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„Friehling“ in Bad Cannstatt

Volle Hütte, Frühlingswetter, ganz Cannstatt in Weiß und Rot. Die schlechten Erinnerungen an den Gegner aus Bayerisch-Schwaben? Die kritische Tabellensituation im Abstiegskampf? Die im Vorfeld verbreiteten Misstöne aus der lokalen Sportredaktion? Es scheint, als hätten die VfB-Fans entschieden, sich die Freude am Fußball nicht verderben zu lassen. Ziemlich genau zwei Jahre nach dem letzten Heimspiel vor großer Kulisse soll dieser Samstag ein Feiertag werden.

Übergabe des Staffelstabs

Habt ihr mitbekommen, dass Thomas Hitzlsperger im Rahmen des Spiels offiziell verabschiedet wurde? Ich bin ganz ehrlich: Mitten im Abstiegskampf steht mir der Sinn nicht nach lächelnd überreichten Blumensträußen.

Im Fußballgeschäft gibt es wohl keinen ungeeigneteren Zeitpunkt als den 31. März, um seine sechsjährige Funktionärstätigkeit zu beenden und seinen Vertrag „in beiderseitigem Einvernehmen“ aufzulösen. Klingt harmonisch, ist es aber nicht. In vollem Lauf übergibt Hitzlsperger seinem Nachfolger ab Montag den Staffelstab. Wenn es dumm läuft, muss Alexander Wehrle in sieben Wochen mit einem Doppelabstieg umgehen.

Ein Wechsel in der Geschäftsführung wird den Spielbetrieb nicht beeinflussen, beruhigen die einen. Welchen Einfluss hatte Hitzlsperger zuletzt noch auf sportliche Entscheidungen, fragen die anderen. Manche ätzen auch, der Meisterspieler von 2007 habe seinen Abschiedsbrief doch schon im Dezember 2020 geschrieben und seither nur noch einen möglichst imagewahrenden Abgang vorbereitet.

Es fällt schwer, sieben Spieltage vor Saisonende ein Fazit seines Wirkens zu ziehen. Fest steht: Er hat gute Leute geholt, die einige gute Entscheidungen getroffen und ihrerseits fähige Mitarbeiter angeworben haben. Nach Jahren der Inkompetenz und Selbstüberschätzung gibt es beim VfB in der Abteilung Sport wieder Expertise und Gestaltungskraft. Andererseits ist das Verhältnis zwischen AG und Verein immer noch von Misstrauen geprägt. Diese Spaltung vermochte der einstige Fan-Liebling nicht zu überwinden.

Die Kraft der Schlussviertelstunde

Doch kommen wir zum Spiel. Als es vor einigen Wochen hieß, der VfB habe genügend Qualität, um den Klassenerhalt aus eigener Kraft zu schaffen, hielten das nicht wenige – mich eingeschlossen – für Durchhalteparolen.

Im vorentscheidenden Heimspiel gegen Augsburg sehen die gut 55 000 Zuschauer im Neckarstadion aber, dass die Mannschaft von Pellegrino Matarazzo dem ganz in Schwarz gekleideten Gegner in fast allen Belangen überlegen ist. Nur der Spielstand an der Anzeigentafel spricht bis in die Endphase der Partie eine andere Sprache.

Jubel bei den Spielern vom VfB Stuttgart nach dem Tor zum 3:2 gegen Augsburg
Marmoush feiert sein Freistoßtor zum 2:2. (Foto: IMAGO/Langer via sportschau.de)

Für die Erlösung in Weiß und Rot sorgen dann zwei Leihspieler. Zuerst zirkelt der aus Wolfsburg gekommene Omar Marmoush einen Freistoß aus knapp 25 Metern ins linke, obere Toreck, bevor Sporting-Leihe Tiago Tomás in der 85. Minute den Ball mit links zum umjubelten Siegtreffer ins Netz drischt.

So schafft es der VfB zum dritten Mal nacheinander, dem Spiel noch eine Wendung zu geben und nach Punkten zu den Augsburgern aufzuschließen. Das Spielglück ist nach vielen Wochen voller Pleiten, Pech und Pannen an den Neckar zurückgekehrt. Drei Minuten vor dem Siegtor senkte sich ein Kopfball von André Hahn nur auf den Querbalken des Stuttgarter Tores.

Niemand wird jedoch bezweifeln, dass sich die Spieler im Brustring dieses Glück redlich verdient haben. Über 90 Minuten versuchen sie mit großem Eifer den Ball gefährlich vor das gegnerische Tor zu bringen, auch wenn die Bemühungen immer wieder an mangelnder Präzision im letzten Drittel scheitern.

Zur Belohnung für das unermüdliche Anrennen und den ungebrochenen Siegeswillen dürfen sie sich nach Abpfiff vor der voll besetzten Cannstatter Kurve feiern lassen. Beim nächsten Gegner in Bielefeld wird man diese Bilder nach 0 Punkten und 0:9 Toren aus den letzten vier Spielen mit einem unguten Gefühl sehen.

Querschläger

Knapp 48 Stunden vor dem wichtigen Abstiegsduell hat die lokale Sportredaktion eine ihrer gefürchteten Schlagzeilen abgesondert: „Darum gibt es Ärger rund um den Abschied von Thomas Hitzlsperger“.

Schon nach wenigen Zeilen wird klar, in welche Richtung der Artikel zielt. Wir kennen die polemischen, selten belegten Geschichten aus immer gleicher Feder. Im PodCannstatt darf der Autor dann auch noch den „Querpass aus der Redaktion“ spielen.

Er wird zu einem Querschläger, der jeden Trainer zur Weißglut brächte: Der VfB drohe, den Weg des 1. FC Kaiserslautern zu nehmen, weil der Ankerinvestor und Hauptsponsor aussteige. Schuld daran seien kommerzkritische Stimmen aus der Kurve, die das Engagement des Konzerns mit dem Stern nicht ausreichend würdigten.

Am Samstagnachmittag in Bad Cannstatt ist die Stimmungslage eine völlig andere. „Wir werden niemals untergehen, solange unsere Fahnen wehen“, schallt es da durchs Stadion. Noch eine halbe Stunde nach Spielende feiern die Anhänger ihre Mannschaft mit lauten Gesängen. Es scheint, als behielte der legendäre Otto Baric einmal mehr Recht: „Kommt Friehling, kommt VfB“.

Zum Weiterlesen:

Die Comebacker vom Neckar – Vertikalpass

VertikalGIF #VfBFCA: Kommt Frühling, kommt VfB! – Vertikalpass

Meine Nerven – Rund um den Brustring

VfB Stuttgart: Schon wieder ein Comeback – Sport – SZ.de (sueddeutsche.de)

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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