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Cannstatter Tragödien

Wa-man-gi-tu-ka. Erinnert ihr euch noch, als wir im Sommer 2019 Silbe für Silbe den Namen unseres Königstransfers übten und uns darüber stritten, ob er französisch nasal, mit einem weichen „sch“ in der Mitte auszusprechen sei?

Seitdem hat der junge Mann aus der Demokratischen Republik Kongo eine wahre Odyssee durchgemacht. Über die Untiefen der zweiten Liga katapultierte er sich mit seinen unwiderstehlichen Läufen ins Rampenlicht der Bundesliga, knickte in der Allianz Arena tragisch um, ging mit der Wahrheit über seine Identität an die Öffentlichkeit und kämpfte sich in unzähligen Stunden Reha-Training wieder an seinen großen Traum heran.

Der VfB wäre allerdings nicht der VfB, wenn diese unglaubliche Geschichte in ein Happy End mündete. Stattdessen fährt Herr Katompa Mvumpa am Samstagnachmittag wieder einmal vom Stadion direkt ins Krankenhaus.

Misslungener Plot Twist

Sonniges Wetter, zwanzigtausend Zuschauer, ein zahnloser Gegner und ein zäher Spielverlauf – der Tag ist wie gemalt für einen schmutzigen Sieg des Willens, für eine hart erkämpfte Trendwende im Abstiegskampf. Kein Regisseur hätte das vermeintlich entscheidende Tor besser inszenieren können: In der 56. Minute lenkt Bella Kotchap eine von Mangala verlängerte Ecke mit der Schulter ins eigene Tor. Eckballschütze Führich, Vorbereiter Mangala, Vize-Käptn Anton und Motivator Karazor schreien in inniger Umarmung ihre Erleichterung heraus.

Die Geschichte dieses Spiels ist damit eigentlich erzählt. Um der Dramaturgie willen kann das Drehbuch von mir aus noch zwei Großchancen auf das erlösende 2:0 einbauen: 77. Mangala nach traumhafter Vorarbeit von Führich, 85. Endo nach schönem Hackentrick von Tomás – sogar einen krummen Lattenkopfball von Polter (83.) lasse ich mir im Finale Furioso noch gefallen.

Orel Mangala kann sich die Ecke aussuchen, scheitert aber an Riemann. (Foto: dpa)

Aber das, was in der dritten Minute der Nachspielzeit passiert, sprengt den mühsam aufgebauten Spannungsbogen vollkommen: ein Slapstick-Elfmeter, der weder ästhetisch noch sportlich irgendeinen Mehrwert für dieses Abstiegsdrama bietet. Das kann doch nicht Ihr Ernst sein, Herr Regisseur! Sie machen ja Ihre ganze Geschichte kaputt.

Bitte kein Mitleid!

Nach diesem Spiel würden sich alle, die es mit dem Brustring halten, am liebsten eingraben und erst in ein paar Tagen wieder hervorkommen. Es ist ja auch kaum auszuhalten: die Tränen der Spieler auf dem Platz, die versteinerten Gesichter der Verantwortlichen, der ernüchternde Blick auf die Tabelle.

Diejenigen, die im Klubhaus mit dem roten Dach für den sportlichen Bereich verantwortlich sind, müssen den Rücken allerdings schnell gerade machen und den Ist-Zustand beim Verein für Bewegungsspiele analysieren. Die Profis kleben nämlich hartnäckig im Tabellenkeller fest und die Regionalligamannschaft verliert inzwischen sogar gegen den Tabellenletzten, den man vor gut einem Jahr noch mit 8:1 aus dem Stadion geschossen hat.

Natürlich ist der Last-Minute-Ausgleich gegen Bochum extrem unglücklich, natürlich hat die Mannschaft in den letzten beiden Spielen gezeigt, dass sie sich mit Händen und Füßen gegen den drohenden Abstieg wehren kann, aber die Saison läuft ja schon etwas länger und über weite Strecken hatte man dieses Gefühl eben nicht.

Zwölf Spiele vor Saisonende kommt der Trainer plötzlich zu der Einsicht, dass ein solider Stenzel mit eingebautem Geschwindigkeitsdefizit im Ernstfall eher weiterhilft als die ganze Rasselbande hochveranlagter Nachwuchskicker. Auch Karazor und Thommy erfahren auf einmal unerwartete Wertschätzung. Die Rückrundenhoffnung Tibidi muss derweil aus disziplinarischen Gründen mit dem Kunstrasenplatz des TSV Schott Mainz vorliebnehmen.

Über 23 Bundesligaspieltage hat sich der VfB seinen Tabellenplatz redlich verdient. Verletzungen, Schiedsrichterentscheidungen, Coronafälle, Pech – sicher haben diese Faktoren eine Rolle gespielt, aber wenn du aus zehn Metern freistehend nicht einmal einen nennenswerten Schuss aufs Tor bringst, solltest du dich zuerst an die eigene Nase fassen.     

Herbeigeredete Konflikte

Während die Mannschaft also den Ernst der Lage so langsam begreift, entspinnen sich rund um den Verein zum Teil irrwitzige Diskussionen. Da darf ein Hansi Müller in der Halbzeitpause beim Bezahltsender seinen Senf dazugeben, der schon derart festgetrocknet ist, dass man ihn als Zement verkaufen könnte. Ein gewisser Herr Träsch – erst kürzlich aus Dubai zurückgekehrt, wo er „eine andere Kultur kennenlernen wollte“ – bringt auf einem Sportportal Niko Kovac als Matarazzo-Nachfolger ins Gespräch und Spielerberater Kuranyi fidelt im Interview einmal die abgedroschensten Fußballphrasen hoch und runter.

Noch unverständlicher mutet an, dass immer wieder versucht wird, einen Konflikt zwischen der sportlichen Leitung und dem Aufsichtsrat herbeizureden. Selbst während der entscheidenden Spiele im Kampf um den Klassenerhalt laufen Diskussionen, ob man Sven Mislintat für den Saisonverlauf verantwortlich machen könne oder nicht. Ein Interview mit dem Aufsichtsratsmitglied und Vize-Präsidenten Rainer Adrion wird pathologisch auf Spuren von Kritik am Sportdirektor untersucht.

Für das Narrativ, die Vereinsspitze wolle den hochgeschätzten Kaderplaner vergraulen, gibt es jenseits der emotionalen Diskussionen unter den Anhängern keine ernstzunehmenden Anhaltspunkte. Es wäre auch höchst bedenklich, wenn sich die Führungsebenen eines Klubs, der innerhalb von sechs Jahren zum dritten Mal am Rande des Abgrunds steht, in einer solchen Situation mit etwas anderem beschäftigen würden, als mit der Frage: Wie können wir gemeinsam (!) den Abstieg verhindern?

Denn eines ist klar: Sollte der VfB im Sommer wieder zweitklassig sein, müssen sich alle Protagonisten kritische Fragen gefallen lassen. Die Direktoren werden sich vor dem Vorstand, der Vorstand vor dem Aufsichtsrat und das Präsidium vor den Mitgliedern zu verantworten haben. Bei der Mitgliederversammlung wäre also die Gelegenheit, das Präsidium Auge in Auge mit den Vorwürfen zu konfrontieren. Vorausgesetzt natürlich, dass man nicht zu beschäftigt damit ist, die nächste Sau durchs Internet zu treiben.

Vom Plüschteppich in die Reha-Welt

Abgestiegen sind wir aber noch lange nicht. Mit Hertha und Augsburg befinden sich noch zwei Mannschaften in Schlagdistanz. Wenn es am 19. März im heimischen Stadion gegen die Fuggerstädter geht, müssen wir bereit sein. Zuerst werden sich Mitspieler und Betreuerteam um diejenigen kümmern, die besonders geknickt aus dem Bochum-Spiel gehen. Mangala und Mavropanos zum Beispiel, aber vor allem Unglücksrabe Silas.

Jedes Lächeln des Hoffnungsträgers auf seinem Weg zurück auf den Platz haben wir frenetisch gefeiert. Sein Comeback beim Heimsieg gegen Mainz im November war das emotionale Highlight der bisherigen Saison. Doch dann kommt die 16. Minute und der Check des Bochumer Linksverteidigers Danilo Soares. Auch auf den zweiten Blick sieht der Zweikampf nach hartem, aber keineswegs übertriebenem Einsatz aus.

Einen Tag später verkündet die medizinische Abteilung des VfB die nächste Hiobsbotschaft: Silas wird für die restliche Saison ausfallen. Vom roten Plüschteppich des kongolesischen Sportministers führt sein Weg also nicht direkt zu Ruhm und Ehre, sondern noch einmal durch harte Wochen in der Reha-Welt. Erst das Kreuzband, dann die Schulter – selbst Mr. Murphy wird es langsam peinlich, schreibt die Süddeutsche. Teamkollege Kalajdzic kann ein Lied davon singen.

VfB – VfL Bochum 1:1

Zum Weiterlesen:

It’s A Hard Knock Life – Vertikalpass

So anstrengend – Rund um den Brustring

VertikalGIF #VfBBOC: Football, bloody hell! – Vertikalpass

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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