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Schlechte Verlierer

Jeder, der selbst gekickt hat, kennt diese Dorftruppen, die sich schon vor dem Umziehen auf dem Parkplatz zoffen, bei denen einige noch die Drinks des Vorabends ausdünsten. Spiele gegen solche Mannschaften enden meistens im Chaos. Während die eine Hälfte mit Schimpfwörtern aus der untersten Schublade um sich wirft und mit jeder Werbebande Streit anfängt, ziehen die anderen beleidigt ab und machen sich im Auto ein Konterbier auf. Die schmutzigen Trikots bleiben als stinkender Haufen in der Kabine zurück, bis sich der Trainer seufzend erbarmt und sie zum x-ten Mal seiner Frau vor die Waschmaschine stellt. Für manchen mögen genau diese unangenehmen Begleitumstände der Grund gewesen sein, mit dem Fußball aufzuhören. Doch jetzt verkommt unser stolzer Verein aus Cannstatt mehr und mehr zu einer solchen Trümmertruppe. Das macht uns traurig und wütend.

Symptom 1: Bei Auswechslungen würdigen sich die Spieler untereinander und den Trainer keines Blickes. Ich-AG statt Gemeinschaft.

Symptom 2: Nach Ballverlusten gehen gegen Ende des Spiels nur noch wenige den langen Weg zurück. Hängende Schultern und Köpfe, Schuldzuweisungen.

Symptom 3: Die Kapitänsbinde wechselt immer öfter. Der ursprüngliche Kapitän hat die Brücke längst verlassen, die Ersatzkapitäne kriegen gerade noch den Wimpeltausch hin, mit der Führung der Mannschaft sind sie hoffnungslos überfordert. Wer hört dir denn zu, wenn du selbst leistungsmäßig nicht vorangehst?

Symptom 4: Der Frust ist so groß, dass die Sicherungen durchbrennen. Faustschläge und Spuckattacken haben grundsätzlich auf keinem Fußballplatz etwas zu suchen. Wenn der große Traditionsverein mit dem Brustring wegen solcher Dummheiten und nicht wegen fußballerischer Leistungen in den Schlagzeilen steht, blutet einem das Herz.

Symptom 5: Wenn sich Spieler und Trainerteam nach dem Spiel in die Haare kriegen, geht es nicht nur um die Trikotwäsche, sondern um die Führungskompetenz der verantwortlichen Personen.

Schon seit Längerem wissen wir, dass diese Saison die schlechteste der Vereinsgeschichte sein wird. Es ist kein Geheimnis, dass die Mannschaft sich jedes Tor und jedes Pünktchen hart erarbeiten muss. Beim Leverkusen-Spiel zeigten viele Dauerkartenbesitzer, wie hoch sie die Siegchancen gegen den Tabellenneunten aus dem Rheinland einschätzten: No-Show en masse. Was aber selbst erfahrenste Hardcore-Bruddler und Pessimisten kaum vorhergesehen haben dürften: Die Mannschaft zeigte vor den versammelten Sky-Kameras Auflösungserscheinungen der unschönen Art. Der Verein für Peinlichkeiten, der gescheiterte Großkotz, der Quattrex-Ableger bewirbt sich jetzt offiziell um den Titel des unsympathischsten Bundesligisten, was bei der Konkurrenz aus Sinsheim, Leipzig und Leverkusen wenigstens einmal ambitioniert wirkt. Mit einem Trainer, der uns Woche für Woche mit seinen armseligen Phrasen langweilt: das Publikum mitnehmen, auch mal überraschen, vorne mehr Durchschlagskraft entwickeln. Seit Oktober. Nichts davon wurde jemals umgesetzt.

Wie soll man auch die Zuschauer mitnehmen, wenn man das Team Woche für Woche mit vollen Hosen auf den Platz schickt? Zuber als linker Verteidiger? Unseren besten Torschützen der Rückrunde nach hinten versetzen, obwohl mit Sosa ein Spezialist für diese Position verfügbar wäre. González und Esswein in vorderster Front? Zwei Spieler, die bislang überhaupt keine Durchschlagskraft nachgewiesen haben. Gegen den Tabellenneunten ein 0:0 als Ziel ausgeben? Unter Weinzierl hat sich seit dem 3:1 in Hannover, dem Ende der Ära Korkut, im Offensivspiel nichts getan. Wenn das Spiel vom Samstag etwas Positives bewirken kann, dann wäre es ein reinigendes Gewitter, das den Trainer wegspült und die Köpfe freimacht für das wichtige Spiel in Augsburg. Aber Thomas Hitzlsperger will sein Versprechen (noch) nicht brechen: „Wir müssen jetzt auf dem Platz Gas geben und in den nächsten Tagen einen Plan für dieses Spiel entwickeln.“ Ein Plan wäre in der Tat eine ganz neue Strategie.

VfB – Bayer 04 Leverkusen 0:1

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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