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Am Bonbon verschluckt

Bei Mitgliederversammlungen ist es beim VfB Usus, den Mitgliedern als Dank für ihren Besuch ein kleines Geschenk zu überreichen oder eine frohe Botschaft zu übermitteln. Umsonst gibt es bei der Veranstaltung am Sonntag nichts – im Gegenteil, der Caterer der Porsche-Arena ruft wahre Premium-Preise für Kaffee, Mineralwasser und Leberkäswecken auf – dafür drei große Namen.

Reine Folklore oder ein Schritt zu einer breiter aufgestellten Sportkompetenz im Klub? Die Pressekonferenz am Montag soll Aufschluss geben, verwirrt die Mitglieder und Fans aber eher noch mehr. Was ist da schief gelaufen?

Gemeinsame Pressekonferenz am Montag: Präsident Claus Vogt, Sami Khedira, Alexander Wehrle, Philipp Lahm und Christian Gentner (v.li.).
Alexander Wehrle steht auch bei der Pk am Montag im Mittelpunkt. (Foto: IMAGO/Sportfoto Rudel)

Im Scheinwerferlicht

Alexander Wehrle ist im Fußballbusiness mit allen Wassern gewaschen und weiß, wie man vor Publikum auftritt. Den Bericht des Vorstands trägt er am Sonntag frei vor und vergisst auch nicht, alle paar Minuten eine markante Botschaft einzubauen, die den Saal zu Applaus animiert.

Die Scharmützel zwischen AG und eV gehörten der Vergangenheit an, verkündet der neue Vorstandsvorsitzende. Es gebe nur einen VfB. Kooperation sei nun angesagt und man setze sich große Ziele. Sein rhetorisches Geschick und der launige Vortrag nehmen das Publikum mit, das schon zu Beginn von Präsident Vogt auf Harmonie eingeschworen wurde. Vor lauter verbalen Umarmungen wird einem ganz warm ums Herz.     

Am Ende seiner Rede enthüllt Wehrle dann die diesjährigen MV-Bonbons: Sami Khedira, Philipp Lahm und Christian Gentner werden zum VfB zurückkehren. Drei ehemalige Spieler, mit denen die Fans Erfolg und Identifikation verbinden sollen. Welche Aufgaben sie übernehmen? Wie das alles in die gut funktionierenden Abläufe des aktuellen Teams Sport passt? Der Vorstandsvorsitzende verlässt zufrieden lächelnd die Bühne und überlässt den Mitgliedern zunächst die Interpretation der Entscheidung.

Sven Mislintat sitzt zu diesem Zeitpunkt noch höflich klatschend im Kreise der Mannschaft. Als sich die Spieler nach den Ehrungen dann auf den Heimweg machen, wird es um den Sportdirektor einsam. Im Scheinwerferlicht stehen an diesem Tag andere. Ich fühle mich plötzlich an letztes Jahr erinnert, als Hitzlsperger weite Teile der Versammlung alleine auf dem Oberrang der Haupttribüne verfolgte. Wir wissen, wie die Geschichte weiterging.

Wer ist hier der Boss?

Die Pressekonferenz am Montag hat wohl das Ziel, die tags zuvor verkündeten Entscheidungen zu erklären und die vielen offenen Fragen zu beantworten. Wieder im Zentrum der Aufmerksamkeit: Alexander Wehrle. Leider gelingt es weder ihm noch den vier weiteren Personen auf dem Podium, Licht ins Dunkel zu bringen. Klar ist nur eines: Der Vorstandsvorsitzende gefällt sich in der Rolle des dominanten Entscheiders.

Vor den Pressevertretern und der virtuell versammelten VfB-Gemeinde kommt noch deutlicher zum Vorschein als am Vortag, dass der neue starke Mann beim VfB sehr von sich überzeugt ist. Hartnäckig habe er um die Zusage der drei prominenten Zugänge gerungen, heißt es. Der Präsident und der Aufsichtsrat seien zwar eingeweiht gewesen, hätten die Entscheidung aber letztendlich in Wehrles Hände gelegt. Die offizielle Version lautet, dass Khedira und Lahm den Vorstandsvorsitzenden und das Präsidium in strategischen und sportlichen Fragen beraten sollen. Doch niemand macht einen Hehl daraus, wer die treibende Kraft in dieser Angelegenheit ist.

Viel Wind um zwei externe Berater

Sami Khedira und Philipp Lahm sind sicher klangvolle Namen im deutschen Fußball. Aber was können die beiden konkret zur Entwicklung des VfB beitragen und warum wird so viel Wind um zwei externe Berater gemacht?

Die beiden Weltmeister von 2014 verbindet, dass sie überaus erfolgreiche Fußballer und Führungsfiguren auf und neben dem Platz waren. Unterschiedlich sind allerdings ihre Karriereverläufe und die Schwerpunkte, die sie nach ihrem Rücktritt setzen.

Khedira hat im Rahmen des DFB-Programms „Players Pathway“ die Trainer-B-plus-Lizenz erworben und absolviert zur Zeit den UEFA-Master-Studienkurs für Nationalspieler. Der geborene Cannstatter hat vor, in Zukunft selbst Verantwortung als Sportdirektor oder Sportvorstand zu tragen. Ihm nehme ich ab, dass er bei seiner Beratertätigkeit für den VfB – ähnlich wie bei seinen Praktika in anderen Klubs – nicht zuletzt selbst noch etwas lernen will.

Lahms Auftritt wirkt dagegen reichlich künstlich. Der Chef des EM-Organisationskomitees erzählt von der starken Region Stuttgart und seiner ersten eigenen Wohnung als 19-jähriger VfB-Profi, kann aber zu keinem Zeitpunkt vermitteln, in welchen Bereichen er den Vorstandschef beraten soll. Die VfB-Spiele will er sich hauptsächlich im Fernsehen anschauen. Ein Werbeprodukt der von ihm aufgekauften Firma Schneekoppe hat er in Gedanken wahrscheinlich gleich einmal neben die Schwarzwaldmilch gestellt. Müsli und Milch – passt doch, oder?

Der Leiter Lizenzspielerabteilung

Zur Rückkehr von Christian Gentner wird in der Pressekonferenz gleich die entscheidende Frage gestellt: Hat man beim VfB zuerst den Bedarf nach einer zusätzlichen Stelle im sportlichen Bereich festgestellt und daraufhin eine geeignete Person gesucht? Oder wollte man unbedingt Gente zurückholen und sucht jetzt krampfhaft eine Aufgabe für ihn?

„Gute Frage“, lobt der Vorstandsvorsitzende, kann sie aber dann nicht befriedigend beantworten. Zweiteres ist wohl richtig, obwohl der erfahrene Fußball-Funktionär Wehrle natürlich das Gegenteil behauptet. Überhaupt wirken die Äußerungen der Herren auf dem Podium auf eine unangenehme Weise aufgesetzt und konstruiert. Das kann auch Herr Wehrle nicht weglachen.

Wozu braucht der VfB also einen Leiter Lizenzspielerabteilung? Brauchen Mislintat und Matarazzo „ein Bindeglied zwischen sportlicher Leitung und Mannschaft“? Hatte irgendjemand in der Vergangenheit den Eindruck, dass der Sportdirektor nicht nah genug an der Mannschaft sei? Zu diesem Schluss kann nur jemand kommen, der entweder die Arbeitsweise des seit fast drei Jahren gemeinsam agierenden Teams nicht kennt oder die vorhandenen Strukturen verändern möchte.

Gentner soll an die Direktoren Mislintat und Rüdt berichten, hat mit seinen beiden künftigen Vorgesetzten aber noch nicht einmal gesprochen. Dafür sei keine Zeit gewesen, heißt es. Bei dem „hartnäckigen“ Werben um den Ex-Spieler fand es der Vorstandsboss offensichtlich nicht wichtig, das Team zu involvieren. Wie das alles mit seinem „kooperativen Führungsverständnis“ zusammenpasst, das er bei der Veranstaltung selbst preist? Es bleibt nicht die einzige unbeantwortete Frage an diesem Tag.

Feine Nasen

Ohne die Bedeutung der Ereignisse der letzten Tage zu hoch zu hängen, kann man festhalten, dass sich der VfB im Allgemeinen und Alexander Wehrle im Besonderen mit ihrem Vorgehen keinen Gefallen getan haben. Neben den zahlreichen Ungereimtheiten, die sich aus den öffentlichen Äußerungen ergeben, stößt die selbstherrliche Attitude des Vorstandschefs unangenehm auf. Große Namen mit Stallgeruch sollen identitätsstiftend und ambitioniert wirken, die Erfahrungen mit solchen Wohlfühlpersonalien sind in Bad Cannstatt aber eher schlecht. Wichtiger als der Wohn- oder Geburtsort eines Mitarbeiters sind seine Qualifikation und die Zusammenarbeit im Team. Diesbezüglich befand man sich in den letzten Jahren auf einem vielversprechenden Weg und sollte tunlichst nicht in alte Muster verfallen. Denn eines sollten die Führungskräfte und Gremienmitglieder aus der Vergangenheit gelernt haben: Die VfB-Fans haben eine sehr feine Nase dafür, wenn etwas zu stinken beginnt.  

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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