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Kuschel-Wahlkampf?

Mit der pandemiegerechten Ghettofaust begrüßen sich die beiden Kandidaten für die im Juli anstehende Präsidentenwahl vor versammelter Presse. Fast schon freundschaftlich wirkt das Verhältnis der beiden Männer, die nicht etwa gekommen sind, um den Wahlkampf einzuleiten, sondern „die Wahlphase“ wie Pierre-Enric Steiger mit einem Lächeln in Richtung des Amtsinhabers formuliert. Nicht nur in diesem Punkt haben sich die beiden wohl im Vorfeld abgesprochen. Man muss schon mit der Lupe suchen, um ein kritisches Wort des Herausforderers gegenüber Claus Vogt zu entdecken.

Der Ehrenamt-Versteher

Nach dem vor Kurzem noch mit allen Mitteln geführten Machtkampf wirkt das Pressegespräch am Mittwoch richtig kuschelig. War Vogt nicht derjenige, der mit seiner Inkompetenz den ganzen Klub in Gefahr bringt? War er nicht in allen Gremien so isoliert, dass sich der Vorstandsvorsitzende zur Rettung des VfB auch noch das Präsidentenamt aufbürden wollte?

Auf einmal sehen wir zwei Kandidaten, die sich in vielen Punkten einig sind. Die Abteilungen des eingetragenen Vereins brauchen eine bessere finanzielle Ausstattung, die Ehrenamtlichen und Breitensportler verdienen mehr Anerkennung, der ausgegliederten AG soll bestmöglich zugearbeitet werden, damit der sportliche Erfolg möglichst lange anhält. Es ist fast ein Harmonie-Overkill. Da ist Steiger in seinem Element. Mit Gemeinnützigkeit und blumigen Worten kennt er sich aus.    

Der Platzhirsch

Aber auch Claus Vogt fühlt sich wie ein Fisch im Wasser, wenn er dem Mitbewerber erklären darf, „was der Herr Steiger noch nicht wissen kann“. Im Gegensatz zu seinem Auftritt vor einigen Wochen, als er die versprochene Transparenz in der Datenaffäre nicht liefern konnte, wirkt er in seiner Rolle als gönnerhafter Platzhirsch wesentlich entspannter. Vergnügungssteuerpflichtig sei der Machtkampf nicht gewesen, aber er führe das Amt des Präsidenten auch weiterhin gerne aus. Dazu braucht er keine 150 Videokonferenzen und auch kein Fotoshooting im gemieteten Neckarstadion.

Die Bilder mit ihm als einsamen Steher in der Cannstatter Kurve sind das Markenzeichen seiner Präsidentschaft. Er hat die Mitglieder und Fans wieder mit der Vereinsführung versöhnt, den Mädchen- und Frauenfußball auf den Weg gebracht, die Themen Satzung und Zukunft Profifußball angepackt, dem Para-Sport mehr Gewicht verliehen, soziales Engagement gelebt und Nachhaltigkeit befördert.

Und doch wollen ihm manche den Ruf andichten, dem VfB geschadet zu haben. Der Boulevard wird nicht müde, die bislang unbelegten Anschuldigungen zu wiederholen. Und derjenige, der in der Öffentlichkeit als sein größter Kritiker auftrat, ergießt sich in PR-Phrasen und Allgemeinplätzen. Die größte Gefahr für Claus Vogt heißt nicht Pierre-Enric Steiger sondern Thomas Hitzlsperger. Der Herausforderer und sein Team im Hintergrund haben das erkannt und setzen auf den Hitzlintat-Spin: Wer das erfolgreiche Gespann in der sportlichen Führung noch länger behalten möchte, sollte auf einen echten Neuanfang setzen.

Der Zurückruderer

Aber auch der Gegenkandidat muss seit der Bekanntgabe seiner Bewerbung mit zwei Makeln leben: Er ist Mitglied im Freundeskreis und wollte angeblich nur im Dreierpack mit Silvio Meißner und Hubert Deutsch antreten. Nichts als ein Missverständnis, erläutert Herr Steiger mit sanfter Stimme. Nur um die notwendigen Unterschirften zur Unterstützung der Bewerbungen zu bekommen, habe man sich zusammengeschlossen. Aber natürlich gehe jeder Bewerber einzeln ins Rennen, versichert der Kandidat, dem in dieser Angelegenheit seine ansonten so perfekte Bewerbung wohl etwas entglitten ist. Hubert Deutsch habe er vorher gar nicht persönlich gekannt, ebensowenig Silvio Meißner.

Was Deutsch, Scheurer und Steiger verbindet, ist die Mitgliedschaft im  Freundeskreis. Reiner Zufall? Genauso wie Steiger noch nicht lange VfB-Mitglied ist, gehört er auch erst seit 2019 dem erlauchten Unterstützerkreis an. In dessen Loge hat er sich offensichtlich wohl gefühlt, von politischem Einwirken auf den Klub will er nichts mitbekommen haben. Nachwuchsförderung ist das schmucke Etikett, das sich die feinen Herren ans Revers heften. Alles Ehrenmänner, wer würde daran zweifeln, gell Herr Schäfer?

In einem Interview mit dem Zeitungsverlag Waiblingen gibt Steiger freilich zu, dass es im Freundeskreis zwei Lager gebe, „die sich auch tatsächlich beharken“. Man muss kein Insider sein, um zu wissen, dass der Vorsitzende und Dietrich-Intimus Schlensog nicht zu den selbstlosen Wohltätern zählt, die ihr Kandidat offensichtlich vertreten will.

Der Diener der AG

Steigers Eltern waren wohl mit Mayer-Vorfelders befreundet, auch Herrn Staudt kennt der Präsident der Björn-Steiger-Stiftung persönlich, aber das Präsidentenamt von damals sei mit heute nicht zu vergleichen. Seit der Ausgliederung gebe nun einmal die AG den Ton an. Auf der eigens für die Kandidatur gestalteten Homepage zählt der 49-Jährige aus Winnenden eloquent auf, was der Präsident und Aufsichtsratsvorsitzende nicht beeinflussen könne. Man bekommt den Eindruck, die AG habe sich verselbstständigt und sei auf geheimnisvolle Weise mächtiger geworden als der Verein, der knapp 90 Prozent an ihr hält. Bei Steigers Ausführungen dürften manche Protagonisten aus der Mercedesstraße vor Freude in die Hände klatschen. Ein Präsident, der seine Bestimmung in der Unterordnung sieht? Darauf haben sie seit Dietrichs Rücktritt hingearbeitet.

Die moralische Vertretung des VfB Stuttgart e.V. sehen beide Kandidaten als wichtige Aufgabe an, auch wenn sie sich den Slogan „FCK AfD“ nicht zueigen machen wollen. Die Kapitalgesellschaft für Tore, Punkte und Millionen, der Verein als Leuchtturm des Ehrenamts und der gesellschaftlichen Werte? Man spricht über das vierstellige Budget der Tischtennisabteilung und die Trikots der Hobbysportler. Topspins und Netzroller in allen Ehren, aber vor dem Hintergrund der schweren Geschütze, die noch vor Kurzem beim VfB aufgefahren wurden, wirken diese Themen ein bisschen putzig.

Das Zukunftspapier

Wenn man dem vom Vereinsbeirat nominierten Kandidaten eines nicht vorwerfen kann, dann ist es, dass er sich unzureichend auf seine Bewerbung vorbereitet hätte. Vorgespräche mit den Abteilungsleitern, Social-Media-Auftritt, Homepage mit Terminbuchungsoption, FAQ, fehlt eigentlich nur noch das 11-Punkte-Papier. Aber da geht Herr Steiger schlauer vor als der Honorarkonsul mit dem heißen Draht zur Schmutzpresse. Er will zuerst mit Mitgliedern und Fans in Austausch treten, bevor er sein „Zukunftspapier“ veröffentlicht.

Die öffentliche Resonanz auf den Auftakt der Wahlphase fällt insgesamt positiv aus. Erleichterung über den respektvollen Umgang miteinander mischt sich mit ersten Parolen: Kurve gegen Haupttribüne, der Fanpräsident gegen den Freundeskreis, FC PlayFair! gegen Björn-Steiger-Stiftung. Dem VfB stehen einmal mehr richtungsweisende Entscheidungen bevor. Dass dabei nicht mit Schmutz geworfen werden soll, sei ihr großer Wunsch, betonen Vogt und Steiger gleichermaßen. So unterschiedlich der Hintergrund der beiden Präsidentschaftskandidaten sein mag, haben sie eines gemeinsam: ihr ausgeprägtes Harmoniebedürfnis.

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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