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Zum Einjährigen, Herr Wehrle

Gemeinhin schreibt man doch zu einem Jubiläum einen kleinen Gruß, oder? Eine Karte, vielleicht ein paar Blümchen dazu. Früher haben die Leute sogar noch Briefe geschrieben. Kennen die meisten heute gar nicht mehr. Auf gutem Briefpapier, mit dem Füllfederhalter.

Der Jubilar und sein Trainer: Beim VfB ist guter Rat teuer. (Quelle: IMAGO/Pressefoto Rudel/Robin Rudel)

Sehr geehrter Herr Wehrle,

am 23. März des vergangenen Jahres haben Sie sich der Stuttgarter Presse vorgestellt. „Es gibt nur einen VfB“, war damals Ihre zentrale Botschaft. Dass Sie ein absoluter Profi im Fußballgeschäft seien und der Verein für Bewegungsspiele aus Cannstatt ein unglaublich großes Potenzial besitze, ließen Sie nebenbei auch durchklingen. Beide Annahmen lassen sich Stand heute leider nicht belegen.

Black Box statt Transparenz

Als Sie Ihre Ämter in Bad Cannstatt übernahmen, müssten Sie spätestens bei einem ersten Blick in die Unterlagen festgestellt haben, dass an einigen Stellen strukturelle Anpassungen notwendig sein würden. Bei manchen Vertragsklauseln und Bilanzen dürfte ihnen der Mund offen gestanden haben. Gleichzeitig wird Ihnen nicht entgangen sein, wie emotional seinerzeit die Diskussion um den vakanten Posten des Sportvorstands und die Entscheidungsbefugnisse im Ressort Sport geführt wurde. Ein hoch sensibles Thema, das da von Anfang an auf Ihrem Schreibtisch lag.

Im Rückblick muss man konstatieren, dass es Ihnen nicht gelungen ist, die Angelegenheit klug zu moderieren. Im Gegenteil: Sie haben eine ganze Reihe von Fehlern begangen, die dazu beigetragen haben, dass der VfB zwei Monate vor Saisonende am Abgrund steht. Eine Parallele übrigens zur sportlichen Lage einst im Frühjahr 2022. Damals waren Sie wahrscheinlich noch dabei, Ihr Büro einzurichten und mussten als Beobachter darum zittern, dass sich die Mannschaft auf den letzten Metern über die Ziellinie quält. Heute haben sie deutlich mehr Aktien an der vertrackten Situation: In zwei Transferperioden gab es Gelegenheit zur Justierung des Kaders, den neuen Sportdirektor sowie den neuen Cheftrainer haben Sie selbst allen Warnungen zum Trotz ausgewählt.

Oder waren es eher Stimmen von außen, auf die Sie gehört haben? So genau wissen wir nicht, wer da intern eigentlich das Wort führt. Neben einem Sportdirektor, einem Direktor Sportorganisation und einem Leiter Lizenzspielerabteilung beschäftigen Sie nämlich noch zwei externe sportliche Berater, die zwar keinerlei formale Verantwortung tragen, aber offensichtlich überall mitsprechen dürfen. Das Ressort Sport ist in Ihrer Amtszeit zu einer Black Box geworden.

Keine Trendwende in Sicht

Damit wären wir auch schon beim Kern des Problems: Das Trainerteam, das Sie uns da im Dezember als Retter in der Not präsentiert haben, passt einfach nicht zu den Spielern, die auf dem Platz die Kohlen aus dem Feuer holen sollen. Bruno Labbadia mag ein engagierter und erfahrener Coach sein, der eine Mannschaft unter gewissen Umständen stabilisieren kann. In diesem Fall greifen die Rädchen aber nicht ineinander. Hat das keiner der hochgelobten Experten erkannt?

Die Sportredaktion aus Möhringen zitiert Sie anlässlich Ihres einjährigen Jubiläums mit dem Satz: „In den drei Spielen (in Berlin, Nürnberg und Bochum) kann man vieles wieder gutmachen“. Außerdem: „Wir müssen und wir werden wieder aufstehen. Am Ende wird abgerechnet“. Was Sie nicht sagen: Inzwischen bräuchte es schon ein mittleres Wunder, um die Saison noch zu retten. Und: Es gibt nicht den geringsten Anhaltspunkt, dass eine Trendwende bevorsteht. Wenn eine VfB-Aktie an der Börse gehandelt würde, wäre der Kurs im freien Fall. Sie haben die prekäre Lage im Dezember selbst skizziert. Ein erneuter Abstieg würde eine Zäsur bedeuten, mit 2016 und 2019 nicht vergleichbar. 

Mutige Entscheidungen

Natürlich zehrt der Absturz auf Tabellenplatz achtzehn an den Nerven. Aber glauben Sie, dass es besser wird, wenn Ihr Trainer, Ihr Sportdirektor und Sie selbst ein ganzes Magazin an Plattitüden und Phrasen verschießen? Auch verzweifelt anmutende Schuldzuweisungen und vorsorglich platzierte Ausreden taugen nicht dazu, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Eine Führungskraft muss die Verantwortung für die Arbeitsergebnisse ihrer Mitarbeiter übernehmen – und Sie sind nun einmal seit einem Jahr CEO und Sportvorstand gleichzeitig. Es gibt nur einen VfB, Herr Wehrle. Waren das nicht Ihre Worte?

Im Laufe des vergangenen Jahres hat sich gezeigt, dass Sie den Klub nicht verstanden haben. Das ist insofern verwunderlich, als Sie ja beim VfB ins Fußballgeschäft eingestiegen sind und selbst von sich sagen, dass Sie unter Herrn Staudt vieles für Ihre weitere Karriere gelernt haben. Hilfreich wäre jetzt zum Beispiel die Erkenntnis, dass man eigene Fehler am besten ohne Umschweife eingesteht. Das einzige, was noch zu einem Umschwung im Abstiegskampf führen kann, sind uneigennützige und mutige Entscheidungen. Viel Zeit bleibt Ihnen nicht.

Weiß-rote Grüße

Christoph

Zum Weiterlesen:

Ein Jahr Alexander Wehrle beim VfB Stuttgart: Der ungeliebte Rückkehrer – News über den VfB Stuttgart – Zeitungsverlag Waiblingen (zvw.de)

VfB-Boss Wehrle über Jubiläum: „Momentaufnahme überlagert alles“ – Fußball – SWR Sport

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

2 Kommentare

  • Jodido

    Super geschrieben Christoph!! Vielleicht findet sich ja jemand, der das schön mit Füller auf Papier bringen kann und in der Mercedesstraße einwirft – oder am besten Herrn Wehrle direkt in die Hand drückt…
    In was für einer rosaroten Blase beim VfB scheinbar gearbeitet wird. Herr Mayer-Vorfelder würde sich wohl im Grab umdrehen…
    In der freien Wirtschaft wäre bei solch finanziellen Tragweiten in den Führungsetagen sicherlich schon ein anderer Ton und andere Entscheidungen getroffen worden.

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