Verzettelt
Noch im Frühjahr warben vier Mitglieder um Unterstützung und Spenden für eine Initiative, die den VfB Stuttgart, „aus der größten Krise der Vereinsgeschichte“ retten sollte. Seit Sonntag ist klar: Das Ansinnen ist krachend gescheitert. Auch die wesentlich transparenter und überlegter vorgetragenen Anträge auf Satzungänderung von einer Gruppe um die Mitglieder Michael Reichl und Fabian Lang erreichen in der Mehrzahl nicht die erforderliche Dreiviertel-Mehrheit.
Die knapp eintausend stimmberechtigten Mitglieder erleben bei der ordentlichen Mitgliederversammlung hauptsächlich einen Schlagabtausch gegenseitiger Vorwürfe und Rechtfertigungen. Über konstruktive Ansätze zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Verein wird während der achteinhalb Stunden im Neckarstadion kaum debattiert.
Schwache Anträge
Viel Zeit nehmen die Abwahlanträge gegen den Präsidenten und zwei Mitglieder aus dem Vereinsbeirat in Anspruch. Claus Vogt hält eine lange, emotionale Verteidigungsrede, die im Kern zwei Dinge beinhaltet: die Erfolge seiner Amtszeit und die Niedertracht seiner Kritiker. In der Tat sind die Versuche, den Präsidenten zu diskreditieren, entweder reichlich dubios oder ziemlich kleinkariert. Keiner der Antragssteller kann in den Redebeiträgen auch nur ansatzweise überzeugen. Schon vor der Abstimmung ist den versammelten Mitgliedern klar, dass die Umsturzversuche wenig Aussicht auf Erfolg haben.
Noch schwächer auf der Brust sind die Abwahlanträge gegen Prof. André Bühler und Dr. Marc Nicolai Schlecht. Der Vorstandsvorsitzende Wehrle und Finanzvorstand Ignatzi referieren trocken den Sachstand, der zusätzlich von einem internen und einem externen Rechtsgutachten gestützt wird: Es gibt keine sachliche Grundlage für den Vorwurf der Satzungsverstöße. Die beiden Vereinsbeiräte verteidigen sich mit engagierten Wortbeiträgen, die noch einmal im Detail aufzeigen, dass die Antragssteller schlicht keine guten Argumente haben. Entsprechend deutlich fällt das Votum der Mitglieder aus.
Demonstrative Einigkeit
Die Amtsträger und Vorstände auf dem Podium haben sich offensichtlich vorgenommen, maximale Eintracht auszustrahlen. Die Gremienarbeit sei schon lange nicht mehr so konstruktiv verlaufen wie derzeit, die Reibereien zwischen Verein und ausgegliederter AG überwunden. Zwischen den Präsidenten und den Vorstandsvorsitzenden passt an diesem Tag kein Blatt. Auch das Präsidium, in dem zuletzt wenig Harmonie zu verspüren war, demonstriert bemüht Einigkeit. Ihre Anspannung können die Protagonisten trotzdem nicht verbergen.
Seit vielen Monaten haben sich teilweise haltlose, teilweise auch berechtigte Vorwürfe angehäuft, ohne dass die Vereinsführung darauf reagiert hätte. Die Mitgliederversammlung wollen sie nun für einen Befreiungsschlag nutzen. Warum sie die Sachverhalte nicht früher klargestellt haben, können sie allerdings nicht schlüssig erklären. Schließlich soll es an diesem Tag nicht nur um die Vergangenheit, sondern in erster Linie um die Zukunft gehen. Wie soll der Verein nach den schweren Erschütterungen durch Datenskandal, Personalwechsel und sportlichem Ritt auf der Rasierklinge wieder in ruhigeres Fahrwasser gelenkt werden? Auf diese Frage gibt es keine zufriedenstellenden Antworten.
Klarer Arbeitsauftrag
Am deutlichsten formuliert der Redner der Ultragruppierung Commando Cannstatt die Erwartungen: „Wir erwarten von euch, dass jedes einzelne Gremienmitglied sein Ego hintenanstellt und einzig und allein dem VfB dient. Dafür wurdet ihr gewählt!“ (…) „Reißt euch zusammen“. Die Einrichtung eines Wahlausschusses befürwortet die Gruppe ausdrücklich und fordert, dass die neuen Strukturen bis zu den nächsten turnusgemäßen Wahlen installiert sein sollen.
Dass die Abwahlanträge gescheitert sind, beruhigt zwar vorübergehend die Gemüter, darf für die Amtsträger aber keinesfalls ein Ruhekissen sein. Im Gegenteil: In den verbleibenden zwei Jahren erwarten die Mitglieder mehr von der versprochenen Transparenz und Fehlerkultur. Die Satzungskommission hat von den Mitgliedern einige gute Anregungen bekommen, die jetzt im Dialog zu praktikablen Änderungsanträgen ausgearbeitet werden müssen.
Eine weitere Aufgabe der Gremien besteht darin, die ungeheure Diskrepanz zwischen der inzwischen auf 85 000 angewachsenen Mitgliederzahl und der gerade einmal vierstelligen Zahl an Versammlungsteilnehmern zu analysieren. Warum nehmen so wenige Mitglieder ihr Recht auf Mitbestimmung wahr, obwohl die Diskussionen im virtuellen Raum so hohe Wellen schlagen? Alleine an der ungünstigen Terminierung am letzten Ferienwochenende kann es nicht liegen. Eher schon daran, dass die Tagesordnung nicht nur zu lang war, sondern auch viele Punkte enthielt, die zähe und wenig konstruktive Diskussionen erwarten ließ. Eine frühzeitige Einbindung der Mitglieder und eine bessere inhaltliche Vorbereitung der Versammlungsthemen könnten für mehr Beteiligung sorgen.
Es geht nur gemeinsam
Aber nicht nur der Verein muss sich kritisch hinterfragen, sondern auch die Mtiglieder selbst. Nicht zuletzt die schlecht begründeten Abwahlanträge sorgen am Sonntag für die unangenehme Überlänge der Veranstaltung. Viele der angeblichen Abwahlgründe wären in der allgemeinen Aussprache besser aufgehoben gewesen. Außerdem dürfen die Antragsteller nicht vergessen, dass die persönlich motivierten, teilweise respektlosen Angriffe auf gewählte Amtsträger den Ämtern und damit dem Verein als Ganzes schaden. Auf die zwei vakanten Posten im Vereinsbeirat haben sich nicht ohne Grund nur drei Kandidaten beworben. Wenn kaum mehr einer bereit ist, sich ehrenamtlich für den VfB zu engagieren, können wir uns den Wahlausschuss gleich sparen.
Auch die Heckenschützen aus der Anonymität des Internets sollten sich an die eigene Nase fassen. Da wird rund um die Uhr in unmöglichem Ton provoziert und gepöbelt, aber wenn die Stunde des Austauschs geschlagen hat, verkriechen sich die Maulhelden im stillen Kämmerlein. Vereinsleben funktioniert nur miteinander. Dazu kann jeder sein Scherflein beitragen.
Im Rückblick ist die Mitgliederversammlung 2023 kein Ruhmesblatt für den Verein für Bewegungsspiele. Statt die Weichen für eine bessere Zukunft zu stellen, hat man sich wieder einmal im Klein-Klein verzettelt.
reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson