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Verkohlte Paella

Kennt ihr das auch? Man hat sich zu einem festlichen Anlass etwas ganz Besonderes überlegt und will statt Bratwurst mit Nudelsalat diesmal etwas Pfiffiges servieren. Ein Essen so leidenschaftlich wie der Flamenco Andalusiens.

Übertragen auf den VfB war das Spiel in Freiburg der Nudelsalat: kein Esprit, keine Torgefahr. An der Costa del Sol wollte sich Matarazzos Mannschaft die Zutaten für einen erfolgreichen Saisonendspurt holen. Nur eingefleischte Pessimisten haben damit gerechnet, dass man sich die kulinarische Biederkeit schon bald zurückwünschen würde. Die mühevoll zubereitete Paella Andaluz ist nämlich fürchterlich angebrannt.

Neue Varianten

Nach fünf torlosen Spielen hintereinander und nach dem Abrutschen auf einen direkten Abstiegsplatz war das Trainingslager in Marbella ein Notausgang. Seither dürfen wir überall hören und lesen, wie fleißig die Mannschaft gearbeitet, wie viele neue Varaianten sie einstudiert habe.

Am Samstag um halb drei werden dann die Aufstellungen verkündet: Förster auf der Zehn. Du reist nach Südspanien, knobelst und tüftelst – und am Ende spielt Förster? Der Förster, der nach dem Rückrundenstart in Fürth in Ungnade gefallen ist, weil er den Abstiegskampf nicht annehmen kann?

Aber damit nicht genug. Matarazzo hat sich auch für die Abwehr etwas ausgedacht. In einer flexiblen Kette taucht Abwehrchef Anton plötzlich auf dem rechten Flügel auf. Mavropanos beginnt für ihn im Zentrum – und zwar so fahrig, dass den Zuschauern schon in der Anfangsphase mehrfach das Kaltgetränk fast aus der Hand gleitet. Wenn irgendetwas im VfB-Spiel über die ganze Saison leidlich funktioniert hat, dann war es doch die Dreierkette mit Waldemar Anton im Zentrum. Gleichzeitig hat Mavropanos auf halbrechts seine bisher beste Halbserie im Brustring gespielt, auch weil er sich immer wieder in den Angriff einschaltete und wichtige Tore erzielte.

Umsonst geflogen: VfB-Keeper hatte alleine gegen Ajdin Hrustic zweimal das Nachsehen.
Das entscheidende 2:3: Mavropanos fälscht den Ball unhaltbar ab. (Foto: Jan Huebner/Imago)

Warum vollzieht Matarazzo jetzt ohne Not diese Rochade? Warum korrigiert er die Umstellung nicht während des Spiels, wenn doch jeder Laie vor dem Fernseher sieht, dass sie nicht die erhoffte Wirkung entfaltet? Warum steht ein offensichtlich nicht ganz fitter Mangala in der Startelf? Warum tritt die Mannschaft nach einer intensiven Vorbereitung so ungeordnet auf? Warum entwickelt sie sich seit Längerem zurück, statt zu wachsen? Ich hoffe, dass solche und ähnliche Fragen dieser Tage auch an der Mercedesstraße gestellt werden.

Wer hat einen Plan?

Bislang ergab die Analyse der sportlichen Führung stets, dass externe Faktoren für die schlechten Leistungen und die fehlenden Punkte verantwortlich seien. Inzwischen sind allerdings fast zwei Drittel der Saison gespielt und es wird immer offensichtlicher, dass die Probleme tiefer liegen, als man – zumindest öffentlich – zugeben will.

Auf dem Papier ist für den Bereich Sport noch immer Thomas Hitzlsperger zuständig. Gemeinsam mit Sven Mislintat hat er im Sommer 2019 den Kader konsequent verjüngt und neu aufgestellt. In letzter Zeit äußert er sich – wenn überhaupt – in seiner Funktion als Vorstandsvorsitzender. Die Verantwortung für das Wohl und Wehe der Mannschaft hat er schon lange in die Hände seines Sportdirektors gelegt.

Der wiederum verteidigt seine Schützlinge wie eine Bärenmutter ihre Jungen. Immerhin trägt der Kader maßgeblich Mislintats Handschrift und auch den Weg, von dem er so gerne und voller Pathos redet, hat er entscheidend mitbestimmt. Zunehmend trotzig klingt der impulsive Westfale dabei: „Jetzt zeigt sich, ob wir uns nur eine Kontinuität wünschen oder wir sie auch leben.“

Was er nicht sagt: Der Trainer, dem er bedingungslos vertraut, und die Mannschaft, die er ganz nach seinem Stil zusammengestellt hat, wirken von Spiel zu Spiel ratloser. Im Anschluss an das Last-Minute-Trainingslager gab es noch Lob und Kampfansagen. Auf dem Platz bleibt von alledem nur ein verunsicherter Haufen übrig.

Auch Pellegrino Matarazzo verliert zusehends seine Linie. Die Wechsel verpufften zuletzt wirkungslos, die Umstellungen stiften weitere Verwirrung. Die Handschrift des Trainers suchen wir gegen Frankfurt vergeblich. Dabei war das Trainingslager doch eine Gelegenheit, der Gruppe noch einmal seinen Stempel aufzudrücken. Was auch immer in Marbella passiert ist, so konfus hat man die Mannschaft selten gesehen.

Jetzt erst recht

Kaum wird die Cannstatter Wagenburg aufgebaut, hat sie schon mehrere offene Flanken. Der Hauptinitiator wollte vor Jahresfrist noch den ganzen VfB besitzen und verabschiedet sich nun womöglich mit einem Abstieg. Wichtige Stützen der Mannschaft träumen bereits öffentlich von mehr Ruhm, während sich andere gut überlegen werden, ob ihre filigranen Beinchen in der Liga der Wühler und Treter gut aufgehoben sind. Ein Abstieg wäre nämlich ganz sicher nicht Teil des Stuttgarter Wegs, sondern ein Rückschlag, von dem sich der Klub nicht so schnell erholen würde. Es wäre der dritte in sechs Jahren.

Andererseits kann man verstehen, dass der Sportdirektor das Messer zwischen die Zähne klemmt und seine Jungs an der Ehre packt: „Whose the guy who shows up? Wer geht raus und zeigt, dass er Verantwortung nimmt?“ Kurzfristig kann sich die Mannschaft wohl nur so retten. Für eine grundlegende Kurskorrektur ist es zu spät. Erst zum Jahreswechsel hat man sich ja entschieden, die Mannschaft weiter zu verjüngen.

Nur muss die Frage erlaubt sein, wo die tollen Jungs waren, als man fast widerstandslos Niederlage um Niederlage kassierte. Die kämpferischen Töne des Sportdirektors wollen so gar nicht zum Auftreten seiner Spieler auf dem Platz passen. Seine Treueschwüre für den Fall des Schiffbruchs verkennen außerdem, dass er zwar für die Entdeckung von Lewandowski und Aubameyang gefeiert wird, aber mit dem Navigieren eines schweren Tankers in den seichten Gewässern der zweiten Liga nicht die besten Erfahrungen gemacht hat. Bei aller fast schon sektenartigen Verehrung dürfen wir nicht vergessen, dass Mislintat in der sportlichen Führung eines Traditionsklubs noch ein Rookie ist.

Reise nach Jerusalem

Für zwei Mannschaften wird es nach dem 34. Spieltag keinen freien Stuhl mehr in der Bundesliga geben, eine dritte muss in eine äußerst komplizierte Relegation. Alle laufen konzentriert im Kreis. Für den Moment, in dem die Musik ausgeht, wollen sie sich eine möglichst gute Ausgangsposition verschaffen. Nur der VfB stolpert gedankenverloren durch den Raum und sucht sich selbst.   

Wie konnte Bielefeld nur in Frankfurt gewinnen? Die Antwort sehen wir am Samstag im Neckarstadion. Das Team von Oliver Glasner hat nach seinem Zwischenhoch zum Jahresende den Rhythmus verloren. Ohne Kostic und Kamada verpasst die Eintracht zu Beginn eine höhere Führung und muss dann zweimal aus dem Nichts den Ausgleich hinnehmen. Dass am Ende trotzdem der erste Frankfurter Dreier im neuen Jahr herausspringt, muss den VfB-Fans umso mehr Sorgen machen.

Drei Mannschaften werden wir mit unserer Qualität schon hinter uns lassen, beruhigte man sich in Bad Cannstatt lange selbst. 13 Spieltage vor Schluss stellt sich die Frage, wen genau man damit meint. Weinzierls FC Augsburg schickt mit einem 2:0-Sieg gegen den Tabellenvierten schöne Grüße. Auch die anderen Konkurrenten im Tabellenkeller punkten am 21. Spieltag. Gut 1,5 Punkte im Schnitt benötigt der VfB aus den verbleibenden Spielen. Die bisherige Saisonbilanz weist ernüchternde 0,86 Zähler pro Spiel auf.

Wenn Mislintat ankündigt, seine Hand für die Truppe ins Feuer zu legen, denken wir entsetzt an die verkohlte Paella. Niemand sehnt sich nach labbrigem Nudelsalat, aber unter einem feurigen Essen haben wir uns dann doch etwas anderes vorgestellt.

VfB – SG Eintracht Frankfurt 2:3

Zum Weiterlesen und Hören:

Reality Killls The Konzeptstar – Vertikalpass

VertikaGIF #VfBSGE: Tierisch angefressen – Vertikalpass

Bitte erklärt es mir – Rund um den Brustring

Pressegespräch mit Sven Mislintat – „Reden wir über Zusammenhalt, oder halten wir zusammen?“ – YouTube

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

Ein Kommentar

  • Roland K.

    Ja und nein.
    Wir haben gegen Frankfurt schlecht gespielt. Viel zu viele „leichte“ Fehlpässe. Das ist vor allem Kopfsache. Die lässt sich allerdings mit noch mehr und härterer Arbeit ausgleichen. Daran fehlt es mir etwas.

    Zu meinen Gründen:
    Der VfB lebt von den Außen Silas/Sosa und im MF von gut spielenden Endo/Mangala. Diese 4 sind unsere Schlüsselspieler. Einerseits gewinnen die Bälle und entlasten damit die Abwehr(die einen wirklich schwachen Tag erwischt hatte-alle 3 ohne Ausnahme),andererseits sorgen die mit ihren Vorstössen für Gefahr im Sturm.

    All diese Aufgaben wurden gegen die Eintracht nur mangelhaft erfüllt. Solche Spiele sind dann nur mit Glück zu gewinnen.

    Problem ist,daß außer Endo keiner der 3 anderen grade im weitesten Sinne „gut“ spielt. Die Gründe dafür sind sicher vielfältig und ich sehe nur die Auswirkungen.
    Das Problem des Trainers besteht darin,daß genau diese Spieler in unserem Kader derzeit nicht ersetzbar sind.Außer mit erheblichem Verlust an Qualität. War in der Runde oft und deutlich zu sehen. Das sind derzeit unsere Ausnahmekönner- an guten Tagen. Dann können wir mithalten. An schlechten Tagen dieser Spieler sind wir ein Abstiegskandidat.
    Rino versucht viel, hier Alternativen zu finden, hat aber das Problem der Zeit,die es dafür braucht und die er nicht hat.
    Unter diesen Umständen haben wir zwei Möglichkeiten:
    -einen Abstieg in Kauf nehmen und weiter machen. Die Talente dafür sind da.
    -zum bisher üblichen Weg zurückkehren und Trainer/Sportdirektoren usw. in Hülle und Fülle verschleissen und viel geld verbrennen.
    Letzteres kennen wir zur Genüge.

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