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Eine andere Liga

Lange gab Borna Sosa beim VfB keine Interviews. Das lag zum einen daran, dass er in den ersten beiden Jahren nicht über die Rolle eines Ergänzungsspielers hinauskam, wohl aber auch an mangelndem Vertrauen in seine (inzwischen durchaus respektablen) Deutschkenntnisse. Nachdem der hochbegabte Kroate die Mannschaft im Pokal zum ersten Mal als Kapitän aufs Feld führen durfte, stand er jetzt auch nach der herben Niederlage in Leipzig bei VfB TV Rede und Antwort. Von der ersten bis zur neunzigsten Minute sei der Gegner klar die bessere Mannschaft gewesen, analysiert er unverblümt.

Das Los des Fußball-Konsumenten

Nach dem überzeugenden Auftaktsieg haben die VfB-Fans natürlich auf das zweite Saisonspiel in Leipzig hingefiebert. Mit breiter Brust – so sollte man meinen – reist die ersatzgeschwächte Mannschaft von Pellegrino Matarazzo zur Red-Bull-Filiale in die deutsche Musikhauptstadt. Wir müssen zu Hause vor dem Fernseher bleiben, denn laut einer RB-Clubsprecherin verhinderten logistische Probleme im Zuge des Stadionumbaus die Zulassung von Gästefans. In Wahrheit sind die Mateschitz-Bediensteten wohl froh, dass der kommerzkritische VfB-Anhang ihre inszenierte Bullen-Party nicht stört.

So schön die Rückkehr ins Neckarstadion letzte Woche war, so ernüchternd ist die Rolle als Fußball-Konsument an diesem Freitagabend. Der ehemalige Sky-Kommentator Michael Born gibt sein Debüt für den Streamingdienst DAZN und zeigt gleich mal, wohin die Reise gehen soll: Der unspannendsten Bundesliga aller Zeiten – neben dem Konstrukt aus Leipzig nerven die Plastikclubs aus Hoffenheim, Wolfsburg und Leverkusen nebst anderen eher farblosen Vereinen – muss künstlich eine Dramaturgie verpasst werden. Kapitel eins: der vielleicht stärkste Kader der Liga mit dem von Jesse Marsch wiederbelebten Red-Bull-Gen.

Der Star und das Sandmännchen

Mit Benny Lauth hat Born einen Ja-Sager an der Seite, der mit der gleichen Eigenschaft glänzt wie zu weiten Teilen seiner Karriere: unbeholfene Unauffälligkeit. Der Red-Bull-Orgie steht also nichts mehr im Weg – schon gar nicht der VfB, der gleich zu Beginn deutlich macht, dass man sich aufs Hinterherlaufen eingestellt hat.

Der Star des Abends: der 20-jährige Ungar Dominik Szoboszlai. Gut, dass die Leipziger den in der Winterpause für schlappe 20 Millionen aus Salzburg loseisen konnten, frohlockt der Kommentator. Falls er diesem comedyreifen Ausspruch einen ironischen Unterton geben wollte, misslingt ihm das vollkommen. RB Salzburg und Rasenballsport Leipzig seien ja inzwischen auch ziemlich unabhängig voneinander, fügt er hinzu, ohne lachen zu müssen. Fehlt nur noch, dass uns der gute Mann vor dem Zubettgehen Sand in die Augen streut.

Eine Klasse besser

Pellegrino Matarazzo ist ein kluger und ein ehrlicher Mann. „Eine Klasse besser“ sei das Team von Jesse Marsch gewesen, beschließt er die Pressekonferenz nach dem Spiel. Wir dürfen also davon ausgehen, dass unser Chefcoach gesehen hat, dass der Doppeltorschütze von letzter Woche vor dem 0:1 einen echten „Arschlochball“ spielte, dass der Mittelfeldzentrale Biss und Zweikampfhärte fehlten, und die Offensive über die gesamte Spielzeit in der Luft hing.

Die Automatismen und Prinzipien, auf die der Trainer so viel Wert legt, greifen gegen das stark aufspielende Leipzig nicht, weil einzelne Spieler überfordert sind und der Gegner keinerlei konstruktiven Spielaufbau zulässt. Als Lehrvideo für Gegenpressing könnte Matarazzo das Spiel zusammenschneiden lassen.

Das Herz schwächelt

Auch für den weiteren Saisonverlauf kann uns die Klatsche Hinweise geben. Das Herz des VfB-Spiels, in dem letzte Saison meistens Endo, Mangala und Castro zu finden waren, ist mit Klement, Klimovicz und Förster nicht gleichwertig besetzt. Während der pressingresistente Panther Orel wohl bald wieder zurückkehrt, müssen wir bei den beiden offfensiv ausgerichteten Achtern auf einen Leistungssprung hoffen. Didavi und die beiden neu verpflichteten Beyaz und Millot dürfen jedenfalls gerne Druck machen. Auch einen Ahamada oder Nartey würde ich gerne einmal auf dieser Position sehen.

Die größte Baustelle bleibt allerdings die vorderste Linie. Al Ghaddioui konnte seine gute Leistung gegen Fürth nicht bestätigen und musste nach der Pause zurecht in der Kabine bleiben. Mit der Schulterverletzung von Sasa Kalajdzic, Mos kaputtem Knie und dem gebrochenen Schlüsselbein von Chris Führich fallen bereits drei vielversprechende Optionen aus. Auch wenn Coulibaly, Klimovicz oder Massimo theoretisch eine Art Neun spielen können, dürfen wir nicht vergessen, dass die Bundesliga kein Gerümpelturnier ist, bei dem man am Sonntagmorgen die letzten Reserven mobilisiert. Ohne Stürmer wird es verdammt schwer, die Klasse zu halten. Das wissen auch Mislintat und Matarazzo.

Die Mitte finden

„Wann du verlierst, gehe nicht zu unten, wann du gewinnst, gehe nicht zu hoch“, gibt der für die kroatische A-Nationalmannschaft nominierte Sosa die Devise wieder, die sein Trainer so gerne vorbetet. Mit drei Punkten aus den ersten beiden Spielen liegt der VfB absolut im Soll. „Wir müssen akzeptieren und arbeiten diese Woche und wir spielen gegen Freiburg nach Hause (…) ich habe ein positives Gefühl“. Wer vor Kurzem noch von seinen Landsleuten als Verräter geschmäht wurde, um wenige Monate später erstmals von Zlatko Dalic berufen zu werden, versteht sehr gut, dass man sich von Rückschlägen nicht aus der Ruhe bringen lassen darf. Am kommenden Samstag werden gegen einen Gegner auf Augenhöhe die Weichen für den weiteren Saisonverlauf gestellt. Dank der reduzierten Eintrittspreise dürfen Sosa und Co wohl auf die Unterstützung eines diesmal ausverkauften Neckarstadions zählen.

Red Bull Leipzig  – VfB 4:0

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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