Cool wie ein Feuerhund
Der VfB startet mit einem Sieg in die Wochen der Wahrheit. Die vom Vertikalpass ausgerufenen Los Wochos beginnen genauso picante, wie wir es erwartet haben. Elfmeterdoppelschlag in der Schlussphase: Zagadou glänzt als Volleyballer, Itakura als Ringer, Coulibaly als MC Cool.
Doch der Plato Principal steht erst am Mittwoch bevor, wenn die Eintracht zur großen Fiesta nach Cannstatt kommt. Die Unzufriedenheit der Mitglieder und Fans könnte dann ganz schnell in Euphorie umschlagen: ¡Vamos a Berlín!
Superkräfte
Die Ausgangslage vor dem Spiel ist klar: Drei Punkte müssen her, um die Bochumer zu überholen und Schalke auf Distanz zu halten. Die Vorzeichen dazu stehen ganz gut: Seit vier Spielen ungeschlagen, alle Mann an Bord (außer dem gesperrten Ito) und die Saison für den Gegner aus Mönchengladbach bereits gelaufen. Und dann passiert etwas, was das Stuttgarter Publikum in dieser Saison noch nicht allzu oft gesehen hat: Die Heimmannschaft geht in der 22. Minute in Führung. Phasenweise sieht die Darbietung der Weiß-Roten so aus, wie man sich das am Neckar eigentlich immer wünscht. Der Ball läuft gut durch die eigenen Reihen und die Abwehr kann die Angriffsbemühungen der Gäste meist frühzeitig entschärfen.
Die Süddeutsche Zeitung lässt sich in ihrem Spielbericht zu einer fast euphorischen Bewertung hinreißen: „Stuttgart spielte in zwei Dritteln des Spielfeldes wie eine Mannschaft, die sich auf dem Weg nach Europa befindet“. Der VfB wäre aber nicht der VfB, wenn er zwischendurch nicht gehörig ins Wanken geraten würde. Nach der Führung überlassen die Schwaben der Borussia für eine Viertelstunde Ball und Raum: Bredlow lenkt den Schuss von Plea (33.) wie ein Eishockeytorwart zur Ecke.
Auch in den Minuten nach der Pause wirkt das Team von Sebastian Hoeneß unkonzentriert. Die leidgeprüften Heimfans wissen ganz genau: Eine 1:0-Führung über die Zeit bringen, das kann diese Mannschaft nicht. In der 56. Minute muss auch noch Serhou Guirassy nach einem unabsichtlichen K.o.-Schlag von Stindl vom Platz. Dem Stuttgarter Angriffsspiel fehlt jetzt der Anker, die Gäste gewinnen immer mehr Spielkontrolle. Dass die Partie nach Weigls Ausgleich per Handelfmeter (78.) noch einmal eine Wendung erfährt, ist nur durch die Superkräfte des Neckarstadions zu erklären. In der Schlussphase passieren dort geheimnisvolle Dinge.
Kadergeflüster
Quälend lange ziehen sich die Minuten hin, nachdem Schiedsrichter Welz auf den Elfmeterpunkt gezeigt hat. Beim Klammern von Itakura gegen Tomás gibt es zwar eigentlich keine Zweifel, aber mit den DFB-Schiedsrichtern hat man schon vieles erlebt. Vor der Cannstatter Kurve schnappt sich derweil ein Spieler den Ball, der nicht gerade als kaltblütiger Vollstrecker bekannt ist: Tanguy Coulibaly. Die designierten Elfmeterschützen Guirassy und Silas schauen von der Ersatzbank aus zu, wie der 22-jährige Franzose Anlauf nimmt. Kann das nicht bitte Endo machen? Nicht nur mir dürfte dieser Gedanke durch den Kopf geschossen sein. Doch Tanguy bleibt cooler als Eis und schickt den Gladbacher Keeper in die falsche Ecke.
Das dritte Saisontor des Linksaußen sorgt bei den Fans gleich für Gesprächsstoff: Soll man den Vertrag mit dem unberechenbaren „Feuerhund“ (keltisch: Tanguy) verlängern? Ähnliche Debatten haben sich bereits um die Zukunft des 20-jährigen Leihspielers Tiago Tomás entsponnen. Zwei Dinge muss man dabei aus meiner Sicht berücksichtigen: Erstens liegen vier Spieltage vor Schluss nur vier Pünktchen zwischen Platz 13 und dem direkten Abstiegsplatz 17 – der VfB mittendrin. Die Ligazugehörigkeit spielt natürlich eine gewichtige Rolle bei der Kaderplanung. Zweitens gehören zu einer Vertragsverlängerung ja immer zwei Seiten. Würde sich Coulibaly auch in Zukunft mit der Rolle des Ergänzungsspielers in Stuttgart zufriedengeben? Erhofft sich Tomás vielleicht eher den Durchbruch im Heimatland?
Abgesehen davon ist noch nicht entschieden, wer künftig überhaupt für die Kaderplanung verantwortlich sein soll. Neben Sportdirektor Wohlgemuth sprechen derzeit Sportvorstand Wehrle, der Direktor Sportorganisation Markus Rüdt, Gentner als Leiter Lizenzspielerabteilung und die externen Berater Khedira und Lahm in diesen Fragen mit – ein Modell, das sich zweifellos nicht bewährt hat. Bevor also Richtungsentscheidungen getroffen werden, sollte der Aufsichtsrat zunächst einen Sportvorstand mit ausgewiesener Sportkompetenz berufen, der seinerseits ein Führungsteam mit klaren Zuständigkeiten und kurzen Entscheidungswegen bilden muss. Was passiert, wenn man den zweiten Schritt vor dem ersten macht, haben wir in Bad Cannstatt schon oft genug erlebt.
Finale?
Während eine Spielertraube in Weiß und Rot vor der Cannstatter Kurve auf und ab hüpft, rollen die Anhänger ein Transparent aus, das den Jüngeren noch nicht bekannt sein dürfte. „Finale“ steht darauf. Für eben jenes qualifizierte sich der VfB zuletzt im Frühjahr 2013 im Duell gegen den SC Freiburg.
Am Mittwoch steigt also wieder eines dieser Spiele, die das Zeug dazu haben, Geschichte zu schreiben. Die Mannschaft um Kapitän Endo geht mit dem wichtigen Heimsieg im Rücken und zuletzt fünf Partien ohne Niederlage gestärkt ins Flutlichtspiel. Die Eintracht dagegen konnte keines der letzten neun Ligaspiele gewinnen. Der DFB-Pokal ist ihre letzte Chance, sich für einen europäischen Wettbewerb zu qualifizieren.
So unwirklich es sich nach einer Saison voller Fehlentscheidungen und Pleiten anfühlt: Auf den letzten Metern könnte sich der Verein für Bewegungsspiele eine ganz gute Ausgangsposition für die Zukunft verschaffen. Ob die Initiatoren des Mitgliederbegehrens „VfB-jetzt“ dann wohl den Einleitungssatz ihres Schreibens umformulieren?
VfB Stuttgart – Borussia Mönchengladbach 2:1
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson