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Zeit der Besinnung

Wann war der VfB zuletzt im Free-TV zu sehen? Ich meine abgesehen vom Heldencup im Mateschitz-Sender. Wenn Thomas Broich bei der Vorberichterstattung zum DFB-Pokalspiel gegen Freiburg über den Namen Wamangituka stolpert und von der jungen Mannschaft im Brustring wie von geheimnisvollen Wesen aus einer fernen Galaxie spricht, wird uns wieder bewusst, dass wir in den letzten Jahren im deutschen Fußball noch nicht einmal eine Nebenrolle gespielt haben. Es sei denn, es geht um Vereinsskandale. Da waren wir dort, wo uns der letzte große Visionär im Präsidentenamt sah: in der Champions-League.

Das Pokalduell 2013 gegen die Südbadener haben wir dagegen noch gut in Erinnerung. Boka und Harnik schossen uns damals nach Berlin, das Neckarstadion war ein Tollhaus und der Kollaps des Vereins noch in weiter Ferne. Ein bisschen Wehmut kommt also schon auf, wenn die penetranten Zwischenrufe des Gästetrainers das einzige sind, was man über die Außenmikrofone hört. Von der Sehnsucht nach einem richtigen Endspiel ganz zu schweigen. VfB-Fans können heute mit sperrigen Begriffen wie Vereinsbeirat oder Präsidialausschuss mehr anfangen als mit der Aufstellung der Mannschaft, die 1997 den DFB-Pokal gewann.

Die Leistung der Mannschaft soll im Mittelpunkt stehen. Das wünschen wir uns alle. Vor allem, wenn sie so spielt wie in der ersten Halbzeit gegen Freiburg. Der Führungstreffer ist ein Abbild ihrer Entwicklung in den letzten Monaten: Coulibaly setzt sich im Mittelfeld gegen drei Gegenspieler durch, passt auf Klimowicz, der weiter auf Castro, der zum frei stehenden Kalajdzic durchsteckt. Dass der den Ball eigentlich in die rechte Torecke platzieren will, dem starken Uphoff stattdessen aber einen Beinschuss verpasst, gehört zu der Art von Missgeschick, an die wir uns gewöhnen könnten. Da verzeihen wir auch eine zweite Hälfte, in der nicht mehr viel gelingt. Man sieht wieder eine Spielidee und – noch wichtiger – den Spaß am Fußball. Darauf haben wir lange gewartet.

Nach der kurzen Weihnachtspause folgt eine lange Restrunde aus 21 Bundesligaspielen plus Pokal-Achtelfinale – oder sogar mehr. Kann die Mannschaft die Pace halten? Erleben wir weitere spektakuläre Nachmittage wie beim 5:1-Auswärtssieg in Dortmund? Ehrlich gesagt wäre ich schon zufrieden, wenn sich das Team weiterhin so geschlossen und mutig präsentiert. Wenn wir uns über Fußball unterhalten, über Taktik und die Entwicklung der Spieler, und nicht über Intrigen und vereinspolitische Winkelzüge. 

Bei der Phrase, dass Weihnachten eine Zeit der Besinnung sei, klimpert das Schweinchen erfreut. Allerdings täten ein paar nachdenkliche Tage im VfB-Clubhaus sicher gut. Vielleicht merkt dann der eine oder andere, dass seine Zeit in den Gremien abgelaufen ist. Bei der Ausgliederung war alles auf den damaligen Präsidenten und den Machterhalt seiner Gönner und Unterstützer zugeschnitten. Doch dann ließen sich die Mitglieder plötzlich nicht mehr am Nasenring durch die Manage führen. Noch klammern sich diese Funktionäre an ihre Pfründe, aber die Macht zerrinnt ihnen zwischen den Fingern. Im Herbst nächsten Jahres werden das Präsidium und der Vereinsbeirat neu gewählt. 

Wenn Thomas Broich dann noch ARD-Experte ist, werden ihm die Namen unserer Spieler vielleicht leichter über die Lippen gehen. Der VfB wird in Deutschland sicher keine große Nummer sein, aber zumindest die Champions-League-Plätze in punkto Vereinsquerelen sollten wir bis dahin verlassen haben. Also besinnt euch. Frohe Weihnachten!

VfB – SC Freiburg 1:0

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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