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Berlin oder Balingen?

Mitte Mai fällt der Hammer. Nein, ich meine nicht den Schützen des Ausgleichtors an jenem legendären 19. Mai des Jahres 2007. Wann Thomas Hitzlsperger seine sieben Sachen packt, ist öffentlich noch nicht bekannt. Aber am 14. Mai werden wir wissen, ob die Profis erstklassig bleiben und ob die Zweite weiter in der Regionalliga mitspielen darf.

Ein studierter Verwaltungswissenschaftler aus Bietigheim mit einer heimlichen Schwäche für bunte Hemden wird dann in das große Büro gezogen sein, das sein Vorgänger einst von Wolfgang Dietrich erbte. Schon am kommenden Montag soll Alexander Wehrle seine Arbeit als Vorstandsvorsitzender aufnehmen und sich ein Bild vom Zustand der VfB AG machen.  

Jung und wild

Dabei dürfte ihn auch das Nachwuchsleistungszentrum interessieren, das sich nach schwierigen Jahren wieder auf dem aufsteigenden Ast befindet. Nico Willigs U19 besiegt am Sonntag den FC Bayern auf dessen eigenem Campus mit 3:1 nach Verlängerung und zieht erneut ins DFB-Pokalfinale der Junioren ein. Parallel fertigen die Jungs von Markus Fiedler den gleichen Gegner im Heimspiel der U17-Bundesliga mit 5:1 ab.

Wesentlich düsterer sieht es bei der U21 aus, die sich Woche für Woche gegen die fußballerisch biederen Teams der Regionalliga Südwest quält. Der Übergangsmannschaft zwischen Junioren und Erwachsenen wurde in letzter Zeit zwar wieder mehr Aufmerksamkeit zuteil, ihr eigentliches Ziel erreicht sie aber immer noch viel zu selten: die Heranführung talentierter Jugendspieler an den Herrenfußball – wenn möglich an das Profigeschäft.

Wenn Herr Wehrle also bald die Amtsgeschäfte übernimmt, wird er wissen wollen, warum sich aus erfolgreichen Jugendmannschaften und zahlreichen jungen Talenten im Profikader keine schlagkräftige U21 formen lässt, warum das Team von Frank Fahrenhorst ohne Esprit und fußballerisches Konzept durch die Liga stolpert.

Er wird nach einigen Spielern auf der Gehaltsliste fragen, die weder im Profikader noch in einer der NLZ-Mannschaften eine nennenswerte Rolle spielen. Auch über Leihspieler wird dann zu sprechen sein, die für die Regionalliga vermeintlich zu gut, für die erste und zweite Bundesliga aber nicht gut genug sind.

Aussortiert

Im Abstiegskampf der höchsten deutschen Spielklasse sind Qualitäten gefragt, die Matarazzo bei Spielern wie Atakan Karazor und Pascal Stenzel findet: Zuverlässsigkeit, Resilienz und Siegeswillen. Während der VfB in der Hinrunde noch die meisten Spieler aller Bundesligateams einsetzte, reduziert sich der wettkampftaugliche Kader derzeit auf 14 oder 15 Profis.

Didavi, Klimovicz, Massimo und Faghir gehören nicht mehr dazu. Warum das so ist, kann man am Freitagabend auf Platz 1 des Trainingsgeländes beobachten. Bei der 1:2-Niederlage gegen die TSG Balingen fehlt der U21 „die Bereitschaft, das Spiel unbedingt so zu gestalten, wie man ein Fußballspiel gestalten muss“. So lautet die vielsagende Analyse des Trainers, der sich von den Verstärkungen aus dem Profikader sicher mehr versprochen hat. In der Hinrunde erzielte Wahid Faghir auf Vorlage von Daniel Didavi noch das umjubelte 1:1 gegen Union Berlin.

Beim Rückspiel an der Alten Försterei sorgen Borna Sosa und Sasa Kalajdzic für den Last-Minute-Ausgleich. Die Zeit für Entwicklung und Experimente ist in der heißen Phase des Abstiegskampfs endgültig vorbei. Die Wende in Köpenick erzwingt die Mannschaft in der zweiten Halbzeit durch Entschlossenheit und Widerstandskraft. Ich glaube kaum, dass jemand das zur zweiten Mannschaft abgestellte Quartett vermisst hat.

Kalajdzic trifft spät für den VfB Stuttgart - Bildquelle: imago
Kalajdzic trifft spät zum 1:1. Knoche, Rönnow und Baumgartl haben das Nachsehen. (Foto: IMAGO/O.Behrendt/IMAGO/Contrast)

Sosa serviert für Sasa

Den Schwung mitnehmen und endlich ins Rollen kommen. Das ist die Devise von Pellegrino Matarazzo für das schwere Auswärtsspiel bei Union Berlin. Die gleiche Startelf wie beim befreienden 3:2-Heimsieg gegen Gladbach soll es richten. Doch schon bald wird klar, dass der Gegner da nicht mitspielt. Tomás und Marmoush kommen nicht hinter die Kette und im Mittelfeld laufen sich Endo und Führich immer wieder fest.

Körperbetonte Spielweise heißt das im Journalistenjargon. Man könnte auch sagen: Es wird gezogen, geklammert und getreten. Die ganz in Rot gekleidete Heimmannschaft ist da in ihrem Element – und nach jeder strittigen Aktion als Rudel beim unsicheren Schiedsrichter. Der VfB bekommt kaum ein Bein auf den Boden. Folgerichtig fällt in der 41. Minute das 1:0 durch einen von Awoniyi verwandelten Handelfmeter.

Doch der VfB kommt erneut zurück, weil er in der zweiten Halbzeit besser in die Zweikämpfe findet und Matarazzo nach einer Stunde klug wechselt: Der wirkungslose Tomás bekommt eine Pause, Mangala unterstützt fortan Sosa und Führich auf der linken Seite und bringt mehr Struktur ins Spiel. Dennoch dauert es bis zur 85. Minute, bis Kalajdzic nach schönem Zusammenspiel von Endo und Mangala zu seiner ersten großen Torchance kommt. Der Ball küsst den Außenpfosten.

Die Berliner haben sich vollends aufs Motzen verlegt und werden in der 90. Minute bestraft. Sosa serviert halbhoch, Sasa vollendet aus kurzer Distanz zum insgesamt verdienten Ausgleich. Die Spieldaten bestätigen den Eindruck des Zuschauers: viele Fouls und Unzulänglichkeiten, wenige Torszenen. Was bleibt ist ein wichtiger Zähler im Kampf um den Klassenerhalt.   

Rückenwind

Noch acht Spiele bleiben dem VfB, um sich auf Platz 15 zu retten, darunter die Duelle gegen die direkte Konkurrenz aus Augsburg, Bielefeld und Berlin. Das Spiel an der Alten Försterei gibt einen Vorgeschmack, welche Art von Fußball uns in den nächsten Wochen erwartet. Die Mannschaft wird dann mehr Energie auf den Platz bringen müssen als in der ersten Halbzeit in Köpenick.

Und was können wir tun? Unser Goalgetter merkte vergangene Woche an, er habe noch nie vor so vielen Zuschauern gespielt. Come on, Sasa, das waren gerade mal 25 000. Was meint ihr, wie ihm ein ausverkauftes Neckarstadion als Rückenwind gegen Augsburg gefallen würde?

Zum Weiterlesen:

Stuttgart holt Punkt bei Union: Sosa und Sasa sei Dank – Sport – SZ.de (sueddeutsche.de)

Es macht Spaß, Spielverderber zu sein – Vertikalpass

VertikalGIF #FCUVfB: Sosakalajdzic Masterclass! – Vertikalpass

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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