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Sterbende Schwäne

Das Aufeinandertreffen mit dem Dorfklub aus dem Kraichgau gehört zu den eher unangenehmen Terminen einer Bundesligasaison. Sportlich liefen die Spiele für den VfB zuletzt nicht immer erfreulich und für seine Fans beginnt der Abtörn schon bei der Fahrt ins Stadion. Angetrunkene Vertreter der Dorfjugend Bammental benehmen sich im Zug ungefähr genauso daneben wie später Grischa Prömel auf dem Feld.

Nach nur vier Minuten Spielzeit haben die Laiendarsteller in den blauen Trikots ihre Rolle gefunden. Jede Spielunterbrechung wird in die Länge gezogen, jeder Kontakt theatralisch bejammert. In den meisten fußballerischen Kategorien sind die Gäste unterlegen, bei Schiedsrichter Zwayer haben sie aber aus unerklärlichen Gründen einen Stein im Brett. Eine einzige gelbe Karte zeigt er ihnen in 97 Minuten. Keine davon wegen Zeitspiels.

Maximilian Beier entwischt Anton und Rouault. (Foto: sport.sky.de)

Flashbacks

Am neunten Spieltag blitzt das alte VfB-Markenzeichen wieder auf: frühe, halb geschenkte Gegentore. Wenn du nach 20 Minuten mit zwei Toren zurückliegst, kostet es extrem viel Energie, sich wieder heranzukämpfen. Das Spiel deckt Schwächen auf, die wir in den vergangenen Wochen selten gesehen haben, zeigt aber andererseits auch, wie viel Druck die Mannschaft aufbauen kann, selbst wenn vieles schiefläuft.

Einen schlechten Tag erwischen die zuletzt hoch gelobten Anton, Rouault und Stiller: Zuerst schüttelt Weghorst den Ex-Hoffenheimer vor dem 0:1 ab wie eine lästige Fliege und schickt den schnellen Beier, der beide VfB-Innenverteidiger uralt aussehen lässt. Beim 0:2 hat erst Prömel im Mittelfeld zu viel Platz, danach lässt sich Rouault von Beier den Ball klauen und verursacht einen vollkommen unnötigen Strafstoß. Beim dritten Gästetreffer sieht Kapitän Anton im Zweikampf mit Beier gar nicht gut aus.

So holt die TSG ihren fünften (!) Auswärtssieg mit nur 7 Torschüssen und 26 Prozent Ballbesitz. „Auch wenn es ein bisschen glücklich ist, nehmen wir die Punkte sehr gerne mit“, kommentiert Ex-VfB-Trainer Matarazzo auf der Pressekonferenz nach dem Spiel, während Sebastian Hoeneß versucht, seinen Stürmer wieder aufzubauen: „Torgefährlich war er (…), genau das, was wir uns von ihm erhofft haben“. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Deniz Undav am Samstag viele unglückliche Aktionen hat und nicht annähernd die Präsenz eines Serhou Guirassy ausstrahlt.

Deniz Undaz scheitert mit seinem Elfmeter an Baumann und dem Pfosten. (Foto: IMAGO/Nordphoto)

Vemeidbare Gegentore, unglückliche Auftritte einzelner Spieler, verletzungsbedingte Ausfälle – was wie ein Flashback in die Spielzeiten 21/22 und 22/23 klingt, ist in Wirklichkeit nur das Ende einer einzigartigen Erfolgsserie. Sechs Bundesliga-Siege hintereinander, und das auch noch mit jeweils mindestens zwei Toren Unterschied: Vereinsrekord. Mit 21 Punkten auf dem Konto kann der VfB die Niederlage nicht nur verkraften, vielleicht kommt der Schuss vor den Bug sogar zur richtigen Zeit, bevor die ersten vor dem Einschlafen die Champions-League-Hymne summen.

Vorsicht vor Großmannssucht

Rund um den Traditionsklub aus Cannstatt schlagen die Wellen bei Misserfolgen und Erfolgen gleichermaßen hoch. Immer erwähnt werden dabei die hervorragenden Ausgangsbedingungen, die man in Stuttgart vorfinde, und die Wucht, die der Verein weit über die Stadt hinaus entfalte. Der scheidende NLZ-Direktor Thomas Krücken berichtet im Podcast VfB STR begeistert, wie viele Fans an Spieltagen in Trikots zu sehen seien, und welchen Schub das auch den Nachwuchskickern gebe. Von Hohenlohe bis an den Bodensee schlagen die Herzen weiß-rot, was sich seit einigen Jahren auch im Talentförderungsprojekt Satellitenklubs niederschlägt.

Die große Strahlkraft des VfB hat aber auch Schattenseiten. Sobald die Brustringträger mal wieder ein paar Spiele gewinnen, melden sich Möchtegern-Experten und Ehemalige zu Wort, die referieren, warum der Klub eigentlich unter die Top 5 in Deutschland gehört. Gerne fallen dann Namen wie Khedira und Lahm, die den Klub wieder auf das große Parkett führen könnten. Mit der Realität haben solche Träumereien genauso wenig zu tun wie die aktuelle VfB-Mannschaft mit der Champions-League. Khediras Vertrag wurde ziemlich kleinlaut aufgelöst, von den gesammelten Erkenntnissen der Lahm-Agentur wissen bislang noch nicht einmal die innersten Insider etwas.

Hoeneß mit Undav: Der Trainer baut seinen Stürmer gleich wieder auf. (Foto: IMAGO/Pressefoto Rudel/Robin Rude)

Erfreulich bodenständig geben sich da Hoeneß und Wohlgemuth. „Es war klar, dass wir nicht ohne weitere Niederlagen durch die Saison spazieren“, bemerkt der Sportdirektor gewohnt nüchtern. Der Trainer macht immer wieder deutlich, dass es um Teamwork gehe, dass alle ihren Teil beitrügen. Mehr als eine Konsolidierung nach zwei schweren Jahren sollten wir nicht erwarten. Wie schnell eine erfolgreiche Mannschaft vom Weg abkommen kann, wenn sie sich nicht selbst treu bleibt, sieht man zurzeit bei Union Berlin.    

Pokalfieber

Damit wären wir auch schon beim DFB-Pokal und beim Heimspiel am Dienstagabend. In der vergangenen Saison durften wir nach längerer Zeit mal wieder erleben, wie stimmungsvoll Pokalnächte sein können. Ein weiterer Sieg gegen die Eisernen würde die Niederlage gegen Hoffenheim schnell vergessen machen. Im Sinne des Sports und mit Rücksicht auf die Nerven der Heimfans darf der DFB am Dienstag aber gerne einen souveräneren Spielleiter nach Stuttgart schicken. Von sterbenden Schwänen haben wir erst einmal die Nase voll.

VfB Stuttgart – TSG Hoffenheim 2:3

Mein erstes Spiel im Stadion: 1980 VfB – HSV 3:2 (Tore: Müller, Kelsch, Allgöwer) Mein schönstes Stadionerlebnis: 1991 VfB – BVB 7:0 (Allgöwer 2, Sverrisson 3, Walter 2) Meine erste Auswärtsfahrt: 1991 BVB – VfB 0:0 Emotionalster Erfolg: 1992 Deutscher Meister, letzter Spieltag B04 – VfB 1:2 (Tore: Walter, Buchwald) Lieblingsspieler: Helmut Roleder, Asgeir Sigurvinsson

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