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Auf Augenhöhe

Hradecky rettet per Fußabwehr gegen Guirassy. (Foto: Imago/Langer)

Dass das Spitzenspiel des 14. Spieltag nicht in Dortmund oder Frankfurt sondern in Stuttgart stattfindet, sagt schon viel über die veränderte Wahrnehmung der Weiß-Roten aus. Fabian Wohlgemuth lächelt etwas linkisch, als er vor Anpfiff gefragt wird, ob man sich in Cannstatt inzwischen neue Saisonziele gesteckt habe. Natürlich wiegelt er ab, sagt dann aber zum Schluss: Es sehe gut aus, dass man tatsächlich eine sorgenfreie Saison erlebe. Jetzt wirkt sein Lächeln eher schelmisch.

Scouting-Feed

Mit schnellen Balleroberungen und eng gestaffeltem Mittelfeld den Gegner einschnüren – das ist eigentlich die Stärke des Tabellenführers aus Leverkusen. Doch in den ersten 45 Minuten verabreicht der VfB der Bayer-Elf deren eigene Medizin. So oft sind Xhaka, Palacios und Co ihren Gegenspielern in dieser Saison wohl noch nie hinterhergelaufen. Einziges Manko einer fast perfekten ersten Hälfte aus Stuttgarter Sicht ist die Chancenverwertung: Vagnomans Abschluss aus zehn Metern wird kurz vor der Linie geblockt (10.), Guirassy scheitert freistehend an Hradeckys Fußabwehr (26.), bevor Führich eine schöne Kombination über Undav und Vagnoman zur Führung veredelt.

Der Torschütze reiht sich bei gegnerischem Ballbesitz in ein flexibles 5-3-2 ein, das nach Ballgewinn zu einem 3-2-3-2 wird. Wer daran gezweifelt hat, ob Sebastian Hoeneß auch gegen den Tabellenführer bei seinem Angriffspressing bleiben würde, kommt aus dem Staunen nicht mehr heraus. Der Primus der Liga verliert immer wieder früh den Ball und kommt so gar nicht in seinen Rhythmus. Erst in der zweiten Hälfte gewinnen die Gäste mehr Kontrolle und stören ihrerseits den VfB-Aufbau schon am Strafraum. Der Ausgleich durch Wirtz nach hohem Ballgewinn von Xhaka und Vorlage von Boniface fällt kurz nach der Pause (47.).

Am Ende ist das 1:1 ein gerechtes Ergebnis eines würdigen Spitzenspiels.  Die Schützlinge von Xabi Alonso bleiben damit auf Platz eins, während die Weiß-Roten zum ersten Mal in dieser Saison die Punkte teilen. Der Trainer darf zufrieden feststellen, dass sein Team gegen die Besten der Liga mithalten kann.

Mitarbeiter des Tages

„Turban-Waldi“ hat eine seiner größten Stärken im Vorwärtsverteidigen. Immer wieder sticht er aus der 5er-Kette heraus, um Wirtz und Konsorten schon bei der Ballannahme zu stören. Nicht nur einmal entstehen daraus verheißungsvolle Gegenstöße. Eigentlich könnte Anton gleich die Trophäen für den Mitarbeiter des Tages, des Monats und des Jahres mitnehmen.

Wie so oft in letzter Zeit führt der Titel Mann des Tages aber nur über Maxi Mittelstädt. Das Duell gegen den pfeilschnellen Jeremy Frimpong geht klar an den Ex-Herthaner. Der 157-fache Bundesligaspieler kann aber auch dribbeln, flanken und vor allem kämpfen. Nur mit dem Schießen hat es in Stuttgart bisher noch nicht so gut geklappt.

Auch auf den Xhaka-Gegenpart im Brustring sollten wir schauen. Angelo Stiller spielt zwar unauffällig wie immer, dominiert gemeinsam mit Karazor aber vor allem in der ersten Halbzeit das Zentrum, dass es eine Freude ist. Ich erinnere mich an einen Stiller-Ballverlust – häufig kommt das wirklich nicht vor. Er geht sofort hinterher und klaut Florian Wirtz mit einer blitzsauberen Grätsche die Kugel wieder. Fußball-Lyrik für Freunde des britischen Stils.

Unverdächtig für den Man of the Match ist diesmal Enzo Millot. Fabian Wohlgemuth dürfte es nicht ganz unrecht sein, dass der junge Franzose seinen Gala-Auftritt von Mittwoch nicht wiederholen kann. Wie geht man denn als Sportdirektor sonst in die anstehenden Vertragsgespräche?

 Trotz Kopfverband nicht zu stoppen: Waldemar Anton. (Foto: Thomas Kienzle/AFP)

Was nun?

Die Bayern abgewatscht, Dortmund mit einem weiteren Missgeschick, Leipzig wenig furchteinflößend und der Spitzenreiter in Stuttgart eine Halbzeit lang auf verlorenem Posten. Der Spieltag fühlt sich zunächst an, als habe es der Feuerzangenbowle-Verkäufer mit dem Rum zu gut gemeint. Es ist aber kein Rausch: Der VfB hat sich nachhaltig in der Spitzengruppe festgesetzt. Nicht nur punktetechnisch, sondern vor allem, was die Leistung betrifft.

In München wird man das Spitzenspiel im Neckarstadion nicht ohne eine gewisse Besorgnis gesehen haben. Eine deutliche Leistungssteigerung wird nötig sein, wenn die Großkopferten nächste Woche gegen die selbstbewussten Schwaben nicht ihr blaues Wunder erleben wollen.

Apropos Blau. Waren die Leverkusener Trikots Cadenabbia-Blau? Immerhin soll NRW-Innenminister Reul ja Bayer-Fan sein. Oder leuchtet der Atlantik in Xabis baskischer Heimat in dieser Farbe? Wie auch immer – im DFB-Pokal-Viertelfinale werden die Rheinländer wieder rot-schwarz tragen. Einen Sieg gegen die aufstrebenden Schwaben kann Fernando Carro freilich nicht einmal mit plumpen Erpressungsversuchen erzwingen. Die Freude über das Los dürfte sich auf der Bayer-Geschäftsstelle in Grenzen halten.

Auch ohne eine Korrektur des Saisonziels gerät jeder, der es mit dem VfB hält, beim Blick auf die Tabelle ins Träumen: 6 Punkte Vorsprung auf Platz 5 und schon 10 Punkte auf Platz 7 lösen allenthalben Fernweh aus. Nicht zuletzt die aktuelle Form beflügelt die Fantasie der Anhänger. Aus der Kurve tönt nicht zum ersten Mal: Stuttgart international – Europapokal. Die Fans müssen ihre Träume von europäischen Auswärtsreisen nicht verbergen. Und der Sportdirektor kann sich ja über Weihnachten überlegen, wie er der Öffentlichkeit die neue Wirklichkeit beibringt.  

VfB Stuttgart – Bayer 04 Leverkusen 1:1

Zum Weiterlesen:

Der VfB im Winter 2023: Ein Team, das Spaß macht! – Vertikalpass

Weiterentwicklung – Rund um den Brustring

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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