war. Nicht immer werden sich die Dinge in der Schlussphase so glücklich fügen, nicht immer kann ein überragender Guirassy die Kohlen aus dem Feuer holen. Zumal das Spiel am Samstag auch zeigt, wo der Kader Schwachpunkte hat. Nicht nur Sportdirektor Wohlgemuth ist der Schreck in die Glieder gefahren, als sich Karazor nach einer knappen Viertelstunde an den Oberschenkel greift. Sollte der Anker im defensiven Mittelfeld einmal ausfallen, gibt es keinen gesunden Ersatzmann im Kader.

König Serhou

„Lieber König von Cannstatt als Kronprinz in England“, formuliert die Sportredaktion des Zeitungsverlags Waiblingen auf der Suche nach Gründen, warum sich Goalgetter Guirassy für den VfB und gegen Angebote aus der Premier-League entschieden hat. Vielleicht weiß der Nationalspieler Guineas einfach, dass für einen Stürmer nichts so wichtig ist wie Tore. Trifft er weiter regelmäßig in der Bundesliga, kann er sich kommenden Sommer einen Verein aussuchen. Für den Moment feiern die VfB-Fans ihren neuen Helden für seinen coup du chapeau. So heißt Hattrick nämlich auf Französisch.

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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