Allgemein

Reingestochert

Mit dem Hashtag „VfB sein“ wirbt der Klub aus Cannstatt seit einiger Zeit verstärkt neue Mitglieder. Jung, wild und leidenschaftlich will man sich verkaufen, um noch mehr Menschen fest an den Verein zu binden. Was in den Marketingbotschaften nicht vorkommt, jeder altgediente Brustringträger aber aus Erfahrung weiß: „VfB sein“ heißt auch, mit Lob und Erfolg nicht umgehen zu können. Auf gute Leistungen folgen in großer Regelmäßigkeit schleichende Selbstzufriedenheit und Leistungseinbrüche.

Der zuletzt gepriesene Stabilisator Atakan Karazor steht Gerüchten zufolge bei türkischen Klubs auf der Einkaufsliste. Sollten die Interessenten seinen Auftritt in der WWK-Arena gesehen haben, dürften sie die Millioneninvestition noch einmal überdenken. Auch Borna Sosa und Hiroki Ito können ihren Marktwert an diesem Abend nicht steigern. Chris Führich und Enzo Millot bleiben nach der Pause völlig zurecht in der Kabine. Die Mannschaft von Sebastian Hoeneß bekommt gegen den Tabellenvierzehnten aus Bayerisch-Schwaben in der ersten Hälfte kein Bein auf den Boden.

Vom Pressing erdrückt

Der FC Augsburg hält sich seit 2011 in der Bundesliga und hat dabei seinen Fußball im Kern nicht verändert. In der Vorberichterstattung zum Freitagsspiel war landauf und landab zu lesen, dass die Schützlinge von Enrico Maaßen ihre Gegner gerne mit hohem, mannorientiertem Angriffspressing unter Druck setzen. Wie überfordert die ganz in Schwarz gekleideten Gäste dann mit diesem taktischen Kniff sind, zeigt die immer noch tief sitzende Verunsicherung – und teilweise auch einfach die fehlende Qualität.

Torhüter Bredlow merkt im Interview nach dem Spiel an, dass die Augsburger ihnen „den Schneid abgekauft“ hätten – und sie selbst keine Idee, wie sie damit umgehen sollen. Beweis dafür ist das 1:0 in der 8. Minute: Engels und Maier spielen sich auf der rechten Seite gegen Sosa und Führich durch wie im Training, Beljo kann die Flanke aus kurzer Distanz völlig unbedrängt einköpfen. Immer wieder versucht sich die Mannschaft von Sebastian Hoeneß spielerisch aus dem Pressing zu befreien, produziert dabei aber einen haarsträubenden Ballverlust nach dem anderen.

Endo bugsiert den Ball zum Ausgleich über die Linie. (Foto: IMAGO/Sportfoto Rudel)

Zum Glück scheint der Cheftrainer in der Kabine wieder die richtigen Worte gefunden zu haben. Jedenfalls kehren Kapitän Endo und Co. wesentlich wacher auf den Rasen zurück. Durch die Hereinnahme von Silas und Coulibaly bekommt das Stuttgarter Spiel mehr Tiefe. Was allerdings weiterhin fehlt, sind klare Torchancen. Silas kann einen langen Ball in aussichtsreicher Position nicht kontrollieren (55.), Guirassy verpasst bei einem vielversprechenden Konter den Zeitpunkt für das Abspiel (74.), bevor Endo einen Flugball aus dem Mittelfeld unorthodox verarbeitet und im zweiten Versuch über die Linie stochert (78.).

Ein vertrödeltes Schuljahr

Bei VfB-TV zeigt sich Fabian Wohlgemuth nach dem Spiel „zufrieden“ und „glücklich“ mit dem Punktgewinn. Zur Erinnerung: Im Dezember hat er mit 14 Punkten aus 15 Spielen noch diagnositiziert, dass man mit dem Rücken zur Wand stehe. Nach dem 29. Spieltag ist der Sportdirektor mit 25 Punkten und zwei Zählern Rückstand auf das rettende Ufer auf einmal erstaunlich entspannt.

Wohlgemuth konstatiert „eine gewisse Ergebniskonstanz“ und findet: „Die Kurve zeigt insgesamt definitiv nach oben“. Mag sein, Fabian, aber wenn du das ganze Schuljahr vertrödelt hast, reicht eine Vier in Mathe halt nicht mehr – egal wie schwer die Klassenarbeit war. Die Augsburger sind da aus anderem Holz geschnitzt: Auch wenn ihnen die Dinge nicht gerade zufliegen, haben sie immer fleißig ihre Hausaufgaben gemacht und Punkte gesammelt.

Atakan Karazor kann das VfB-Spiel in Augsburg nicht ordnen. (Pressefoto Baumann)

Währenddessen kokettieren die Cannstatter Sternchen gleich reihenweise mit einem Wechsel. Sosa, Mavropanos und Ito sollen bei Spitzenklubs auf dem Zettel stehen, Millot will angeblich zurück nach Frankreich, von Karazor hatten wir es ja schon. Wohlgemuth sollte da schnell einen Riegel vorschieben, sonst lassen die Spielerberater Woche für Woche neue Versuchsballons steigen. Für die restlichen sechs Pflichtspiele, vielleicht werden es auch neun, müssen die Spieler das letzte Hemd für den Brustring geben. Immerhin sind sie alles andere als unschuldig an der verheerenden Bilanz von nur fünf Saisonsiegen unter vier verschiedenen Trainern.

Lage der Liga

Angesichts der Ergebnisse von Samstaganchmittag fühlt sich der Punkt aus Augsburg gar nicht mehr so mickrig an. Hertha präsentiert sich auch nach dem Trainerwechsel indisponiert, Bochum kassiert gegen Wolfsburg eine Packung und auch Hoffenheim verpasst gegen Köln den Befreiungsschlag. Mit Blick auf das schwere Restprogramm müssen sich die Fuggerstädter und das Team von Ex-VfB-Trainer Matarazzo ins Zeug legen, um nicht im Endspurt noch überholt zu werden. Dem VfB dürften zwei Siege aus den verbleibenden fünf Partien mindestens für Platz 16 reichen.

Wer den launischen Traditionsklub vom Neckar allerdings schon etwas länger verfolgt, weiß, dass solche Hochrechnungen wenig Sinn ergeben. Den Weiß-Roten wäre es ohne Weiteres zuzutrauen, alle Ligaspiele zu verlieren und am 3. Mai mit Glanz und Gloria ins Pokalfinale einzuziehen. Eines ist aber gewiss: Wohin auch immer die Mannschaft mit dem Brustring reist, säumen ihre treuen Anhänger den Weg. VfB sein, aber ganz ohne Marketingkampagne .

FC Augsburg – VfB Stuttgart 1:1   

Zum Weiterlesen:

Bundesliga: Stuttgart holt beim 1:1 in Augsburg wieder einen Punkt – Sport – SZ.de (sueddeutsche.de)

Elf Endos müsst Ihr sein – Vertikalpass

VertikalGIF #FCASVfB: Die schwierigen Schwaben – Vertikalpass

Hoeneß lobt VfB für starke zweite Halbzeit: Warum der Punkt trotzdem zu wenig ist – News über den VfB Stuttgart – Zeitungsverlag Waiblingen (zvw.de)

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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