Wieder nix
Zwölf Mal hat der VfB in dieser Saison schon verloren. Darunter waren ärgerliche Niederlagen, knappe, vermeidbare und krachende. Die am Samstagabend in Leverkusen ist leistungsgerecht, obwohl sich Matarazzos Mannschaft steigern kann, kämpferisch, aber auch beim konsequenten Ausspielen eigener Offensivaktionen. Doch das Team von Gerardo Seoane zeigt die bessere Spielanlage, ist individuell stärker besetzt und findet auf die beiden Tore von Sporting-Leihe Tiago Tomás postwendend eine Antwort.
Besser, aber nicht gut genug
Der Matchplan des Trainers ist in Leverkusen von Anfang an zu erkennen. Vor der Viererkette baut der VfB einen Dreierriegel im Mittelfeld auf und hofft auf Kontermöglichkeiten über seine schnellen Offensivspieler. Unermüdlicher Einsatz, taktische Disziplin und strikte Vermeidung jeglichen Risikos – das Konzept geht bis zur 41. Minute auf, als vier Spieler im Brustring Diabys Sololauf nicht stoppen können.
In der Folge kontrolliert der Gastgeber zwar das Spiel, kann aber die beiden schön herausgespielten Treffer des Neuzugangs aus Lissabon nicht verhindern. Mangala und Tibidi sorgen jeweils für die sehenswerte Vorarbeit. Leider reißen sich die Weiß-Roten aber erneut mit dem Hintern ein, was sie soeben mit den Händen aufgebaut haben. Wenige Minuten nach den Stuttgarter Toren treffen Adli und Schick für die Werkself.
Im Vergleich zum teilweise desolaten Auftritt gegen Frankfurt ist eine klare Steigerung zu erkennen, phasenweise sogar richtiger Abstiegskampf. So mutiert Sunnyboy Sosa zum Linksverteidiger italienischer Schule und grätscht den flinken Gegenspielern ein ums andere Mal energisch dazwischen.
Es ist aber auch nicht zu übersehen, dass Mangala weiter seine Form sucht, dass Führich wohl nie zu einem Draufgänger wird und Silas in seinen Bewegungsabläufen noch unkoordiniert wirkt. Außerdem dürfen die Gegentore so natürlich nie fallen. Beim 1:0 sieht vor allem Mavropanos schlecht aus, in der 52. Minute lässt sich die komplette Hintermannschaft vom 1,74 m kleinen Amine Adli per Kopf düpieren, bevor sich die Rot-Schwarzen beim 3:1 im VfB-Strafraum den Ball zuspielen dürfen wie im Training. Und ohne eine Torwartdiskussion anfangen zu wollen, kenne ich Keeper, die das Schüsschen von Wirtz mit einem Zwischenschritt noch aus der Ecke holen.
Aber lassen wir das. Die Niederlage beim Tabellendritten kommt alles andere als unerwartet. In den nächsten fünf Spielen wird es gegen weniger übermächtige Gegner darum gehen, die Grundlagen des Fußballspiels mindestens so engagiert auf den Rasen zu bringen wie am Samstag.
Unübersichtliches Gelände
Nach nur einem Punkt aus den letzten sieben Spielen steht der VfB mit vier Punkten Rückstand auf das rettende Ufer weiter auf einem direkten Abstiegsplatz. Eine Verkettung unglücklicher Umstände? Mag sein, aber nicht nur.
In Leverkusen sitzen Ahamada und Beyaz 90 Minuten auf der Bank, während Mola, Egloff und Faghir in der Regionalliga zum Einsatz kommen. Bei der 0:2-Niederlage gegen Mainz II bleiben vor allem die beiden Offensivspieler extrem blass. Enzo Millot hat wieder einmal spielfrei. Alle diese Entwicklungsspieler haben in dieser Bundesligasaison keine große Rolle gespielt und werden es wohl auch nicht mehr.
Das Problem: Junge Talente können nur reifen, wenn sie Wettkampfpraxis bekommen. Dabei dürfen sie aber nicht zu sehr unter Druck stehen, damit sie Fehler machen und daraus lernen können. Ein schwer zu lösendes Dilemma, wenn du im Abstiegskampf mit dem Rücken zur Wand stehst. Der Trainer verfügt auf der Bank kaum über ernsthafte Alternativen, dafür über eine Menge Ergänzungsspieler, die als Versprechen für die Zukunft gelten.
Für eine Zukunft, die in der zweiten Liga und der Oberliga Baden-Württemberg liegt, wenn die Trends der Mannschaften anhalten. Bei ambitionierten Nachwuchskickern wird man dann mit schönen Worten nicht mehr weit kommen. Immerhin gibt es nicht allzu weit entfernt Standorte, deren Klubs sich in der Bundesliga durchbeißen und mit ihrer Zweitvertretung zumindest die vierte Liga halten. Der Stuttgarter Weg führt zweieinhalb Jahre nach Projektstart in unübersichtliches Gelände.
Fehleinschätzungen
Sven Mislintat wirbt dafür, diesen Weg bis zum Saisonende und darüber hinaus fortzusetzen. Mit dem Trainer und mit der „Gruppe“, deren unbestrittener Anführer er ist, seit Hitzlsperger seinen Abschied angekündigt hat. Gegenfrage: Gibt es kurzfristig überhaupt eine ernsthafte Alternative? Je näher das Saisonende rückt, desto mehr drängt sich der Eindruck auf, dass selbst ein veritabler Kraftakt nicht ausreichen würde, um das Ruder herumzureißen.
Auch diejenigen, die der Grundidee der sportlichen Führung voller Überzeugung folgen, sollten sich einer sachlichen Analyse der kritischen sportlichen Situation nicht verschließen. Sie ist nämlich auch eine Folge von Fehleinschätzungen, die sich in Zukunft – unabhängig von der Ligazugehörigkeit – nicht wiederholen dürfen.
Als falsch droht sich die optimistische Annahme herauszustellen, dass die beiden Schlüsselspieler Silas und Kalajdzic nach ihren schweren Verletzungen in der Rückrunde noch entscheidend eingreifen können. Auch die Hoffnung, dass man in der Saisonendphase vor Coronafällen und Verletzungen verschont bleiben wird, ist wenig realistisch.
Ausfälle tun natürlich besonders weh, wenn die zweite Reihe im Vergleich zu den Stammspielern deutlich abfällt. Junge Spieler, die langsam an die Bundesliga herangeführt werden, gehören zum neuen Stuttgarter Weg. Die besten Voraussetzungen für Entwicklung finden Nachwuchskräfte allerdings in einem gefestigten Team mit erfahrenen Mitspielern an ihrer Seite. Dabei kommt es auf die richtige Mischung an. Ein Handwerksbetrieb lässt ja auch nicht zehn Lehrlinge gleichzeitig ausbilden, die dann den Gesellen bei der Arbeit im Weg stehen.
Bei der Kaderplanung wurden außerdem Aspekte vernachlässigt, die weniger mit fußballerischer Qualität als mit gruppeninterner Hierarchie und dem vielbeschworenen Mannschaftsgeist zu tun haben. Die im Sommer entstandenen Lücken können weder von den nachrückenden Entwicklungsspielern noch von den Neuzugängen geschlossen werden.
No more words
Die Zeit des Redens ist 12 Spieltage vor Saisonende vorbei. Es reicht nicht mehr, nur positive Erkenntnisse aus den Spielen mitzunehmen. Der VfB braucht dringend Siege, am besten gleich eine Siegesserie. Der nächste Gegner steht mit 8 Punkten aus den letzten 5 Spielen in der Formtabelle auf Platz 5 – knapp hinter den Bayern und punktgleich mit dem designierten Absteiger aus Fürth. Die Mannschaft von Thomas Reis kommt mit der Empfehlung eines 4:2-Triumphs über den Rekordmeister nach Stuttgart.
Bayer 04 Leverkusen – VfB 4:2
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reybucanero74
Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson
Ein Kommentar
fritzo62
Ich habe es auch anderer Stelle schon mal geschrieben: mit der Wahl von Vogt „starb“ Hitz und machte Mislintat zum Alleinherrscher, der uns nun seinen Weg aufzwingt. Er hat auch nix zu verlieren, denn diese Erfahrung kann er für sich woanders nutzen. Ein erfahrener Trainer und eine kluge Vereinsführung lassen sich nicht noch mehr Geld für noch mehr Talente aus den Rippen leiern, sondern stellen Forderungen und geben Leitplanken vor. In der Wirtschaft undenkbar, aber beim VfB scheint nun alles möglich.